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Offene und speziell lebende Systeme, die eine nachhaltige zeitliche Stabilität besitzen, verdanken dies im Regelfall ihrer Fähigkeit der Selbstregulativität.
Fragen wir nun aber: wie haben diese Systeme ihre Selbstregulationsmechanismen entwickelt, und weshalb funktionieren diese, wie sie sollen? Die Antwort darauf liegt auf der Hand: fast alle selbstregulativen Systeme, welche unsere Welt bevölkern, sind evolutionäre Systeme  auf Ausnahmen kommen wir noch zu sprechen; entweder solche der biologischen Evolution, oder jene der kulturellen Evolution; und auch die vom Menschen konstruierte selbstregulative technische Systeme sind Produkte der technischen Evolution. Evolutionäre Systeme verdanken die Perfektheit ihrer Regulationsmechanismen einer kontinuierlichen Selektionsge­schichte, in der sie sich gewissen selektiven Umgebungsbedingungen angepasst haben. Wie in Schurz (2002x) ausgearbeitet wird, liefert diese Tatsache auch den Grund für den Zusammenhang von evolutionstheoretischer Normalität (worauf wir näher in Kap. xx eingehen) und statistischer Majorität. Der für ein evolutionäres System über­lebens­wichtige Normal­zustand muss auf lange Sicht auch der sta­tistische Nor­malfall sein, denn andern­falls wäre das System bereits ausgestorben. Vögel, beispielsweise, können norma­ler­­weise fliegen. Es könnte freilich sein, dass durch eine Umwelt­katastrophe die meisten Vögel plötzlich nicht mehr fliegen kön­nen, aber dann sind sie nach kur­zer Zeit ausgestorben. Aus demselben Grund han­deln Menschen normaler­wei­se zweckrational-interessegeleitet, oder funktionieren technische Geräte normalerweise. Wir fassen diesen Zusammenhang so zusammen:
Fast alle selbstregulativen Systeme sind evolutionäre Systeme. Ihr überlebenswichtiger Normalzustand ist aufgrund des evolutions­theoretischen Selek­tionsgesetzes 'normalerweise' auch sein statistischer Normalzustand.

Der Unterschied zwischen der Beschreibung eines Systems als geschlossenes physikalisches System versus als offenes evolutionäres System kann am Beispiel der elektrotechnischen Geräte, die unseren heutigen Alltag füllen, gesehen werden. Wir können diese Geschirrspülmaschine zusammen mit seinem Stromkreis als idealisiert geschlossenes physikalisches System ansehen. In dieser Perspektive  die für den technischen Fachmann bzw. Konstrukteur essentiell ist, aber selbst ihm nur begrenzt kognitiv erschließbar ist  gibt es viele tausende mögliche Störfaktoren, welche unseren das Funktionieren unseres Geschirrspülers unterbinden könnten, von unterbrochenen Stromleitungen, verklemmten Schrauben bis zu verstopften Wasserschläuchen, und wir können uns verwundert fragen, wie es sein kann, dass solche technischen Geräte zumindest normalerweise so gut funktionieren und trotzdem so billig sind. Alternativ können wir die Geschirrspüle auch als teil eines evolutionären Systems ansehen, nämlich dem technisch-ökonomischen System, welches solche Geräte im Verlauf der technologischen Evolution hervorbringt. Diese Perspektive gibt uns zwar kein detailliertes Wissen über den physikalischen Aufbau der Geschirrspülmaschine, aber sie liefert eine evolutionstheoretische Erklärung dafür, dass diese Geschirrspülmaschinen normalerweise gut funktionieren und preislich erschwinglich sind, denn sonst hätten sie sich gegenüber den früheren Methoden des händischen Geschirrspülens nicht durchgesetzt.

Die bisherigen Überlegungen zeigen uns erstens, dass der Begriff des evolutionären Systems ein zentraler Grundbegriffe für alle Wissenschaften, die sich mit lebenden Systemen bzw. deren Produkten beschäftigen. Zweitens liefern sie die tiefere Erklärung dafür, warum wir in diesen Disziplinen fast niemals strikte Gesetze, sondern statistische bzw. normische Zusammenhänge vorfinden, die jedoch durchaus als gesetzesartig bezeichnet werden können, da sie keine akzidentellen Häufigkeitsbeziehungen wiedergeben, sondern das kausale Resultat einer anhaltenden evolutionären Adaptionsgeschichte an gewisse Umgebungsbedingungen sind (näheres dazu in Schurz xx). Natürlich liefert die Evolutionstheorie damit nur ein allgemeines Erklärungsschema für das Zustandekommen normischer Systemgesetze: sie erklärt nicht, warum diese Systeme genau diese Or­gane bzw. Subsysteme mit diesen Funktionen haben - dies hängt von größtenteils unbekannten kon­tin­gen­ten Bedin­gungen der Evolutions­ge­schichte ab. Es gibt bekanntlich funk­tio­nale Äquivalente: die­sel­ben Funktionen (z.B. Schutz vor dem Feind) können durch verschiedene Regulations­mecha­nismen bewirkt werden (z.B. Zu-Wehr-Setzen, Fliehen, Ver­stecken). Aber ir­gend­­­welche Or­gane mit irgendwelchen Funktionen, welche die Regu­­lation zur Ein­hal­­tung der Soll­zustände bewerk­stel­ligen, müssen alle durch Evolution hervor­gebrachte Systeme besitzen - das erklären die Evolu­tionstheorie, und es genügt für die Begründung des Zusammenhangs von evolutionärer und statistischer Normalität.

Die Fähigkeit zur Selbstregulativität von allen lebenden Systemen wurde auch vom wissenschaftstheoretischen Realisten Richard Boyd hervorgehoben; er spricht von homeostatic property clusters (xx, 141). Andererseits sind evolutionäre Systeme, im Gegensatz zu Boyds Auffassung gerade keine natural kinds, sondern wie wir gesehen haben (Kap. xx) historisch wandelbare 'kinds', da sich die selektiv relevanten Umgebungsparameter ändern können. Dagegen ist die ahistorische Identität von echten natural kinds, wie z.B. Konfigurationen der chemischen Elemente, durch Naturgesetze allein bestimmt (durch die zeitunabhängige Schrödinger-Gleichung) und nicht von kontingenten Umweltbedingungen abhängt.



Die Art der Grenzbildung zwischen System und Umgebung lässt sich systemtheoretisch weiter verfeinern. Die Grenze kann immer als Art kausale Schwelle verstanden werden, d.h. die die Kausalwechselwirkungen zwischen System und Umgebung sind deutlich schwächer als die innerhalb des Systems. Die einfachste Schwellenbildung ist die Abschirmung bzw. Panzerung  Einströmungen von außen (materieller oder energetischer Art) wird einfach ein Widerstand, ein reflektierender Panzer entgegengesetzt. Im perfekten Fall führt dies zu einem nahezu geschlossenen System  solche Systeme können aber nicht lebensfähig sein, denn zum Leben gehört Reproduktion, und Reproduktion erfordert, schon auf genetischer Ebene, einen Zufluss von Replikatorbausteinen sowie von anderen molekularen Bausteinen, welche Enzyme bilden. Dennoch hatte noch die Zellmembran der Prokaryonten, wie wir sahen, wesentlich eine Abschirmungsfunktion; die mureinhaltige Zellschicht der Bakterien lässt nur kleine Moleküle durch und schirmt vor allen größeren Eindringlingen ab; viele Pokaryonten können sich sogar über längere Zeit hindurch völlig abkapseln und bei Temperaturen unter 0 Grad Celsius oder in der Nähe von 100 Grad Celsius überleben (Ward/Brownlee xx).

Wie wir zeigten, war der evolutionäre Übergang zu Eukaryonten dadurch gekennzeichnet, dass diese starre 'Grenzsicherung' aufgegeben wurde zugunsten durchlässigerer Zellmembranen. Schon bei den tierischen Eukaryonten erfolgt der Übergang zu zwei fundamental wichtigen überlegenen Methoden der Selbstregulation und Identitätsbewahrung, die gemeinsam auftreten: (1.) Die Perzeption, d.h. die vorwegnehmende Indikation von sich nähernden, destruktiven oder auch vorteilhaften, Eindringlingen, was den Organismus in die Lage versetzt, darauf zu reagieren. (2.) Das zweite wichtige Selbstregulationssystem, das bei tierischen Organismen evolvierte, ist die Lokomotion bzw. Bewegung  dieser Mechanismus ermöglicht, in Kombination mit Perzeption, gezielt einer Gefahr auszuweichen oder sich einer potentiellen Belohnung (Nahrung, Sexualpartner) zu nähern. Die Amöbe bewegt sich beispielsweise entlang des chemischen ph-Gradienten, sodass sie sich immer im optimalen pH-Milieu befindet (Millikan 39; Biosematics?). Pflanzen sind dagegen statische Kreaturen, sie sind aufgrund ihrer nichtbeweglichen Natur nur in der Lage, gewisse organismische Veränderungen vorzunehmen; z.B. öffnen sie ihre Knospen bei Wärme, drehen ihre Äste oder Blüten zum Licht, usw., aber sie haben keine eigenen Sinnesorgane und kein Nervensystem, d.h. keinen sich ausspezialisierten Informationsverarbeitungsapparat Siehe Abb. xx

Abschirmung der Gefahr positiv./negativ.Einwirkung

Perzeption der Einwirkung

erwünschtes Eindringen
Ausweichmanöver oder

Einfangmanöver


Nahezu geschlossenes System Offenes System mit Perzeption und

Fast starre Systemgrenze Lokomotion  Permeable Systemgrenze

Abb. xx
Insbesondere in Kombination mit operater Konditionierung (Abb. xx) wird Regulation durch Perzeption & Lokomotion enorm effektiv; die meisten wirbellosen Tiere haben sich in dieser Dimension teilweise sogar hochgradig evolviert. Im Gegensatz dazu haben Pflanzen kein echtes Lernvermögen, sie sind nicht konditionierbar (es gibt bei Pflanzen nur konditionale angeborene Programme; d.h auf einen gewissen Reiz hin – Licht, Wärme, etc. – wird ein angeborenes Programm aktiviert, wie z.B. zum Licht drehen, Blüten öffnen, usw.).

Etliche Autoren haben versucht, eine feinere Skala von Selbstregulationssystemen vorzunehmen. Campbell (58f) unterscheidet in diesem Sinn zwischen: 1.) Nicht-mnemonisches lokomotorisches Problemlösen, blindes Hin- und Herbewegung ohne Perzeption und Gedächtnis ('mnemonisch') bis man an Nahrung kommt; 2.) stellvertretendes lokomotorisches Problemlösen mittels Sinnesrezeptoren; 3.) Instinkt und 4.) Gewohnheit, d.h. Konditionierung (60). Darüber hinaus geht dann die fünfte Stufe 5.) durch Sehen unterstütztes konkret-räumliches Denken (65), und 6.) gedächtnisunterstütztes Denken. Dieser Schritt tritt bei Wirbeltieren auf  beispielsweise gibt es gewisse Mäuse (xx?), welche sich evtl. komplexe Wege durch Punkt-für-Punkt-Konditionierung merken, über diverse Zwischenstationen, ohne sich dabei ein räumliches Bild des Weges aufzubauen, mit dem sie etwa erkennen könnten, dass ihr Punkt-zu-Punkt-Pfad einen enormen Umweg darstellt; während andere Wirbeltiere solche Umwege erkennen und Abkürzungen einschlagen können (siehe BandLorenz EvolEpist) – siehe Abbildung. In der kognitiven Psychologie spricht man im letzteren Fall auch von mental maps.


Ziel

Abkürzung


Start
Lokal konditionierter Pfad; an jeder Globales räumliches Pfadmodell;

Pfadänderung wird durch einen erkennt Abkürzungen durch

konditionierten Stimulus + Response bewirkt inneres räumliches Modell
Abb.: xx Lokales vs. räumlich-globales Pfadmodell
Als weitere Stufen der Selbstregulation führt Campbell 7.) soziale Evolution und Nachahmung, 8.) 8. Sprache; 9. kulturelle Evolution und 10. Wissenschaft an (65). Dennet (520ff) unterscheidet insgesamt vier Selbstregulationsstufen, 1.) Darwin-Geschöpfe (genetisch programmiert), 2.) Sinner-Geschöpfe (Konditionierung), 3.) Popper-Geschöpfe (innere Modelle/Hypothesen, die überprüft werden), 4.) Gregorianische Geschöpfe mit Werkzeuggebrauch, sowie 5.) der Sprache mächtige Geschöpfe, als Vorbedingung für lange Gedankenzüge.

Insbesondere Maturana/Varela haben betont, dass höhere Formen der Selbstregulation immer auch Selbstorganisation umfassen; schon die Fähigkeit zur Reproduktion ist eine Art Selbstorganisation. Maturana und Varela betonen auch, dass die relevanten Umgebungsbedingungen immer relativ sind zur jeweiligen ökologischen Nische, an die sich der Organismen angepasst hat, und die er sich teils selbst konstruiert hat. Wie von einem Organismus wahrgenommene 'Welt' ist eine Selektion der 'objektiven' Welt relativ zur ökologischen Nische des Organismus. Diese Einsicht hat allerdings wenig mit dem radikalen erkenntnistheoretischen Konstruktivismus zu tun, den viele (teils die Autoren selbst) aus ihrer Einsicht herauslesen, denn was für unterschiedliche Organismen in spezifischen Nischen relevant ist, ist objektiv gegeben, und nur wenn sich der Wahrnehmungsapparat erfolgreich daran anpasst, wird er genau die relevanten Parameter erfassen. Höhlenbewohner, die unter Tage wohnen, können es sich leisten, ihren Sehsinn zu verlieren, nicht aber ihre anderen vier Sinne. Der Raubvogel muss nicht die verschiedenen Farben von Blüten auseinanderhalten können, wohl aber sich schnell bewegende kleine Objekte aus der Luft erkennen können, um zu überleben. Usw.


3.2 Evolution als rekursiver Algorithmus  drei Module und ein Constraint
Evolutionäre Systeme sind zusammenfassend ein Unterfall selbstregulativer offener Systeme, welche sich gemäß unseren Ausführungen durch die drei darwinschen Module wie folgt charakterisieren lassen  wir beziehen die darwinschen Module nun explizit auf die 'systemtheoretische' Begrifflichkeit. Überdies unterscheiden wir zwischen schwacher und starker Selektion.
Evolutive Systeme sind offene selbstregulative Systeme, die den drei darwinschen Modulen genügen:

1. Reproduktion: Sie reproduzieren sich (im erläuterten Sinne von Reproduktion; ein Unterfall davon ist Replikation) in Zyklen von aufeinanderfolgenden Generationen, welche die diskrete evolutionäre Zeit definieren. Dabei wird nicht alles, aber Wesentliches reproduziert: die Repronen (im erläuterten Sinn) gehören zu ihren Systemparametern; die phänomenologischen Systemmerkmale werden zu erheblichem Teil durch Repronen (in Interaktion mit der Umgebung) bewirkt; solche phänotypischen Merkmale, welche probabilistisch überwiegend durch die Repronen bestimmt werden, heißen vererbliche oder auch phänotypische Systemmerkmale.

2. Variation: Durch verschiedene Prozesse kommt es zu Variationen in den Repronen, und in Folge, in den phänotypischen Merkmalen der evolutiven Systemen, und zwar zu Variationen, die mitreproduziert und somit an die nächste Generation weitergegeben werden.



3. Selektion: Die Reproduktionsrate unterschiedlicher Varianten eines evolutiven Systemtyps sind unterschiedlich. Die sich schneller reproduzierenden evolutiven Systeme werden auch die fittesten genannt. Dadurch kommt es zu schwacher Selektion; d.h. die relative Populationshäufigkeit der sich am schnellsten reproduzierenden Varianten wird immer größer. Überdies ist der absoluten Populationshäufigkeit im Regelfall durch Ressourcenbegrenzung der Umgebung obere Grenzen gesetzt. Dadurch kommt zu starker Selektion; d.h. die die Häufigkeit der sich weniger schnell reproduzierenden Varianten nimmt nicht nur ab; sondern irgendwann sterben diese Varianten aus.
Dennett hat hervorgehoben, dass die drei darwinschen Module einen algorithmischen Prozess bewirken (64f), wobei er als zentrale Eigenschaften eines algorithmischen Prozesses folgende hervorhebt. Erstens, der Prozess ist gegenstandsneutral, bzw. mathematisch-abstrakt, und kann zumindest im Prinzip in unterschiedlichen Gegenstandsbereichen implementiert werden (beispielsweise sogar in Form eines Computerprogrammes; s. Dennett xx). Genau diese Eigenschaft ist natürlich fundamental für die Möglichkeit einer verallgemeinerten Evolutionstheorie, die mehr als eine bloße Metapher ist  nämlich eine abstrakte Theorie. Zweitens, der Algorithmus bestehe aus grundlegend einfachen 'Schritten', nämlich a) die Reproduktion der Repronen des Systems, b) ihre Variation, c) die kausale Erzeugung von Phänotypen, sowie d) die Selektion qua unterschiedlicher Reproduktionsrate, die durch Fertilitäts- und Vitalitätsfitness zustande kommt. In der Theorie der Algorithmen wird angenommen, dass diese einfachen Schritte letztlich auf logisch-arithmetische Grundoperationen zurückführbar sind. 3.) führt Dennett ein 'garantiertes Ergebnis' an, welches der Algorithmus produziert. Dennett übersieht allerdings neben der Gegenstandsneutralität einen weiteres und philosophisch vielleicht noch bedeutenderes Charakteristikum des darwinschen Algorithmus, nämlich seine Rekursivität (vgl. auch Boyd/Richerson 20f)  d.h. dieselbe Sequenz von einfachen Schritten (a-d oben) wird immer wieder auf das zwischenzeitlich produzierte Ergebnis angewandt, sodass aus den lokalen algorithmischen Schritten eine globale bzw. historisch fernwirksame Entwicklung entsteht, die keineswegs schon 'in der inneren Natur' der lokalen Rechenschritte steht, sondern nur evolutionär verstanden und erklärt werden kann. Die Rekursivität ist im Prinzip das Geheimnis aller algorithmischen Prozesse, das darin besteht, das aus der Iteration von erstaunlich simplen Grundelementen evtl. hochgradig komplexe Strukturen entstehen, die aussehen, als hätte sich ein 'überlegener Designer' entworfen  wir haben ein solches Beispiel anhand der Fraktale in Kap. xx kennen gelernt. Auch die Charakterisierung von formalen Sprachen, von formalen Logiken, sowie alle Computerprogramme, bauen ganz wesentlich auf solchen rekursiven Prozeduren auf.

Wir haben zwischen verschiedenen Arten von Reproduktion, Variation, und Selektion bzw. Fitness differenziert. Eine wichtige Unterscheidung, neben der zwischen Fertilitäts- und Vitalitätsfitness, ist die zwischen bewahrender Selektion und aufbauender Selektion (Millikan unterscheidet zwischen main­­te­nance und building selec­tion; 1989a, 46f). Selektion zugunsten eines bestimmten Reprotyps ist nicht nur nötig, um nach dessen erster Entstehung durch Mutation seine Häufigkeit hochzutreiben (aufbauende Selektion), denn die Wahrscheinlichkeit von disfunktionalen Mutationen bzw. Variationen ist immer größer als die Wahrscheinlichkeit von verbessernden Selektionen, sodass ohne Bewahrungsselektion sich zwangsläufig mit der Zeit disfunktionale Varianten ausbreiten würden. Auf Inseln, in denen dort eingewanderte Vögel keine natürlichen Feinde hatten, verloren sie ihre Flugfähigkeit; unter Tage lebende Säugetiere wurden blind; der zelluloseverdauende Darm der Affen verkümmerte beim Menschen, usw. usf. Nur wenn der Selektionsdruck, der eine Variante ursprünglich aufgebaut hat, an hält, bleibt die Häufigkeit der Variante hoch. Wir haben das Problem der bewahrenden genetischen Selektion beim Menschen bereits im Zusammenhang mit der Interaktion von genetischer und kultureller Selektion angesprochen und die darin brisante Wertproblematik im Zusammenhang mit der Eugenik erkannt, und werden darauf in Kap. xx eingehen.

Weitere Differenzierungen von Fitness betreffen die Kombination unterschiedlicher Repronen, die dasselbe phänotypische Merkmal beeinflussen und wir haben sie ebenso schon erwähnt (Ridley 194f): im Fall der Biologie wird z.B. zwischen wie folgt unterschieden: bei der additive Fitness sind zwei Gene für ein Merkmal parallel bzw. disjunktiv geschaltet, d.h. beide tragen zur Produktion des Merkmals bei (z.B. zwei Enzyme welche dasselbe Produkt katalisieren); bei der multiplikativen Fitness sind sie in Serie bzw. konjunktiv geschaltet; d.h. das Merkmal entsteht nur, wenn beide Gene wirksam sind (z.B. zwei Chromosomenstränge, die für aufeinanderfolgende Phasen der Embryonalentwicklung verantwortlich sind); es gibt aber noch komplexere Fälle von Fitnessinteraktion.

Wir haben in Kap. xx darüber hinaus ein wesentliches Constraint dafür formuliert, damit einfache gerichtete Evolution zustande kommt:


Constraint für simple gerichtete Evolution: Die zeitliche Änderungsrate der selektiv wirksamen (i.e., die Fitness beeinflussenden) Umgebungsparameter ist entweder gering (liegt um einige Zehnerpotenzen unter der Reproduktionsrate), oder aber regulär und voraussagbar (z.B. periodisch); und sie ist entweder unabhängig von der Häufigkeit der Varianten.
An der Formulierung ist die Schwierigkeit dieser Bedingung erkennbar. Man unterscheidet in der Evolution Spezialisten und Generalisten; letztere passen sich an wechselnde Bedingungen an (vgl. Sober 1993, 21). Einfaches Beispiel ist die Anpassung der Lebewesen an die Tages- und Jahreszeiten; ein komplexes Beispiele ist etwa das amphibischen Pfeilkraut, dessen Blätter unter Wasser seegrasähnliche, auf dem Wasser seerosenblattähnliche und auf dem Land pfeilförmige Form annimmt (Wilson 1998, 185f). Am meisten Generalist ist zweifellos der Mensch. Einer These zufolge hat die Evolution komplexe Kognition mit general purpose Lernen deshalb in letzten Jahrmillionen begünstigt, weil es so dramatische Klimaschwankungen gab (Boyd/R. 329ff); bei allen Säugern fand nämlich eine Selektion hin zu größeren Gehirnen statt. Die wechselnden Bedingungen dürfen aber weder unvoraussagbar sein noch eine zu große Schwankungsbreite umfassen, sonst wird Adaptation unmöglich (vgl. Futuyama 1979, Schurz 2000). Der schon erläuterte Fall häufigkeitsabhängiger Fitness schließlich muss nicht, wie schon erläutert, gerichtete Evolution verhindern. Z.B. verhindert monoton positive Abhängigkeit von der eigenen Häufigkeit nicht Gerichtetheit, sondern beschleunigt sie. Negative Selbstabhängigkeit führt dagegen zu periodischen Schwingungen. Abhängigkeit von anderen Varianten, wie in der Spieltheorie, ist generell schwer voraussagbar  ein Grund dafür, warum, wie wir sehen werden, die evolutionäre Dynamik von Interaktionsspielen so schwer voraussagbar ist.

Ein weiterer wichtiger Punkt, der generell betrachtet werden kann, ist das Tempo der Einwicklung einer Variante. Dies wird dann von Bedeutung, gegenüber simplen Reproduktionsszenarien, wenn die Entstehung eines neuen Reprotyps durch Variation eine gewisse Zeit braucht, um sich phänotypisch zu organisieren und zur Entfaltung zu gelangen  was insbesondere im Bereich der Gruppenselektion und der KE der Fall ist, wo eine gewisse soziale Strategie erst dann wirklich erfolgreich ist, wenn sie von hinreichend vielen Personen gespielt wird und sich ihre spezielle kulturelle Nische konstruiert hat. In diesem Fall kann es passieren, dass eine Variante, die zu ihrer Herausbildung weniger Zeit braucht als eine andere, die andere verdrängt, auch dann, wenn sie im Endstadium ihrer Entwicklung  also hätte sie genug Zeit gehabt  der ersteren Variante überlegen gewesen wäre. Im Bereich der evolutionären Betrachtung der Menschheitsgeschichte hat speziell Diamon auf solche tempobedingte Verdrängungen von einigen durch andere Kulturen aufmerksam gemacht, und wir werden sie in Kap. xx studieren. Diamond zeigt, dass die europäische Gesellschaft mit dem schnellsten Tempo die anderen Völker mit ihren Errungenschaften häufig überlaufen und deren weitere Evolution verhindert hat. Stattdessen wurden die anderen Völker erst politisch-militärisch und dann zumindest noch wirtschaftlich fremdbestimmt; politisch gegen ihren Willen, wirtschaftlich aber weitgehend gemäß ihrem Willen. Kurz gesagt: der Grund, warum die industrielle Gesellschaft nur in Europa entstand, war nur, dass sie dort zuerst entstand. Dasselbe Denkschema könnte man auch auf den so genannten Niedergang sozialistischer Gesellschaften anwenden. Es ist klar, dass sozialistische Planwirtschaften im Tempo der industriellen Entwicklung langsamer waren als kapitalistische. Auch die Tempobetrachtung könnte auch die vernünftigste Antwort auf die Frage sein, was den Menschen von höheren Primaten oder anderen höheren Säugern denn wirklich unterscheidet? Wie wir gesehen haben, gibt es keine menschlichen Fähigkeiten, die nicht rudimentär auch beim ersten oder zweiten Schimpansen vorhanden wären (wir Menschen sind ja der dritte Schimpanse)  weder Verstand noch Sprache noch soziale Intelligenz noch die Fähigkeit zur kulturellen Evolution. Warum hat kulturelle Evolution dann nur beim Menschen stattgefunden? Hier eine typische evolutionstheoretische Antwort: der 'Quantensprung', die 'kritische Masse', setzte beim Menschen als erstes ein. Nach sagen wir weiteren 5 Millionen Jahren nach homo erectus (also 3 Millionen Jahre in der Zukunft) hätte eine solche Entwicklung durchaus auch in anderen Spezies stattfinden können, aber Mensch hat ja schon alles ausgerottet oder auf nicht-evolutionsfähige Reservate reduziert.



Wir gehen abschließend auf einige weitere wissenschaftstheoretische Aspekte des darwinschen Algorithmus ein. Oftmals wird der Evolutionsgesetz vorgeworfen, ihr Gesetz vom Überleben der fitteren Varianten sei eine Tautologie, denn die Fitteren sind eprd definitionem die Varianten mit höherer Reproduktionsrate (ebenso Sober 1993, 71). Diesen Tautologievorwurf an die Evolutionstheorie haben einige Autoren als bedrohlich angesehen und durch den Hinweis verteidigt, man könne Fitness auch unabhängig von Reproduktionsrate definieren (so Vollmer 1988, 260). Doch eine generelle Definition von Fitness kann wie erläutert nur über die Reproduktionsrate erfolgen, da Fitness relativ zur Umgebung bzw. ökologischen Nische ist und keine sopeziesinvariante definition erlaubt. Auch Sober bemerkt, dass das Selektionsgesetz, auch wenn man es populationsdynamisch ausformuliert, eine mathematisch-statistische Wahrheit folgender Form ist: wenn die Systemparameter und Umgebungsparameter einer gemischten Population von konkurrierenden evolutionären Systemen genau so-und-so justiert sind und stabil bleiben, genau die-und-die langfristigen Veränderungen der Populationshäufigkeiten resultieren. Diese Implikation ist mathematisch-analytisch wahr  im Gegensatz etwa zur Hypothese der elliptischen Bahnen der Planeten, welche synthetisch wahr sind. Sober gelingt es m.E. nicht, dieses Problem aufzulösen (xx). Ich denke aber, das Problem löst sich wie folgt. Es gibt in evolutionären Bereichen aus erläuterten Gründen keine eigenen Naturgesetze über ontologisch eigenständige 'evolutionäre Kraftarten', sondern nur Systemgesetze. Andererseits ist es nicht möglich, die Systemgesetze komplexer Makroorganismen auf Naturgesetze und die molekulare Mikrostruktur der Organismen im strikten Sinn zu reduzieren, d.h. mathematisch daraus abzuleiten  das übersteigt jede menschlich bewältigbare Komplexitätsschranke. Aus diesem Grund umfassen die Antecedensbedingungen evolutionärer Erklärungen nicht nur zeitlich kontingente Bedingungen, sondern auch die zentralen Parameter der Evolutionstheorie: es ist nicht naturgesetzlich gegeben, sondern muss im Modell als separate empirische Hypothese angenommen werden, dass die vorhandenen evolutionären Kräfte von der-und-der Art sind (Repropduktionsraten, Mutationsraten. usw.). In der Physik würde entsprechendes vorliegen, wenn man in das Antecedens des Planetengesetzes auch noch das newtonsche Kernaxiom und das Graviationsaxiom hineinnehmen würde (wenn Kraft gleich Masse mal Beschleunigung ist, und die Gravitationskraft so und so von Massen und Massenentfernung abhängt, dann  )  die so formulierten physikalischen Entwicklungsgesetze wären dann ebenfalls mathematisch-analytisch wahr. In anderen Worten, der gesamte empirische Gehalt evolutionärer Erklärungen liegt  nicht in der generellen populationsdynamischen Implikation, sondern  in den komplexen Antecedensbedingungen, welche insbesondere auch die Annahme umfassen, dass das betrachtete System in der gegebenen Umgebung tatsächlich die darwinschen Module besitzt, sowie eine gewisse Umgebungsstabilität besitzt. Das gleichzeitige Zutreffen aller drei Evolutionsmodelle, zusammen mit einer gewissen Umgebungsstabilität, ist nun aber enorm gehaltvoll  es ist in der Tat eine im Universum eine extrem seltene, wenn nicht einzigartige Erscheinung ist.

Die Gehaltstärke der darwinschen Module wird auch ersichtlich, wenn man fragt, was denn eigentlich passiert, wenn einige davon wegfallen. Erstens, wenn es keine selektiv relevante Variation gibt, dann kann evolutionär langfristig gar nichts passieren. Beispiel dafür wäre ein Laplacescher Determinismus, oder ein Universum im ‚Wärmetod‘ gemäß klassisch-thermodynamischer Vorstellung. Zweitens, angenommen es gibt Variation und Selektion durch Langlebigkeit, aber keine Reproduktion: in diesem Fall entstehen Protoevolutionen, wie wir sie in Kap. schon angedeutet haben, mit begrenztem Möglichkeitsraum und nicht anhaltend kumulativem Effekt. Die Folgen des Wegfalls von Reproduktion zeigen sich auch drastisch in unserer Kulturgeschichte: wie oft schon hat ein einsamer Gelehrter oder Erfinder eine Idee vorweggenommen, die zu seiner Zeit nicht genügend bekannt wurde, um tradiert zu werden; hinter der ‚Lehrbuchversion’ unserer Kulturgeschichte liegt eine verlassene ‚Müllhalde’ von teilweise großartigen, aber allesamt nicht reproduzierten und daher vergessenen Ideen. Was passiert schließlich, wenn es Variation und Reproduktion gibt, aber die Selektion im schwachen Sinn wegfällt? Dann werden sich alle Varianten gleichhäufig reproduzieren, und unser Universum wird von Kreationen der Variation überbevölkert werden. Wenn es schließlich Selektion im schwachen, aber nicht im starken Sinn gibt, dann werden zwar theoretisch ebenfalls keine Varianten aussterben, aber die Häufigkeiten der Varianten werden exponentiell auseinanderstreben, was in Bezug auf relative Häufigkeiten heißt, dass sich diese auf eine polynomische Reihe von -Funktionen hinzubewegen, mit immer kleiner werdendem  (die sich am schnellsten vermehrende Variante hat Häufigkeit 1-, die nächstfolgende k1., die nächstfolgende k22, usw.; man kennt dies von der infinitesimalen Wahr­­schein­lichkeitssemantik; vgl. Schurz 2000). Im Bereich der biologisch-genetischen Evolution ist derartiges durch ökologische Ressourcenbeschränkung nicht möglich. Doch in gewissen Bereichen des gegenwärtigen westlichen ‚Kulturpluralismus‘ scheint in der Tat derartiges stattzufinden: zwar wird keine Kulturform aktiv behindert, doch nur bestimmte Kulturformen vermehren sich schnell (Unterhaltung im Stile Hollywoods), andere Kulturformen sterben von selbst aus, bis auf ein paar ständig kleiner werdende Eliten die diese ‚unpopulären‘ Kulturformen (wie Theater, intellektuelle Literatur, etc.) weiter pflegen.


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