Ähnlich liegt es mit den spezifischen Bedingung unseres Planetensystems. Jeder Sterne hat um sich herum eine bewohnbare Zone (habitable zone HZ) in der Planeten kreisen müssen, damit die Temperatur weder zu klein noch zu groß für leben ist, also flüssiges Wasser ermöglicht. Diese HZ ist aufgrund er Tatsache, dass sie sich in Jahrmilliarden verschiebt, aber die Evolution Jahrmilliarden braucht, noch geringer als sie es zu jedem Zeitpunkt ist; etwa 5% des Radius auf dem unsere Planeten liegen. Wäre Sonne 50% schwerer, so würde sie schon nach 2 Milliarde Jahren ausbrennen und roten Riesen werden und die Zeitspanne wäre zu kurz für Evolution. Wäre die Sonne dagegen viel kleiner als sie es ist 95% aller Sterne des Universums sind viel kleiner als Sonne dann wäre die HZ weiter innen und die Gefahr, dass der Planet gegen die Sonne driftet, oder eine Drehsperre erhält (so wie der Merkur, welcher der Sonne immer dasselbe Gesicht zuwendet, oder der Mond im Verhältnis zu Erde), sodass sich eine Halbkugel sehr aufheizt und die andere sehr abkühlt, wäre sehr groß. Wäre die Erde 5% näher an Sonne, so hätte sie einen aufschaukelnden Treibhauseffekt durchgemacht (Hart, Ward(Brownlee); wäre sie 1% entfernter dann aufschaukelnden Vergletscherungseffekt. Hätte die Erde keinen Eisenkern, der durch Atomreaktionen Hitze erzeugt, und damit Konvektionsströme der Magma erzeugt, welche ihrerseits die Plattentektonik und das Magnetfeld der Erde bewirken, dann gäbe es keine Gebirgsformationen und auf lange Sicht wurden Böden zu Staub erodieren, ins Meer wandern, der steigende Meeresspiegel alles überfluten (Ward/Brownlee). Es gäbe auch keinen Thermostat-Effekt der CO2-Rezyklierung, und insbesondere hätte die Erde kein Magnetfeld, welches lebensfeindliche harte kosmische Strahlung ablenkt.
Ward/Brownlee (xx) schließen aus ihren Überlegungen, dass es vermutlich zwar irgendwo extraterrestrisches Leben auf Prokaryontenebene gibt, dass aber die Entstehung alles komplexeren höheren Lebens extrem unwahrscheinlich ist, sodass es gut möglich ist, dass die Menschen überhaupt die einzigen intelligenten Spezies im ganzen Universum sind. Die Bedingungen für Leben sind also derart unwahrscheinlich, dass man sich fragen, warum sie gerade in unserem Planetensystem vorhanden sind. Diese Überlegung führt zum anthropischen Prinzip(AP) von dem es eine schwache und eine starke Form gibt. Das schwache AP, sagt lediglich, dass unsere Universum, unsere Region des Universums, unsere Sonne, unser Planetensystem, und unser Planet so speziell sind, weil darin hochentwickeltes Leben evolvierte. Das schwache AP ist extrem missverständlich, denn alles hängt davon ab, wie man das "weil" auffasst. Wenn man es als begründendes, aber nicht erklärendes "weil" auffasst (s. die wissenschaftstheoretische Diskussion um Begründung vs. Erklärung; Schurz xx), ist das schwache AP harmlos. Wenn man das "weil" aber als erklärendes auffasst, dann wird das schwache AP im Grunde bereits so weit gestärkt, dass es irgendeine Form des starken AP impliziert. Eine kausale Lesart des "weil" ist ausgeschlossen, da hier ja das Vergangene durch das Zukünftige erklärt wird. Liest man das "weil" als ein "damit" im genuin teleologischen Sinn, so wird daraus eine teleologische Naturerklärung. Liest man es als intentionales "weil", dann wird daraus ein abstrakter Kreationismus (vgl. Davies xx). In der Tat wurde aus dem starken AP eine neue auf Kosmologie gestützte Begründung eines liberal kreationistischen oder aber teleologischen Weltbildes gesehen. Ist dies plausibel?
Wie schon ausgeführt, gibt es eine abstrakte Version des Kreationismus, die nicht Tatsachenbezogen sondern nur methodologisch kritikabel ist jene, Version ,die sagt, wie immer die Welt beschaffen sei, wäre deren letzte Erklärung ein höheres Wesen, welches sich geschaffen hat. Eine solche Hypothese ist leer und erklärt nichts, solange nichts zusätzliches über dieses Wesen ausgesagt hat, welches gewisse gehaltvolle Konsequenzen besitzt sie fällt unter das Ockhamsche Rasiermesser und ist wissenschaftlich überflüssig. Der Vertreter des starken AP kann dagegen einwenden, dass er nicht gegen das Ockhamsche Rasiermesser verstößt, da es einen spezifischen Grund für seine Hypothese gibt, nämlich die extreme Unwahrscheinlichkeit des Explanandums, der Evolution, gegeben unser Wissen über Naturgesetze allein (also über das, was alle physikalisch möglichen Universum gemeinsam haben). Ich denke, dies ist ein ernstzunehmender Einwand, und wir müssen uns zu seiner Diskussion einerseits die möglichen alternativen Erklärungen und andererseits die Einwände gegen abstrakten Kreationismus oder Teleologie ansehen. ansehen. Zunächst ist zu betonen, dass gegenwärtige Wahrscheinlichkeitsabschätzungen über die Entstehung des Lebens derart spekulativ sind, dass viele empirisch orientierte Wissenschaftler solche Fragen ohnedies als zu spekulativ empfinden würden. Aber nehmen wir an, es sei tatsächlich so, wie es die angeführten Vermutungen sagen.
1) Erstens bleiben immer noch die grundsätzlichen Einwände gegen abstrakten Kreationismus oder Teleologie. So haben wir bereits ausgeführt, dass die Erde im Laufe ihrer Entwicklung von neun bekannten großen Massenvernichtungen von Spezies heimgesucht wurde (Ward/Brownlee 188), worin die Evolution jedesmal am Rande ihres Grabes war, und es fragt sich, wie ein intentional agierender Schöpfer dies zulassen konnte. Immer noch sprechen alle Disfunktionalitäten der Evolution gegen den Kreationismus. Es muss ein höchst seltsames Wesen sein, das alles, was passiert ist (egal nun, ob das Wesen allgütig war oder nicht). Wenn das aber nicht der Fall war, dann war das Wesen nicht allmächtig, aber in diesem Fall verschwindet die Erklärungskraft des Kreationismus, denn es ist dann unbekannt, was vom Wesen jeweils bewirkt wurde und was allein durch Naturgesetze oder durch Zufall. Was die Teleologie betrifft, so bleibt die Tatsache bestehen, dass bislang teleologische Kräfte sui generis sich niemals auch nur indirekt empirisch nachweisen ließen.
2) Zweitens gäbe es die alternative Erklärung, dass 'wir' eben enormes Glück gehabt haben im statistischen Sinn von Glück. Genauso wie es vorkommt, dass ein Roulettspieler 6 mal hintereinander auf die richtige Farbe setzt. Umso höher wäre die moralische Verantwortung der Menschheit anzusetzen, die Wunder, welche die Evolution hervorgebracht hat, nicht zu zerstören, sondern sich nachhaltig weiterentwickeln zu lassen.
3) Auf Grund der Schwierigkeit, etwas über die wenigen anderen Planetensysteme herauszufinden, ist die Evidenz derart lückenhaft, dass die Untersuchung über die Wahrscheinlichkeit der Entstehung von Leben innerhalb unseres Universums kaum weiterkommt. jedenfalls haben wir angedeutet, dass es auch in unserem Universum zahlreiche prä-evolutionäre Prozesse gibt, welche die sukzessive Entstehung von stabilen Planetensystemen bis zu gewissem Grad erklären.
4) Was die spezielle Struktur unseres Universums selbst begrifft, so müsste man zu dessen Erklärung eine 'Evolution von Universen' postulieren. Einen solchen spekulativen Versuch hat Smolin unternommen, der vorschlägt, dass aus jedem Kollaps eines schwarzen Loches sich ein neues Universums in eine neue Raumzeit herausstülpt, eine Art Tochteruniversums, deren Parameter jenen des Mutteruniversums ähnlich sind. Da nun die Wahrscheinlichkeit von schwarzen Löchern umso größer ist, je mehr große Sterne es gibt, und daher, je mehr Kohlenstoff produziert wird, haben jene Universen am meisten Nachkommen, in denen es am meisten schwarze Löcher und daher große Sterne gibt, welche Molekülnebel um sich herum produzieren, die auch schwerere Elemente wie Kohlenstoff oder Sauerstoff und daher Wasser enthalten. Dies sind aber genau auch jene Bedingungen, welche die Evolution biologischen Lebens begünstigen. Kurz gesagt, die sich am schnellsten reproduzierenden Typen von Universen sind zugleich jene, welche Evolution von Leben begünstigen.
Wie immer es mit solchen spekulativen Erklärungen bestellt sei, kann doch nichts am wissenschaftstheoretischen Faktum ändern, dass zuletzt in allen wissenschaftlichen Erklärungsketten ein unbeantwortetes großes "Warum?" verbleibt, z.B. warum die Naturgesetze, abgesehen von den Werten der Naturkonstanten, gerade die und nicht andere Form haben, sodass letztlich immer Raum für metaphysisch-transzendente Spekulation bleibt, die als solche nicht den Status einer wissenschaftlichen Hypothese besitzt, aber natürlich ihre geistige Berechtigung hat.
3. Ausarbeitung der verallgemeinerten Evolutionstheorie
3.1 Systemtheoretische und wissenschaftstheoretische Grundlagen
Nach alledem versuchen wir in diesem Kapitel, die Begriffe und Annahmen der VA möglichst allgemein und abstrakt zu beschreiben (im nächsten Kap. werden wir deren mathematische Konsequenzen ebenso allgemein und abstrakt behandeln). Hierzu benötigen wir zunächst den Begriff des evolutionären Systems, und um diesen zu entwickeln, sind zunächst einige systemtheoretische und wissenschaftstheoretische Grundlagen nötig. Systemtheorie, Kybernetik und Wissenschaftstheorie sind drei interdisziplinäre Rahmendisziplinen bzw. Paradigmen par excellance, und alle drei sind nötig, um in diesem Rahmen die VE als vierte Rahmendisziplin zu entwickeln.
Unsere Welt besteht nicht aus isolierten Dingen bzw. Individuen mit gewissen intrinsischen Eigenschaften, die man isoliert treffend beschreiben könnte, sondern es gibt diverse ontische bzw. kausale Zusammenhänge. Andererseits hängt auch nicht alles mit allem signifikant zusammen glücklicherweise, sonst wäre jeder Beschreibungsversuch aufgrund der Hyperkomplexität hoffnungslos. Vielmehr gruppieren sich die vernetzten Dinge der Welt in gewisse Systeme, welche gewisse stark miteinander zusammenhängende Teile enthalten, jedoch vergleichsweise weniger Abhängigkeiten zur Umgebung aufweisen. Deshalb beschreibt man in der Wissenschaft die Welt bzw. Teilbereiche davon üblicherweise in der Form von Systemen. Zunächst einige Grundbegriffe der (naturwissenschaftlich orientierten) Systemtheorie, so wie sie von Bertalanffy 1979 und Rapaport 1986 entwickelt wurde (zur sozialwissenschaftl. orientierten Systemtheorie vgl. Willke 1987).
Betrachtet man die Entwicklung eines Systems in der Zeit, abhängig von seinen inneren und äußeren Bedingungen, so spricht man von einem dynamischen System (für das folgende vgl. van Gelder, Leitgeb, etc. Die (meist kontinuierlichen) Größen bzw. Variablen, welche den Zustand des Systems (zu einer Zeit) vollständig charakterisieren, nennt man die Systemvariablen; jene Systemvariablen, welche kausal unabhängig von anderen Systemvariablen manipulierbar sind, heißen die unabhängigen; die anderen die abhängigen Systemvariablen. Gewisse intrinische und meist theoretische, d.h. nicht direkt beobachtbare Systemvariablen, welche das langfristige Verhalten des Systems bestimmen, nennt wir auch die Systemparameter. Gewisse Parametersetzungen d.h. Setzungen der Systemparameter(variablen) auf gewisse Werte, bzw. Einschränkungen auf Wertintervalle, bestimmen den Typ des Systems; die Menge dieser typbestimmenden Parametersetzungen nennen wir auch Systembedingungen. Die empirische beobachtbaren Systemvariablen nennen wir die phänomenologischen Systemmerkmale (Hinweis: Haken, etc. – nachsehen Systemparameter). Jene Parameter der Umgebung, welche mit dem System signifikant kausal interagieren, und eine gewisse kausale Eigenständigkeit besitzen, nennen wir die Umgebungsparameter, und die Setzung dieser Parameter auf gewisse Werte oder Einschränkung auf Wertintervalle sind die Systembedingungen. Die Zustandsentwicklung eines Systems in der Zeit heißt auch (zeitabhängige) Trajektorie; die Menge aller möglichen Zustände (Parameterwertkombinationen) des Systems heißt sein Zustandsraum, und die Menge seiner möglichen zeitlichen Entwicklungsverläufe sein Trajektorienraum. Mit 'möglich' wird dabei systemgesetzlich möglich verstanden, denn jeder Typ von System gehorcht nicht nur den universalen Naturgesetzen, sondern auch spezifischen Systemgesetzen, welche durch seine Systembedingungen sowie die Umgebungsbedingungen gegeben sind.
Ein Beispiel: beim System des (idealisierten) Gravitationspendels sind der Ort der Pendelspitze in Abhängigkeit von der Zeit sowie dessen zeitliche Ableitungen (Geschwindigkeit, Beschleunigung, etc.) die empirischen Systemvariablen; Systemparameter sind die Pendellänge (nicht aber die Masse, denn davon ist das Systemverhalten unabhängig); Umgebungsparameter sind die Gravitationskraft; und die Systembedingungen legen fest, dass das Pendel an einem starren Punkt aufgehängt ist und frei schwingen kann, sowie das Masse und Gravitationskraft größer null sind, aber unter der Reißfestigkeit liegen. Die Systembedingungen spezifizieren auch ein theoretisches Modell des jeweiligen Systemtyps. Für jeden Systemtyp müssen die Systemvariablen, Systemparameter, Umgebungsparameter, System- und Umgebungsbedingungen spezifiziert werden, aber nicht notwendigerweise vollständig, sondern nur soweit, soweit dies für die betrachtete Frage wichtig ist. Je mehr tatsächlich vorhandene System- und Umgebungsvariablen man in der Beschreibung außer Acht lässt, desto abstrakter bzw. idealisierter wird das System. Bei einer Taubenpopulation wären in einem populationsdynamischen Systemmodell die empirischen Variablen z.B. die Bevölkerungsdichte und die geographische Ausbreitung sein; die Systemparameter wären z.B. verschiedene Taubenvarianten, deren Reproduktionsraten, Mutationsraten, und Reproduktionsrate, die Umgebungsparameter wären z.B. die Selektionskoeffizienten. Die Systembedingung können in diesem Fall wegen der Komplexität lebender Systeme nicht einmal idealisierend vollständig angegebene wären, sondern nur funktional beschrieben werden, in dem Sinn, dass die Tauben alle für das normale Funktionieren dieser Spezies erforderlichen Eigenschaften aufweisen, sodass die Reproduktionsraten etc, tatsächlich stabil sind und nicht z.B. dadurch gestört werden, dass die Tauben durch eine Umweltkatastrophe plötzlich ihren Sehsinn verlieren, oder dass es sich um genetisch degenerierte tauben handelt, sie sich nach ihrem ersten Lebensjahr nicht mehr bewegen können, usw.
Die möglichen Trajektorien von Systemen werden theoretisch im Fall einer kontinuierlich angenommenen Zeit durch Differentialgleichungen und im Fall einer diskret angenommenen Zeit (z.B. Generationenfolge, Folge von Runden eines Spiels) durch Differenzgleichungen beschrieben. Differential- bzw. Differenzgleichungen sind der allgemeinste Typ gesetzesmäßiger Beschreibung, der zugleich die höchste Vereinheitlichungskraft besitzt (Schurz xx), und in allen theoretischen Wissenschaften verwendet wird. Es liegt dabei eine lokal-rekursive Beschreibung vor, welche im Fall von Differentialgleichungen die momentane Zustandsveränderung des Systems zu einer Zeit, oder im Fall von Differenzgleichungen die Zustandsveränderung zwischen gegenwärtigem und nächstem Zeitpunkt, in Abhängigkeit vom zwischen gegenwärtigen Zustand des Systems, seinen Systemparametern und Umgebungsparametern beschreibt. Beispiel: Die Differentialgleichung, welche das System des Gravitationspendels ohne Dämpfung beschreibt und aus Naturgesetzen plus Systembedingungen ableitbar ist, lautet
d2(t)/dt2 = -(g/l)(t),
dabei ist (t) der Drehwinkel, g die Gravitationskonstante auf der Erdoberfläche, und l die Pendellänge. Die möglichen Lösungen bzw. zeitabhängigen Trajektorien, die sich daraus ergeben, lauten (t) = osint + (xx). Oder: die Differenzgleichung, welche das Wachstum einer Taubenpopulation ohne Reproduktionsbeschränkung in diskreten Schritten beschreibt, lautet:
N(t+1) = N(t)r, d.h. N(t) := N(t+1)N(t) = N(t)(r1),
dabei ist r die Reproduktionsrate (im kontinuierlichen Fall lautet die Differentialgleichung: dN(t)/dt = rN(t). Die sich daraus ergebenden Lösungen bzw. zeitabhängigen Trajektorien lauten
N(t) = N0rt bzw. = N0elnrt;
dabei ist N die Anfangspopulationszahl; im Fall r > 1 beschreibt dies exponentielles Wachstum; im Fall r < 1 exponentieller Zerfall, für r=1 ist die Population konstant. Bertalanffy hat eine Klassifikation von Komplexitätsgraden von Systemen und den sie beschreibenden Differentialgleichungen entwickelt (s. xx).
Bedeutend ist der schon angesprochene Unterschied zwischen Naturgesetzen und Systemgesetzen (vgl. (2002b, §6.1; 2005b, §2; Schurz 2006, xx). Fundamentale Naturgesetze nehmen auf keine spezifischen physikalische Systeme Bezug, sondern drücken das aus, was für beliebige Systeme in allen physikalisch möglichen Universen gilt. Beispielsweise ist das Newtonschen Kernaxiom "Gesamtkraft = Masse mal Beschleunigung" ein solches Naturgesetz: es spricht über die variable "Summe aller Kräfte", ohne anzugeben, welche Kräfte dies sind. Auch spezielle Kraftgesetze wie das über die Gravitationskraft, oder das über die elektromagnetische Kraft, sind Naturgesetze. Mathematisch betrachtet stellt das newtonsche Kernaxuiome eine Differentialgleichungen mit einer variablen Kraftfunktion dar; erst indem in diese Gleichung Systembedingungen eingesetzt werden, welche die anwesenden Kräfte explizit auflisten, erhält man eine konkrete lösbare Differentialgleichung für einen bestimmen Systemtyp. Solche speziellen Differentialgleichungen nennen wir theoretische Systemgesetze, und ihre Lösungsfunktionen phänomenologische Systemgesetze. Nur für einfache Systeme ist es möglich, Systemgesetze auf dem Wege strikter mathematischer Deduktion aus Naturgesetzen plus Systembedingungen zu gewinnen. Schon bei Systemen mittlerer Komplexität sind die resultierenden Differentialgleichungen nur mehr mithilfe drastischer Vereinfachungen approximativ lösbar (s. Cartwright 1983, 104f, 113f). Für höherkomplexe bzw. lebende Systeme schließlich werden die phänomenologischen Systemgesetze meist auf empirisch-induktivem Wege gewonnen, ohne theoretisch ableitbar zu sein. Wissenschaftstheoretische gesehen fällt die Unterscheidung zwischen Naturgesetzen und Systemgesetzen weder mit der zwischen fundamentalen und abgeleiteten Gesetzen, noch mit der zwischen universellen und raumzeitlich beschränkten Gesetzen zusammen es gibt auch universelle Systemgesetze wie z.B. "Das Universum besteht aus Materie, nicht aus Antimaterie". Der Unterschied zwischen Naturgesetzen und Systemgesetzen ist ontischer Natur: er liegt darin, dass Systemgesetze explizit oder implizit auf spezifische Systemtypen Bezug nehmen, während Naturgesetze dies nicht tun (Schurz xx).
Es gibt nur wenige Naturgesetze in charakterisierten Sinn, und man findet sie nur in der Physik. Alle Disziplinen haben dagegen ihre spezifischen Systemgesetze. So sind auch fast alle Gesetze in physikalischen oder chemischen Lehrbüchern Systemgesetze Keplers Planetengesetze, die Pendelgesetze, die Gesetze der viskosen Flüssigkeit, usw. Die Unterscheidung zwischen Natur- und Systemgesetzen ist in mehreren Hinsichten von wissenschaftstheoretischer Bedeutung: beispielsweise benötigen Naturgesetze keine so genannten (exklusiven) Ceteris Paribus Klauseln; Systemgesetze enthalten dagegen entweder Ceteris Paribus Klauseln oder Normalitätsklauseln (Schurz xx).
An unserem zwei Beispielen, dem Gravitationspendel und der Taubenpopulation, erkennen wir bereits den nächsten grundlegenden Unterschied, den zwischen geschlossenen und offenen Systemen. In der naturwissenschaftlichen Systemtheorie wird dieser Unterschied ontisch beschrieben: geschlossene Systeme haben weder Materie- noch Wärmeaustausch mit der Umgebung; so genannte isolierte System lediglich Wärmeaustausch; und in offenen Systeme findet ein Materie- und Energiefluss zwischen System und Umgebung statt (vgl. Bertalanffy 1979, Rapoport 1986). Die wissenschaftstheoretische Bedeutung dieser Unterscheidung liegt weniger in der ontischen als in der epistemischen Dimension, die jedoch mit der ontischen Dimension zusammenhängt. Unter einem epistemisch geschlossenem System verstehen wir ein System, das mit dem idealisierten Anspruch auf Vollständigkeit beschrieben wird, d.h., es wird in der Theorie angenommen, alle kausal relevanten Kräfte (bzw. Parameter) wären erfasst (in der KI-Forschung spricht man hier von der Closed World-Assumption; s. Brewka 1991, 9). Die Systeme, die von Physik und Chemie betrachtet werden, sind im Regelfall epistemisch geschlossene Systeme. Die kausal relevanten Parameter sind auf eine gewisse Menge von vorauszusagenden Variablen relativiert, die man erfassen möchte so ist ein Sonne-Planet-Zweikörpersystem ein fast-geschlossenes System, wenn es darum geht, die Planetenumlaufbahnen vorauszusagen; nicht aber, wenn es darum geht, die ökologische Beschaffenheit des Planeten vorauszusagen. Systeme von geringer inneren kausaler Komplexität und Vernetzung, die ontisch fast-geschlossen nach außen sind, lassen sich am ehesten auch als epistemisch geschlossen behandeln. Selbst wenn die Systeme ontisch nicht geschlossen, sondern offen sind, so kann präzise spezifiziert werden, welche Energie- oder Materieströme in das System hinein- bzw. herausfließen und man kann zu einem größeren ontisch geschlossenen System übergehen, in dem man 'Quellen' bzw. 'Senken' dieser Flüsse mitaufnimmt. Aus diesem Grund sind die theoretischen Gesetzeshypothesen dieser Disziplinen im Regelfall strikter Natur, versehen mit theoretisch definiten Ceteris Paribus Klauseln, welche angeben, welche nichtvernachlässigen Kräfte bzw. Kausalparameter anwesend sind, und sonst nichts (s. Schurz xx; zur CP-Debatte siehe xx). Die Beschreibungen geschlossener Systeme sind freilich immer nur Idealisierungen: kein physikalisches System (abgesehen vom gesamten Universum) ist realiter vollständig geschlossen, aber die idealisierenden Systembeschreibung der Physik werden durch das reale System approximiert.
Die 'höheren' Wissenschaften, von der Biologie aufwärts bis zu Human-, Sozial- und Geisteswissenschaften, befassen sich mit lebenden Systemen, welche grundsätzlich ontisch offen sind sie müssen es sein, um zu 'überleben', und die Systembeschreibungen sind ebenfalls grundsätzlich epistemisch offen, denn es wird nicht davon ausgegangen, dass in der Systembeschreibung alle nichtvernachlässigen Einwirkungen der Umgebung auf das betrachtete System erfasst wurden, nicht einmal als Idealisierung. Um zu prognostizieren, dass der Vogel normalerweise wegfliegt, wenn sich ihm eine Katze nähert, nimmt der Zoologe nicht an, dass außer dem Vogel und der Katze keine sonstigen nichtvernachlässigbaren Parameter anwesend sind. Im Gegenteil, alle für das normale biologische Funktionieren von Organismen nötigen Faktoren müssen zugleich anwesend sein, aber sie werden in die Normalbedingungen gesteckt. Statt der Methode der Idealisierung wird also die Methode der Normalitätsannahmen angewandt (s. auch Wachbroit 1994, 587-9, Schurz xx). Daher sind die theoretischen Gesetzeshypothesen dieser Disziplinen im Regelfall normischer Natur; d.h. es handelt sich um Normalfallhypothesen der Form "normalerweise, wenn A, dann B".
Ganz generell sind Systeme dadurch gekennzeichnet, dass sie eine hinreichend strikte Identität in der Zeit bewahren, wodurch sie sich von ihrer Umgebung abgrenzen. M.a.W., zwischen System und Umgebung besteht immer eine Schwelle, welche das System gegenüber bedrohlichen Umgebungseinflüssen abschirmt. Bei geschlossenen Systemen ist dies einfach Sache der idealisieren Annahme bzw. Forderung dass unser Planetensystem stabil ist, ist ein glückliches Fakturm des kosmologischen Präevolution, aber sollte es einmal ein Riesenmeteor zerstören, so bleibt es zerstört und regeneriert sich nicht. Wie ist aber die zeitliche Identität von offenen Systemen zu erklären, die permanent potentiell bedrohlichen Einflüssen der Umgebung ausgesetzt ist? Das Charakteristikum stabiler offener Systeme ist ihre kybernetische, oder nach Maturana (xx) autopoietische Eigenschaft der Selbstregulativität, die sie in die Lage versetzt, störende Einflüsse der Umgebung durch Gegenmaßnahmen zu kompensieren. Dadurch gelingt es solchen Systemen normalerweise, einen gewissen Normalitätsbereich ihrer Zustände gegen den ständigen Druck von störenden Einflüssen aus der Umgebung aufrechtzuerhalten; denn wenn sich diese Systeme zu lange außerhalb dieses normalen Zustandsbereichs, dann 'sterben' sie, d.h. verlieren ihre Identität. Wir fassen dies so zusammen:
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