Revolution für die Freiheit



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Friedel


Im November 1938 stießen wir in den Räumen des Hilfskomitees unverhofft auf Friedel. Sie war frei gekommen. Von Moulin und Wolf wußte sie nichts.

Friedel schien verlegen, gab in unklarer Weise Auskunft. „Wie bist du den freigelassen worden? Sind auch andere rausgekommen?” fragten wir.

Friedel war unsicher, gab nur unklar Auskunft. Sie ließ durchblicken, eine Intervention der schweizerischen Behörden in Barcelona hätte ihre Freilassung erwirkt. Nach unseren Erfahrungen erschien uns das Wenig glaubhaft.

Mit dem Blick, den Frauen haben, meinte Clara:,,Du bist ja schick angezogen, haben das auch die Schweizer Behörden bezahlt?” Friedelversicherte eifrig, sie erhalte monatlich von ihrem Bruder aus Zürich 100 Franken, auch arbeite sie seit einigen Tagen als Sekretärin der P.O.U.M. auf dem Hilfskomitee. „Weißt du etwas von deinem Freund Jose?”

„Jose ist an der Front von Madrid gefallen. Kameraden, die mit ihm an der Front standen, behaupten, er sei von hinten erschossen worden, da er politisch unzuverlässig geworden sei.” Friedels Freilassung und die Aussagen über ihre Geldmittel befriedigten uns nicht. Ihr Bruder, ein einfacher Straßenbahner, sollte ihr mit 100 Franken aushelfen können? Von ihr selbst wußten wir, daß ihr Bruder Mitglied der kommunistischen Partei war, ihre Zugehörigkeit zur P.O.U.M. hatte er immer verurteilt. Wir glaubten ihr nicht. Schon in Barcelona hatten wir die P.O.U.M. auf die zweifelhafte Vergangenheit von Friedel aufmerksam gemacht. Sie selbst hatte ihre kurze Naziblüte gebeichtet. Darum wurden damals unsere Befürchtungen als ,,trotzkistische Stähkerei” abgetan.

Das spanische Drama näherte sich dem bitteren Ende. Die fehlende Hilfe der Arbeiter aus dem Ausland, die technische Überlegenheit der Nationalisten, die blutigen Wirren im republikanischen Lager wirkten zusammen, um den Sieg Francos zu verbürgen. In Spanien war es den Stalinisten nicht gelungen, einen Schauprozess wie in Moskau zu inszenieren. Spanien war nicht Russland. Mit dem Zusammenbruch der katalanischen Front, unter dem Druck der internationalen Kampagne gegen einen Schauprozess mit der P.O.U.M. als Opfer, mußten zahlreiche politische Gefangene freigelassen werden. In Paris trafen eine ganze Anzahl Mitlieder des Zentralkomitees der P.O.U.M. ein, die in „Carucel Modelo” gesessen hatten, unter ihnen Andrade, Gorkin, Molins, Bonnet und andere. Sie bildeten in Paris ein Zentralkomitee im Exil und Friedel wurde ihre Sekretärin. Julian Gorkin beklagte sich eines Tages im Kreise von Bekannten darüber, daß die Verhandlungen des Zentralkomitees wenige Tage später den Stalinisten bekannt waren. Wir machten ihn auf Friedel aufmerksam, erwähnten unseren Argwohn. Ziemlich ungläubig versprach Gorkin der Sache nachzugehen. Er entschloß sich, Friedel eine Falle zu stellen. Er diktierte ihr Beschlüsse des Zentralkomitees, die nur in seinem Kopf existierten. Sie ging in die Falle. Einige Tage später konnte Gorkin ironische Kommentare über die „Beschlüsse des Zentralkomitees“ in den stalinistischen Zeitungen lesen. Friedel wurde in ein stundenlanges Verhör genommen und nach hartnäckigem Leugnen gestand sie.



Im Gefängnis in Barcelona war Friedel wie alle anderen Gefangenen nächtlichen Verhören unterworfen worden. Sie hielt nicht stand, wurde die Geliebte eines der Agenten und nahm dessen finanzielle Angebote an. In der Gemeinschaftszelle der Frauen bespitzelte sie ihre Kameradinnen, berichtete den Agenten über die im Gefängnis geführten Gespräche. Da sie zu oft zum „Verhör” geholt wurde, ihre Mitgefangenen instinktiv eine Änderung in ihrem Verhalten spürten, wurde sie verdächtig. In ihrer Anwesenheit wurde nichts mehr besprochen, sie wurde für die G.P.U. im Gefängnis wertlos. Auf diese neu gebackene Hilfskraft wollten sie aber nicht verzichten, sie sollte außerhalb des Gefängnisses weitere Dienste leisten. Friedel wurde freigesetzt, ihren Mitgefangenen spielte sie die Komödie der Intervention der schweizerischen Behörden vor. In Paris führte sie ihre Doppelrolle ruhig weiter und bezog dafür ein reguläres Gehalt. Es ließ sich nicht feststellen, ob durch die Denunziationen Friedels Kameraden in Spanien verhaftet oder sogar umgebracht wurden. Nach ihrem Geständnis verjagte sie die P.O.U.M. aus dem Hilfskomitee und zwang sie, Paris zu verlassen. Mit einem spanischen Freund verschwand sie in der Provinz, wo sie wenige Wochen später einen Selbstmordversuch unternahm.

Das spanische Drama


Auf dem Komitee lernten wir auch Bunja Sundelewitsch kennen. Als gebürtige Russin lebte sie seit langen Jahren in Paris und war mit Nicolas Sundelewitsch verheiratet. Wir waren die ersten Flüchtlinge aus Spanien, die verläßliche Nachrichten über ihren Mann brachten, und natürlich wollte sie uns treffen. Ihr Mann war mit Clara auf demselben Stockwerk in der Puerta del Angel gesessen. Jetzt erst wußte Bunja genau, wo ihr Mann gefangen saß. Nicolas Sundelewitsch stammte aus einer alten russischen sozialistischen Familie. Seine Eltern verließen die Heimat nach der Machteroberung durch die Bolschewiki. In Frankreich gehörte Nicolas zur linkssozialistischen Partei von Marceau Pivert, der P.S.O.P. (Parti Socialiste Ouvrier et Paysan). Von seiner Partei nach Barcelona geschickt, um über den Ankauf von Waffen für die Republik zu verhandeln, wurde er von der G.P.U. verhaftet. Trotz allen Nachforschungen konnte seine Frau nichts Gewisses über sein Verhalten erfahren. Nach unseren Informationen intervenierte Bunja energisch bei Marceau Pivert, über ihn gelang es ihr, Ministerpräsident Leon Blum zu sprechen. Leon Blum verwandte seinen Einfluß in Spanien, zwei Monate später mußte Nicolas freigelassen werden und traf in Paris ein. Im Klostergefängnis vonValencia war mit Clara zusammen auch eine italienische Sozialistin gesessen; ihr Mann, gleichfalls verhaftet, saß in einem anderen Gefängnis der Stalinschen Polizei. Clara hatte mit der Italienerin verabredet, sich, falls sie freigelassen würde, für ihren Mann und sie zu verwenden. Beide gehörten den Maximalisten, der Partei von Pietro Nenni an und kannten den italienischen Sozialistenführer persönlich. Nach langem Herumfragen erfuhren wir Nenni's Adresse in Paris. Es war schwer, ihn zu treffen, da Nenni oft in Spanien weilte. Wir erwischten ihn endlich, er hörte unsere Nachrichten an und erkundigte sich eingehend über alles. Doch, bemerkte Nenni so nebenbei, in einem Bürgerkrieg müsse man Dinge in Kauf nehmen, die mit humanitären Idealen nicht immer im Einklang ständen, er wisse natürlich über die Übergriffe der Stalinisten und werde versuchen etwas zu tun. Ob sich Nenni für seine Parteifreunde einsetzte, konnten wir nie erfahren.

Die älteste Emigrantengruppe in Paris war die russische. Neben den zaristischen und weißgardistischen Flüchtlingen bestand eine homogene Gruppe russischer Sozialdemokraten. Ihre Führer, Abramowitsch, Dan, Nikolajewski und andere gaben seit 1920 ein russisches Bulletin, den „Sozialistischen Boten”, heraus. Das Blatt erschien monatlich in russischer Sprache, war hervorragend geschrieben, glänzend informiert über das gesamte Sowjetleben und die inneren Parteikämpfe; oft enthielt es Informationen, deren Herkunft und Exaktheit intimste Kenntnisse aus den höchsten Sphären der Partei- und Staatsbehörden verriet. Abramowitsch's Sohn, der unter dem Namen Marc Rein kurz nach Ausbruch der Bürgerkrieges nach Spanien als Berichterstatter für den „Sozialistischen Boten” ging, war kurz vor den Maitagen in Barcelona der G.P.U. in die Hände gefallen. Obwohl man von seiner Entführung wußte, fehlten alle genaueren Nachrichten über sein Verschwinden. Nicolas Sundelewitsch, der zu den russischen Sozialdemokraten gute Beziehungen hatte, teilte uns eines Tages mit, Abramowitsch wolle uns sprechen. Wir gingen hin, er empfing uns in seiner Wohnung an der Porte d'Orleans. Freundlich und liebenswürdig servierte er uns Tee aus dem auf dem Tisch summenden Samowar. Auf seinem gedrungenen, massiven Körper saß ein ausdrucksvoller Kopf; in den grauen Haaren und Barthaaren verschwand die dicke Brille wie in einem Urwald, von seinen Augen sah man kaum etwas. Abramowitsch war im höchsten Grade kurzsichtig. Er wollte alles wissen über Spanien. Über den Verbleib seines Sohnes konnten wir ihm leider keine Angaben machen. Abramowitsch wußte aber bereits über einige G.P.U.-Agenten in Spanien gut Bescheid, die beim Raub seines Sohnes mitgespielt hatten. Er notierte sorgfältig unsere Auskünfte über die G.P.U.-Agenten, die uns verhört hatten. Sachlich stellte er fest: Den und jenen haben wir bereits identifiziert, da ist der Pole Schreyer, der Deutsche Held, usw. Abramowitsch war fest überzeugt, sein Sohn sei entführt worden, weil die Russen hofften, aus ihm Auskünfte herauszupressen über die an höchster Stelle in Moskau plazierten Mitarbeiter des „Sozialistischen Boten”. Er entließ uns nach einigen Stunden lebhafter Unterhaltung, versicherte, wir könnten uns jederzeit an ihn wenden, falls seine Beziehungen uns nützlich sein könnten. Rascher als wir es ahnten, sollten wir in diese Lage kommen. Das Schlußdrama des spanischen Bürgerkrieges vollzog sich auf französischem Boden. Im Januar 1939 überschritten viele tausend Zivilpersonen, Frauen, Kinder, Greise, mit den Resten der republikanischen Armee aus Katalonien die französische Grenze. Sie wurden in verschiedenen Lagern sofort interniert. Nichts war für diese große Masse von Flüchtlingen vorgesehen. Im harten Winter schliefen die spanischen Flüchtlinge in miserablen Baracken, ohne Decken, ohne Stroh, auf dem hartgefrorenen Boden. Trotz der einsetzenden Hilfsaktion der Arbeiterorganisationen war die Ernährung schlecht und ungenügend. In den ersten Wochen starben in diesen Lagern tausende von Flüchtlingen an Erschöpfung, Krankheit und Hunger.

Die politische Atmosphäre Frankreichs hatte sich seit den Volksfronttagen stark verändert. Ein Teil der 1936 errungenen Sozialgesetze war vom Unternehmertum bereits torpediert, insbesondere die 40 Stundenwoche bestand praktisch nicht mehr. Unter dem Druck der faschistischen Gefahr in Deutschland und Italien verstärkte sich die Kriegsproduktion, die Arbeiter arbeiteten 48 und 54 Stunden pro Woche ohne zu murren. Der Elan und Kampfwille der ersten Volksfrontjahre war gebrochen, mit Ferienregelung, einer fragwürdigen Sozialgesetzgebung, höheren Löhnen, die der einsetzenden Preisspirale nur ein paar Monate widerstanden, begnügten sich die Arbeiter Frankreichs. Die Kommunisten, die den außenpolitischen Motor der Volksfront spielten, ohne je eine Verantwortung in der Regierung zu übernehmen, verstärkten ihr Doppelspiel. Sie klagten die Regierung Blum wegen ihrer Farce der Nichtinterventionspolitik an und wiesen lautstark auf die russische Hilfe für Spanien hin. Gewiss war die Nichtinterventionspolitik bei den Arbeitern unbeliebt, doch über Propagandarummel hinaus unternahmen die Kommunisten und Sozialisten keine tatkräftige Aktion. Außer Versammlungen und Geldspenden rührte sich nichts, kein Streik, keine größere Solidaritätsaktion fand statt. Den wirklichen Sinn der russischen Intervention in Spanien verstanden die französischen Arbeiter nicht, denen die Augen von der russischen Propaganda geblendet waren. Sie wußten nicht von der geheimen Ausrottungspolitik der G.P.U. gegen alle revolutionären Elemente in Spanien, sahen nicht die politischen Bedingungen, an die diese Hilfe gebunden war, daß Stalin keine soziale Revolution,sondern eine bürgerliche Republik wollte. Sie klatschten auf Befehl ihrer Führer den Moskauer Schauprozessen Beifall. Sie sahen nur die groß aufgezogene russische Hilfe, die Formierung der internationalen Brigaden, die militärische Unterstützung Francos durch Mussolini und Hitler.

Der Anschluß Österreichs, die tschechische Krise und die Kapitulation von München waren Meilensteine auf dem Weg zum Krieg, den Hitler planmäßig vorbereitete. Die Kommunisten und mit ihnen die Mehrheit der französischen Arbeiter hatten 1934 den Pakt zwischen Pierre Laval und Stalin geschluckt, die Kommunisten stimmten wohlgemut den Militärkrediten zu und verfolgten die von Moskau gesteuerte Politik auch unter den Bedingungen der Volksfront weiter.


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