1 Familiennamen aus germanischen Sprachen Ulf Timmermann Friesische Familiennamen


Häufige Familiennamen – vereinzelte Familiennamen



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8 Häufige Familiennamen – vereinzelte Familiennamen

Dieser Punkt berührt sich insbesondere mit Nr. 3. Der häufigste ngr. FN ist Papad-



óp(o)ulos ‘Popensohn’, weil die Zahl der Bauern, die in ihrem Dorf – meist

als Nebentätigkeit – das Priesteramt versahen, lange im gr. Kulturgebiet sehr

hoch war. Beide Bestandteile, Papa(d)- (s. o. 4.3) und -óp(o)ulos (s. o. 4.2 und

5.4), sind auch in andren Kombinationen enorm zahlreich. Der häufigste Vorname

ist das dem Hebräischen entlehnte Ioánnes (kirchen- und amtssprachlich, wovon

dt. Johannes/Hans) bzw. Jánnis (volks-, d. h. heute standardsprachlich), und

die davon abgeleiteten FN bilden ebenfalls eine sehr große Menge in verschiedensten

Kombinationen: Giánnis, Ioánnou, Ioann-ídis, Papa-jánnis, Vlacho-yánnis,



Yann-ópoulos u. v. a. m.

Gegenüber dem Dt. ist im Ngr. ein größerer Teil der FN etymologisch durchsichtig,

aber es gibt natürlich auch schwierige Fälle, besonders unter den seltenen.

Ich gebe „meine“ seltenen ngr. FN aus Deutschland an, deren Etymologie

umstritten oder unbekannt ist (auf die Angabe „Frau“ ist bei den vokalisch endenden

Fällen verzichtet): Arfarás (von einem Ortsnamen, dessen Etymologie

schwierig ist), Aríkas, Axelós, Béntas, Bourb-oúdis, (C)hotaman-ídis ( türk.?),

Kalagi-ákos (ob < kalós ‘gut’ + gios ‘Sohn’?), Kambýlis, Kónas (ob < ikóna

‘Bild’ oder kokóna, älter für ‘Dame’ < rumän. cocoan1?), Kouveget-opoúlou,



Lántou (CY, evtl. von ital. Orlando, Ë3íäò schon im 15. Jh.), Lecatsá (ob vom

tsakonischen [dialektalen] lekós ‘weiß’ < ëåõê5ò Pest weitergebildet?), Peskelídis

(türk.?), Profil-ídis, Tsioumítas (< aromun. Éúm. ‘Pest’?), Vousvoukís.

9 Gebräuchlichkeit der gr. Familiennamen

in muttersprachlicher Kommunikation

Die FN werden von Griechen in der Kommunikation untereinander in deutlich

geringerem Ausmaß verwendet als etwa von Deutschsprachigen. Natürlich gibt

es erhebliche, soziologisch bedingte Unterschiede: Auf dem Dorf duzt man sich

in der Regel (noch) und benutzt den Vornamen, beim Sprechen über dritte Personen

oft Spitz- und andre Übernamen. Gegenüber Nichteinheimischen oder „Standespersonen“

(Ärzten, Anwälten, Beamten) ist aber natürlich auch Ihrzen und

Verwendung des FN üblich. Jüngere Leute duzen sich auch in der Stadt ohne

weiteres, und wenn der Vorname des Gesprächspartners bekannt ist, greifen sie

Familiennamen aus dem Griechischen

497

meist zu diesem. Im Ganzen gibt es, verglichen mit dem Deutschen, mehr Abstufungen



zwischen sehr familiärer und offizieller Anrede; so habe ich im Gespräch

mit mir – mein zweiter („griechischer“) Vorname ist Steffen – folgende

Palette beobachtet: Stéfane (Vokativ) + Duzen (noch familiärer: Koseformen wie

Stéfo oder Stefan-áki [Vokative] + Duzen), seltener Stéfane + Ihrzen (wird überwiegend

von älteren gegenüber jüngeren Personen praktiziert, wie früher das

Schema Vorname + Siezen im Dt.), kýrie Stéfane + Duzen (vonseiten einfacherer

Leute), kýrie Stéfane + Ihrzen (verbreitet), kýrie Henrich + Duzen (nur von

sehr einfachen Leuten geübt), kýrie Henrich + Ihrzen. Andrerseits ihrzen Kinder

der Oberschicht, besonders in Athen, z.T. noch ihre Eltern, evtl. sogar in Kombination

mit höchst familiären Anreden wie mamá, babá (‘Papi'’ Vok.). In den unpersönlichen

Großstädten scheint die Tendenz allmählich in Richtung kýrie/kyría

+ FN + Ihrzen zu gehen.

10 Forschungsstand und Kurzbibliographie

Im Laufe des 20. Jh.s sind die gr. FN relativ gut erforscht worden; es bleiben aber

auch noch manche Einzelheiten offen (siehe oben 8 Ende). An der Universität

Saloníki (offiziell Thessaloníke) hat Prof. N. Andriótis in den 1950er Jahren ein

FN-Archiv bgründet. Im Folgenden ist eine knappe Bibliographie derjenigen

Schriften gegeben, welche der Verf. dieses Artikels für besonders wichtig hält.

Als Stardardwerk kann Triantaphyllídes 1982 [postum herausgegeben] betrachtet

werden.


Literatur

(nur zur Onomastik; zum obigen Punkt 2 vgl. die Anmerkungen 1-4)

Andriotis, N. 1961: Die mittel- und neugriechischen Metronymica. In: Picos, S. 59–66 [Nachdruck

in: Áíôé)3ñéóµá óôí êáè. Í. Ð. Áíäñé=ôç. Thessaloníki, 1976, S. 192–199].

Andriotis, N. 1963: Zur Morphologie der mittel- und neugriechischen Familiennamen. In:

Blok, S. 1–5 [Nachdruck in: Áíôé)3ñéóµá óôí êáè. Í. Ð. Áíäñé=ôç. Thessaloníki,

1976, S. 170–176].

Blok, D. P. (Hg.). 1963: Proceedings of the VIIIth International Congress of Onomastic Sciences,

Amsterdam 1963. The Hague.

Búturas, A. Ch. 1912: Ôá íååëëçíéê3 ê7ñéá í5µáôá [Die neugriechischen Vornamen].

Athen.

Günther Steffen Henrich



498

Eichler, E.; G. HILTY et al. (Hg.). 1995: Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur

Onomastik. Band 1. Berlin (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft

11.1).


Åõóôñáôé3äçò, Ó. [Evstratiádes, S.]: Áãéë5ãéí ôçò _ñèä5_õ Åêêëçó8áò [Verzeichnis

der Heiligen, Seligen und Märtyrer der orthodoxen Kirche]. Athen o. J.

Henrich, G. S. 1976: Êëçôéê4ò êáé ãåíéê4ò óå - áð5 áñóåíéê3 óå -ò óôá µåóáéùíéê3 êáé

í4á åëëçíéê3 [Vokative und Genitive auf -o von Maskulina auf -os im Mittel- und Neugriechischen].

Hamburg [Phil. Diss. Thessaloníke. Dt. Zusammenfassung S. 272–279].

Henrich, G. S. 2007: Das griechische Personennamensystem. In: Brendler, A.; S. Brendler (Hg.):

Europäische Personennamensysteme: Ein Handbuch von Abasisch bis Zentralladinisch. Hamburg

(FS für R. und V. Kohlheim = Lehr- und Handbücher zur Onomastik, Band 2), S. 268–284.

Kohlheim, R.; V. Kohlheim. 2007: Duden. Das große Vornamenbuch. 3., völlig neu bearbeitete

Aufl. Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich.

Kolítses, A.M. 1964: Ðåñ8 ôùí êõñ8ùí íµ3ôùí êáé åðùí7µùí ôùí Êõðñ8ùí [Über die

Vor- und Zunamen der Zyprer]. Athen [Phil. Diss.].

Lilie, R.-J. u. a. 1998–2002: Prosopographie der mittelbyzantinischen Zeit. Abteilung 1 (641–

867). 6 Bände. Berlin.

Masson, O. 1995: Les noms propres d’homme en grec ancien. In: Eichler/Hilty et al., S. 706–

710.


Moritz, H. 1897 und 1898. Die Zunamen bei den byzantinischen Historikern und Chronisten.

2 Teile. Landshut (= Programme des K. Humanistischen Gymnasiums in Landshut für die

Schuljahre 1896/97 und 1897/98: Beilagen).

_éêíµ8äçò, .. Ç. [Oeconom3des, D. E.] 1934: Åð=íõµá ðíôéáê3 [Pontische Zunamen].

In: Áñ)å8í Ð5íôõ [Archeíon P4ntu] 6, S. 206–227.

Picos. 1963: VII° Congresso Internazionale di Scienze Onomastiche, Firenze 4–8 aprile 1961: Atti

e memorie 3: Antroponimica. Firenze.

Symeonidis, Ch. 1995: Byzantinisch-neugriechische Namengebung. In: Eichler/Hilty et

al., S. 710–717.

Trapp, E. et al. 1976–1996: Prosopographisches Lexikon der Palaiologenzeit. Wien. [12 Faszikel,

Addenda und Registerband.]

Triantaphyllídes, M. 1982: Ôá éêãåíåéáê3-µáò í5µáôá [Unsere Familiennamen]. Thessaloníke.

Familiennamen aus dem Griechischen

499


7

Familiennamen aus dem Türkischen

Klaus Kreiser



Türkische Familiennamen in der Türkei

und in Deutschland1

Die nach Deutschland in den 1960er und 1970er Jahren im Zuge der Anwerbung

ausländischer Arbeitskräfte eingewanderten Türken führten zum größten Teil Familiennamen,

die ihre Väter bzw. Mütter in den 1930er Jahren mehr, manchmal

weniger freiwillig, gewählt hatten. Ein Verständnis der türkischen Namenlandschaft

im deutschen Sprachraum, die ganz weitgehend die Verhältnisse im Herkunftsland

abbildet, setzt eine Einführung in die Normen und Realitäten in der

Türkei des 20. Jahrhunderts voraus.

Die Familiennamensgesetzgebung der kemalistischen Türkei von 1934 in Verbindung

mit sehr ins einzelne gehenden Ausführungsbestimmungen aus dem selben

Jahr wird weithin als eine Art Schlusspunkt in der Serie spektakulärer Kultur-

und Rechtsreformen gesehen. Als es in den meisten islamischen Ländern

noch keine gesetzlich gewährleisteten Zunamen gab,2 entschied sich die türkische

Führung für eine Anpassung des Namenssystems an westliche Gepflogenheiten.

Am 11. März 1933 begannen die Arbeiten an einem Familiennamensgesetz

(im folgenden: FNG) auf Kommissionsebene. Dies war schon nach der so

gut wie unveränderten Übernahme des Schweizer Zivilgesetzbuches, das schon

am 4. Oktober 1926 in Kraft getreten war, unausweichlich.

Ungeachtet der ethnischen oder religiösen Bindung der Betroffenen wurde

eine bestimmte Einheitlichkeit bei den neuen Namen angestrebt, über die noch

berichtet wird. Damit ist schon gesagt, dass die Regierung nicht allein eine ratio-

503


1 Für freundliche Hinweise danke ich den hilfsbereiten Dres. Rosa und Volker Kohlheim (Bayreuth)

und der Leitung des Standesamts Köln. Herr Rbrahim Aksu (Universität Çanakkale) hat mir

ein zweites Exemplar seines inhaltsreichen und unterhaltsamenWerks „The Story of Turkish Surnames“

zugeschickt, nachdem das erste in der Post verloren ging. Mein Bamberger Kollege Professor

Semih Tezcan war wie immer die erste Adresse für die Diskussion etymologischer Probleme.

2 Frauen führten bis dahin die Eigennamen ihrer Männer als Nachnamen. Diese Fälle müsste man

als „Ehenamen“, statt als Familiennamen, klassifizieren. Beispiele sind Nezîhe Muhiddîn, Sitâre

Ahmed, Matlûbe Ömer und Latife Mustafa Kemal (die Gattin des späteren Atatürk in den Jahren

1923–1925).

nale bürokratische Maßnahme bezweckte, die die zahlreichen Verwechslungsmöglichkeiten

von Personen gleichen Namens beseitigen wollte, sondern ganz

offensichtlich zahlreiche Elemente politischer Steuerung in das Gesetz bzw. seine

Ausführungsbestimmungen einbaute.

In den dreißiger Jahren existierte im Türkischen noch kein allgemein anerkannter

Terminus für den Begriff „Familienname“. Die Personalausweise bezeichneten

vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die 1940er Jahre das entsprechende

Feld mit den Wörtern aile ismi 3, yani lâkap ve öhreti („Familienname,

d. h. Beiname und ‚Name, unter dem jemand bekannt ist’“).4 Erst ab den 1940er

Jahren wird diese etwas sperrige Bezeichnung durch soyadý ersetzt. Das in den

meisten südwestlichen Turksprachen vorkommende soy5 stand ursprünglich für

‘Abstammung, Herkunft’ und sollte eine Anzahl von aus dem Arabischen stammenden

Osmanismen (nijâd, neseb, haseb) ersetzen. Für das ebenfalls arabische,

aber eher im osmanischen Kontext auftretende Wort aile für ‘Familie’ bot die Gesellschaft

für Türkische Sprache (Türk Dil Kurumu) noch 1935 ein ominöses

arda als Substitut an,6 das in den folgenden Texten aber nie verwendet wurde.

Soyadý sollte nach derselben Quelle als Ersatz für die künye7 dienen. Wie immer

auch: das aus 15 Artikeln bestehende FNG wurde am 21. Juni 1934 angenommen

und am 2. Juli unter der Nr. 2525 im Amtsblatt (Resmi Gazete) veröffentlicht.

Die wichtigsten Bestimmungen sind in den ersten drei Artikeln enthalten:

Artikel 1: Jeder Türke und jede Türkin8 ist verpflichtet, neben seinem Eigennamen (öz ad) einen

Familiennamen (soy adý) zu führen.

Artikel 2: Im mündlichen und schriftlichen Verkehr und beim Unterschreiben ist der Eigenname

zuvor, der Familiennamen am Ende zu gebrauchen.

Klaus Kreiser

504


3 Arab. isim bedeutet ebenso wie türk. ad ‘Name’ im umfassendsten Sinn.

4 Vgl. die sehr schön gestaltete Website der Generaldirektion für Bevölkerung mit zahlreichen historischen

Personaldokumenten mit Dokumenten ab dem frühen 20. Jahrhundert. Die vorrepublikanischen

Dokumente haben bereits isim ve öhreti, ergänzt um Felder mit den Namen von

Vater und Mutter (http://www.nvi.gov.tr/Attached/NVI/cuzdan_kitap.pdf).

5 soy im Sinn von ‘Stamm, Geschlecht, Vorfahren + Nachfahren’ ist im Altosmanischen „vielfach“

belegt (Auskunft von Semih Tezcan, Bamberg/Ankara).

6 „Türkçeden Osmanlýcaya Cep Kýlavuzu“. Istanbul 1935. – Tietze 2002, 192a, nach Ahmed Vefîk

1306, S. 18: „uzun el deðneði; ni’an için dikilen deðnek“ [dito „Derleme Sözlügü“].

7 Der arabische Ursprung von künye (welche die Namen von Vater oder Sohn, manchmal auch der

Mutter und ganz selten der Tochter enthalten konnte) ist im Türkischen zurückgetreten hinter die

Bedeutung ‘Personenstandseintragung Personalien’.

8 Türk ist nicht geschlechtlich markiert, deshalb wäre eine Übersetzung mit „Jeder Türke“ nur die

halbe Wahrheit.

Artikel 3: Rangbezeichnungen, Beamtentitel und die Namen von Stämmen (airet 9), fremder

Rassen (yabancý ýrk) und Nationen (millet) sowie im Widerspruch zu allgemeinen

guten Sitten (edepler) stehende als auch abstoßende und lächerliche Familiennamen

dürfen nicht geführt werden.

Die in Art. 13 vorgesehenen Ausführungsbestimmungen (nizamname) wurden

vom Ministerrat verabschiedet und bestehen aus 54 Absätzen und traten nach der

Unterzeichnung durch den Präsidenten der Republik K. Atatürk am 24. Dezember

1934 und ihrer Veröffentlichung am 27. Dezember in Kraft. Art. 5 des nizamname

schreibt vor: „Neu angenommene Familiennamen sind der türkischen

Sprache zu entnehmen.“

Mustafa Kemal, nahezu uneingeschränkt über Staat und Einheitspartei herrschend,

war mit Annahme des Familiennamens ATATÜRK gefolgt und konnte

deshalb das FNG schon mit seinem neuen, sehr wahrscheinlich von ihm selbst

geprägten Namen Vater der Türken unterzeichnen.

Am 24. November 1934 wurde von der Nationalversammlung eine lex Atatürk

verabschiedet, die den Nachnamen (soyadý) ATATÜRK für den „Präsidenten der

Republik, welcher den Eigennamen (öz ad) Kemal trägt“ festlegt.10 Dass bei dieser

Handlung sein erster ursprünglicher Rufname, Mustafa, endgültig verloren

ging, ist interessant, gehört aber nicht in diese Abhandlung über Familiennamen.

Atatürk verlieh zügig einer größeren Zahl (genannten werden bis zu 200 Personen)

von Mitstreitern und prominenten Zeitgenossen gleichsam als Ritterschlag

in einer ansonsten egalitären republikanischen Gesellschaft Familiennamen,

ohne sich um die Vereinbarkeit dieser selbstherrlichen Namenspatenschaft

mit „modernen, zivilisierten, europäischen Ländern“ zu kümmern.11 Nur hochrangige,

selbstbewusste Opfer dieser Vorliebe, konnten es sich erlauben, Namensvorschläge

des großen Führers zurückzuweisen. Wenige Jahre später setzte

eine Kampagne zur Turkisierung von Siedlungsnamen ein.12

Türkische Familiennamen in der Türkei und in Deutschland

505

9 Im Sinne von ‘Wanderhirten, Nomaden’. – Rbrahim Aksu gibt airet mit clan wieder (Aksu 2005,



S. 33). Jedenfalls bleibt das Wort unausgesprochen ein Synonym für kurdische Stämme, auch

wenn diese ihre (halb-)nomadische Lebensweise längst aufgegeben haben.

10 Gesetz Nr. 2587, veröffentlicht am 24.11.1934.

11 Aksu 2005, S. 25–30.

12 Die Umbenennung von „nichttürkischen“ Ortsnamen, vorab von ländlichen Siedlungen, hat nach

Atatürks Tod vor allem im Südosten des Landes flächendeckend begonnen. Allerdings wurde

schon vor 1938 die angeblich türkische Wurzel wichtiger Städtenamen „freigelegt“. Das bekannteste

Beispiel ist der Name der Stadt Diyarbakýr (früher Diyarbekir).

Der Verabschiedung des FNG war eine Aussprache in der Großen Nationalversammlung

(Sitzungen vom 18. und 21. Juni 1934) vorausgegangen, in der

Atatürks Innenminister, ‘ükrü Kaya,13 Fragen einiger Deputierter beantwortete.

Der Abgeordnete Refet14 aus Bursa trug vor, er sei früher bei der Durchsicht von

Bevölkerungsregistern in der Provinz Ankara auf keinen einzigen länger ansässigen

Einwohner ohne Familiennamen gestoßen. Lediglich bei neuangesiedelten

Flüchtlingen fehle der Familiennamen.15 Im übrigen hätten die von ihm eingesehenen

Familiennamen fast ausnahmslos [semantische] Gegenstücke (mukabil) in

anderen Ländern, das lehre ein Blick in die weltberühmte Enzyklopädie Larousse.

Der Minister antwortete etwas von oben herab, er müsse gestehen, dass er den

Zusammenhang nicht ganz begriffen habe. Niemand habe bestritten, dass in der

Türkei Familiennamen existierten. Die Bevölkerung würde sie freilich nicht führen.

Dieser Gesetzesartikel verpflichte die Türken, die Namen zu verwenden.

Wer einen Familiennamen habe, werde ihn auch [weiterhin] gebrauchen, wer

keinen habe, werde einen Namen für sich [und seine Familie] finden. Die Türken

hätten ihre ursprünglichen Namen „vergessen“ und gebrauchten heute eine Anzahl

von Titulierungen (sýfatlar) wie „Sohn des Müftü“ (Müftüzade), was dazu

geführt habe, dass in jedem Landkreis zahlreiche Familien ein und denselben Namen

trügen.

Der zweite Artikel des Gesetzes, der die Reihenfolge „Familienname nach Eigenname“



festlegte, wurde ohne Aussprache angenommen. Das ist eher überraschend,

weil vielen Zeitgenossen bewusst war, dass die umgekehrte Folge im

Türkischen und anderen Sprachen (vor allem im als verwandt angesehenen Ungarischen)

die Regel war. Der Boykott einzelner Intellektueller, die die Nachstellung

des Familiennamens kritisierten, blieb eine wirkungslose Episode.16

Eine wichtige Zielsetzung des FNG wurde bei der Entgegnung des Ministers

zu zwei Einwänden zu Artikel 3 deutlich. Der Abgeordnete Hamdi aus Ordu

Klaus Kreiser

506

13 Der seit 1927 im Amt befindliche ‘ükrü Kaya (1883–1959) gilt als einer der radikalsten Reformer



des kemalistischen Regimes.

14 Refet war nach dem Griechisch-türkischen Abkommen über die Aussiedlung ihrer Minderheiten

1923 „Minister für Bevölkerungsaustausch“.

15 Im Protokoll der Sitzung (Auszüge bei Sakao Ðlu 1979, S. 381) findet sich bei Refets Aussage

das Wort soy adý nur einmal am Anfang, anschließend gebraucht er fünf Mal aile ismi, d. h.

er ersetzt auch das durchaus geläufige ad = Name mit dem ebenso verbreiteten arabischen isim.

16 Ein prominenter Befürworter der Voranstellung des Familiennamens war der Soziologe Fýndýkoðlu

Ziyaeddin Fahri (1902–1974), der sich von seiner Straßburger Dissertation (1935) an mit

Fragen des Personennamenrechts befasste.

begrüßte grundsätzlich den Regierungsentwurf. Die Führung von Stammesnamen

als Familiennamen würde tatsächlich die nationale Einheit beeinträchtigen.

Freilich gebe es Dörfer, die die Namen von Stämmen (airet isimleri) trügen. Wie

sei mit diesen Siedlungsnamen zu verfahren, wenn sie zur Grundlage von Familiennamen

(aile ismi) werden? ‘ükrü Kayas Antwort liest sich wie ein Manifest

der kemalistischen Nationalisierungsstrategie:

Das Stammesleben sei eine gesellschaftliche Formation, die dem Mittelalter

angehöre und die eine Absonderung zum Ausdruck bringe. Man müsse die Erinnerungen

an Stämme (airet) und Clans (kabile), die an einigen Orten noch fortlebten,

von der Landkarte ausradieren. Wenn man diese Stämme – im Osten gebe

es mehr als 200 von ihnen, die jeweils aus Tausenden von Personen bestehen –

nicht ausradiere, würden sich eines Tages zahlreiche [Menschen] unter ihnen

[gegen die Regierung] erheben. Gegen die sekundäre Verwendung von Stammesbezeichnungen

in Siedlungsnamen hatte er aber dann nichts einzuwenden.

Aus der Antwort zu einer zweiten Intervention zu Art. 3 wird deutlich, dass

Vertreter des „Hochkemalismus“ wie ‘ükrü Kaya eine „Brandmarkung“ von

Minderheiten durch unterschiedliche Namen ablehnten. Der in Namensfragen

besonders eifrige Refet aus Bursa hatte erklärt: „Ich finde es ärgerlich, dass Leute,

die einen anderen Ursprung als ich haben, versuchen sich mir anzuschließen.

Wenn jemand den Namen einer fremden Rasse führt und seine Herkunft ist nicht

die meinige […], ziehe ich es vor, ihn auf Grund eines Siegels auf seiner Stirn zu

erkennen.“17

Der Minister machte in seiner Antwort deutlich, dass seine Namenpolitik weiter

reichende Ziele hatte: „Was fremde Namen betrifft, besteht die größte Verantwortung

in diesem Land, all jene Leute in unsere eigene Gemeinschaft aufzunehmen,

die innerhalb seiner Grenzen leben […]. Warum sollten wir Namen wie

Memet der Kurde, Hasan der Tscherkesse oder Ali der Lase beibehalten? […]

Wenn wir das täten, würden wir die Schwäche des vorherrschenden [d. h. des türkischen]

Elements im Lande offenbaren. Wenn jemand das geringste Gefühl haben

sollte, unterschiedlich zu sein, wollen wir dieses [Gefühl] in den Schulen und

in der Gesellschaft auslöschen. Dann wird dieser Mensch so Türkisch sein, wie

Türkische Familiennamen in der Türkei und in Deutschland

507


17 Sakao Ðlu 1979 hat diesen Teil der Parlamentsmitschriften ausgelassen. Ich zitiere nach der

englischen Wiedergabe von Cagaptay 2006, S. 61 (nach Türkiye Büyük Millet Meclisi, Zabýt

Ceridesi IV, Bd. 23/1, S. 249). Hier wird der Abgeordnete Hasan Refet (Canýtez) mit Refet (Bele,

1881–1963) verwechselt.

ich es bin. Es gibt zahlreiche Beispiele von Menschen fremder Rasse, die dem

Lande auf diese Weise gedient haben. Warum sollten wir sie von uns absondern

und mit dem Siegel des Fremden abstempeln?“

Zwischen dem diskriminatorischen Rassismus Refets und dem pragmatischen

Inklusivismus ‘ükrü Kayas, der sich angesichts der demographischen Bilanz

des 1930er Jahre ein nation-building ohne großzügige Assimilierung der nichttürkischen

Gruppen nicht vorstellen kann, besteht ein Unterschied, auf den hinzuweisen

notwendig ist, um zu verstehen, dass es im „Kemalismus“ keine einheitliche

Doktrin über den Umgang mit Minderheiten gab.

Dieser Blick in die türkische Nationalversammlung des Jahres 1934 sollte

nicht nur Entstehungszeitraum und Entstehungsort der FNG festhalten, sondern

die beiden wichtigsten Intentionen dieser Gesetzgebung deutlich machen. Es ist

jedenfalls irreführend und verharmlosend, wenn ein kenntnisreicher Beobachter

der kemalistischen Reformen vereinfachend behauptete: „Da das Gesetz Nr.

2525 nur [sic] vorschreibt, dass der Familienname (soy adý), der dem Rufnamen

(öz ad) nachzustellen ist, nicht unmoralisch oder lächerlich sein darf, so war dem

Erfindungsgeist jedes einzelnen ein großer Spielraum gelassen.18

Die implizite Gleichsetzung von Stamm mit einer kurdischen nomadisierenden

oder ansässigen tribalen Gemeinschaft ist durch ‘ükrü Kayas Erläuterung

vor der Nationalversammlung deutlich sichtbar geworden. Im Gegensatz zu den

Kurden gab es in den 1930er Jahren nur noch wenige türkische Wanderhirten.

Ihre aktuellen wie historischen Bezeichnungen waren zwar nicht nur den Wortlaut

des FNG, aber durch die politische Praxis nicht in Frage gestellt.

Das FNG zielte also einerseits auf die Zerstörung des historischen Gedächtnisses

(„Ausradierung“) der Minderheiten und die Schaffung einer homogenen

Namenlandschaft als Korrelat einer unwandelbaren Nation, andererseits sollte es

jeden Staatsbürger zum Träger eines türkischen Familiennamen machen. Es ist

nicht ohne Ironie, dass zahllose Familiennamen gerade in der Absicht vergeben

wurden, die (kurdische, jüdische usw.) Herkunft (soy) zu verwischen. Im übrigen

ging man mit der Vorschrift, nur türkische Namen einzutragen, großzügig um.

Ein einprägsames Beispiel ist der Familienname Kültür, der in den 1930er Jahren

öfters gewählt wurde und in der Türkei wie Deutschland noch belegt ist.

Klaus Kreiser

508


18 Jäschke 1951, S. 53.

Um die Eintragung der Familiennamen innerhalb des gesetzlich vorgesehenen

Zeitraums von zwei Jahren (ab 2. Juli 1934) zu beschleunigen, wurden die Beamten

mit Listen ausgestattet, aus denen Unentschlossene Namen wählen konnten,

wenn sie ihnen nicht einfach aufgezwungen wurden.19

Auf dem Höhepunkt der türkischen Sprachreform Mitte der 1930er Jahre bedeutete

die Wahl eines türkischen Namens nicht ohne weiteres seine allgemeine

Verständlichkeit. Häufig wurden Wörter und Namen höchst zweifelhafter Provenienz

ausgewählt, die schon für die zweite Generation zum Rätsel werden konnten.

Übertragungsfehler der Beamten vergrößerten die Unsicherheit. Es bestand

und besteht jedoch die Möglichkeit, unglücklich gewählte oder auferlegte Familiennamen

auf Antrag beim Amtsgericht durch weniger Anstoß erregende zu ersetzen.

20

Wegen des besonders intensiven Austausches zwischen Eigennamen und Familiennamen



in der Türkei soll hier auch die im Bevölkerungsgesetz vom 5. Mai

1972 festgehaltene Vorschrift bei der Verleihung von Rufnamen angeführt werden:

„Der Name des Kindes wird von den Eltern verliehen. Allerdings dürfen keine Namen verliehen

werden, welche im Gegensatz zu unserer nationalen Kultur, den ethischen Grundsätzen

und unseren Gewohnheiten und Gebräuchen stehen bzw. die [Gefühle der] Allgemeinheit verletzten.“

Hier wird deutlich, dass der Gesetzgeber auch im Bereich der Rufnamen keine

Abweichungen vom türkischen Mainstream duldet.

Eine Besonderheit der türkischen Namengebung ist, dass Namen türkischen

Ursprungs grundsätzlich für beide Geschlechter verwendbar sind, aber auch aus

dem Arabischen oder Persischen übernommene Formen bei Männern und Frauen

vorkommen. In unserem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass die meisten

Rufnamen türkischer Herkunft auch als Familiennamen verwendet werden. So

wird der sehr häufige Familienname Özcan in einer jüngeren Statistik 75 428 mal

für männliche Türken und 8 338 mal für weibliche Türken angegeben. Ein isoliertes

Auftreten von Özcan lässt also weder einen Schluss auf das Geschlecht

noch auf die Namenskategorie (Rufname oder Familienname) zu. Die arabischen

Name Hidayet, Hikmet, Rsmet, Muhterem werden ebenfalls von beiden

Türkische Familiennamen in der Türkei und in Deutschland

509

19 Sakao Ðlu 1984, S. 244.



20 Sakao Ðlu 1979 und 1984.

Geschlechtern geführt, kommen aber als Familiennamen so gut wie nicht vor.

Eine eigene Untersuchung verdienten die Namen, bei denen Vor- und Familiennamen

alliterieren wie bei Ahmed Altan oder Yavuz Yýldýrým.

Ein unerwartetes Ergebnis dieser von oben nach unten durchgesetzten Modernisierungs-

und Homogenisierungsmaßnahme ist, dass sie – alles andere als charakteristisch

für ein autoritäres, nach Formierung der „Bürger“ strebendes Regime

– eine überraschende Vielfalt der Nachnamen hervorbrachte. Dabei gehen

Autoren von 75 bis 80 % neuer Familiennamen aus, d. h. maximal nur ein Viertel

der amtlichen Familiennamen beruht demzufolge auf älteren Bezeichnungen.21

Viele Türken können keine Auskunft über die Herkunft und Bedeutung ihrer Familiennamen

geben, umso reizvoller sind die Erzählungen von ungewöhnlichen

Entscheidungen.22

Auch nach mehr als sieben Jahrzehnten nach der amtlichen Registrierung 23

von Familiennamen in der Türkei ist zugleich ihre Verwendungshäufigkeit im

Alltag, aber auch im Geschäftsverkehr und den Medien wesentlich weniger entwickelt

als etwa in Deutschland oder Frankreich. Die gewöhnliche Anrede ist der

Rufname in Verbindung mit dem Wort für Herr, Frau bzw. einer Verwandtschaftsbezeichnung

(die kein reales Verwandschaftsverhältnis bedeuten muss):

Fatma Haným, Mustafa Bey. Die in Zeiten der Sprachreform propagierte neologistische

Konstruktion Bay24 + Familienname (wie Monsieur Dupont) ist verschwunden,

bei ihrer Verwendung löst sie heute ein nachsichtiges Lächeln aus.

Ein Auskunftgeber für Rbrahim Aksus Arbeit beschrieb die türkische Bevorzugung

von Vornamen in folgenden Worten:

„When you watch an international football match, you see that the foreign players have a surname

on the back of their shirts while the Turkish players have their first name. We find it insincere,

to hard to say someone’s surname. It creates a distance between us. Calling someone

by their first name creates a sense of familiarity. To fill the gap caused by the absence of a surname,

we use titles like Bey or Haným. Of course, for people who really are distant from us.

Presidents and prime ministers such as Ecevit and Demirel, we use their surnames, otherwise

we use first names.”25

Klaus Kreiser

510


21 Fýndýkoðlu und Güren bei Aksu 2005, S. 45.

22 Zahlreiche Beispiele bei Aksu 2005, Sakao Ðlu 1984 und 2001 usw.

23 Also nicht „Einführung“.

24 Das vorangestellte angeblich alttürkische bay sollte das nachgestellte bey (beides für ‘Herr’) ersetzen.

25 Aksu 2005, S. 46.

Die deutsche Fußball-Szene hat vor kurzem in Gelsenkirchen bewiesen, dass

sie den in der Türkei üblichen Gebrauch von Rufnamen auf dem Rücken des Trikots

ungern toleriert. Als Ende 2006 der Spieler Hamit Altýntop nur mit seinen

Vornamen angekündigt wurde, rief die Menge der deutschen Zuschauer „Altintop,

Altintop“ 26, obwohl sich auch Hamits Bruder Halil auf dem Spielfeld befand!

Die turkologische namenkundliche Literatur bietet erwartungsgemäß eine

ganze Anzahl von typologischen Gliederungen des Namenbestands an, wobei in

vielen Fällen semantische und formale Kategorien vermischt werden. Der Artikel

zu türkischen Familiennamen in Deutschland von Otto Jastrow schlägt die

Einteilung in 10 Typen vor, die trotz unvermeidlicher Überlappungen und gewisser

Unschärfen, für den „Hausgebrauch“ immer noch nützlich ist und sicher auch

für die Namenlandschaft der Türkei verwendet werden kann. Da Jastrow keine

statistischen Auswertungen vornehmen konnte, sollen den 10 Typen die für ganz

Deutschland ermittelten 13 häufigsten türkischen Familiennamen (im Fettdruck)

zugeordnet werden.



Tabelle 1: Die 13 häufigsten türkischen Familiennamen in Deutschland nach ihren Typen

Türkische Familiennamen in der Türkei und in Deutschland

511

26 http://www.bundesliga-blog.de/hamit-halil-oder-altintop/#comments.



Typ nach Jastrow Beispiele (nach Jastrow und vom Verfasser)

I. Primäre und deverbale Substantive

a) Tiere, insbes. Raubtiere und Raubvögel

b) Pflanzen und Bäume

c) Metalle und Mineralien

d) Geographische Begriffe

e) Meteorologische Phänomene und Gestirne

a) ahin, Doðan (‘Falke’), Arslan (‘Löwe’),

Koç (‘Widder’)

b) Çýnar (‘Platane’), Gül (‘Rose’)

c) Çelik (‘Stahl’), Demir (‘Eisen’), Kýlýç

(‘Schwert’)

d) Kaya (‘Fels’)

e) Yýldýrým*, Yýldýz

II. Substantive, die Berufe und Tätigkeiten

bezeichnen

Demirci (‘Schmied’)

III. Primäre Adjektive Aydýn (‘hell’), Kara (‘schwarz’), Yavuz

(‘streng’)*, Uzun (‘lang’) Zengin (‘reich’)

IV. Abgeleitete Adjektive Mutlu (‘glücklich’)

* Die Namen Yýldýrým und Yavuz lehnen sich wohl eher an die Beinamen der Sultane Bâyezîd I.

und Selîm I. an.

Die Familiennamen der Türken in Deutschland unterscheiden sich offensichtlich

nach ihrer quantitativen Verteilung nicht wesentlich von denen in der Türkei.

Statistische Auswertungen sind durch Online-Telefonauskünfte in der Türkei und

Deutschland sehr erleichtert worden. Allerdings sind in der Türkei seit 2005 nur

noch einzelne Provinzen27 anwählbar. Das heißt, ohne Kenntnis der Verwaltungseinheit,

in der ein Teilnehmer wohnt, kann sein Name nicht abgefragt werden.

Der Familiennamen-Duden von Rosa und Volker Kohlheim (2005) erfasst

erstmalig die 80 türkischen Familiennamen, die unter den häufigsten 10 000 Namen

in Deutschland belegt sind und gibt ihre Bedeutung wieder. Der Stand der

Daten geht auf das Jahr 1996 zurück.28

Klaus Kreiser

512


Typ nach Jastrow Beispiele (nach Jastrow und vom Verfasser)

V. Adjektiv + Substantiv Özdemir (‘reines Eisen’), Özcan (‘echtes, reines

Leben’), Özer (‘echter Mann’), Özkan (‘reines

Blut’), Öztürk (‘echter Türke’)

VI. Substantiv + Substantiv Öz- erscheint auch in substantivischer Funktion.

VII. Partizipien Ya’ar (‘lebend’); Yýlmaz (‘der sich nicht fürchtet’),

Korkmaz (‘der keine Angst hat’)

VIII. Substantiv + Partizip Kein Name in der Gruppe über 500 Nennungen.

IX. Imperativbildungen Ünal (‘nimm Ruhm’), Öcal (‘nimm Rache’)

Yüksel (‘steige höher’)

X. Ältere Namen

a) Geographische Namen in der Türkei und

Innerasien

b) Von Ortsnamen abgeleitete Herkunftsbezeichnungen

auf -li

c) Arabisch-islamische Personenamen

d) Namen, die gebildet sind mit dem Pluralsuffix

-ler, dem Suffix -oðlu

Kein Name aus diesen Kategorien unter den

ersten 13 Namen.

27 Im Falle von Istanbul erfolgt noch eine Zweiteilung in die europäische und asiatische Hälfte der

12 Millionen Einwohner-Stadt.

28 Freundliche Mitteilung von R. und V. Kohlheim. Vgl. die Tabelle am Ende dieses Aufsatzes.

Einige methodische Probleme können hier nur kurz angesprochen werden:

1) Viele „rein türkische“ Namen können, wie schon angemerkt, sowohl als

Rufnamen wie auch als Familiennamen Verwendung finden. Die Suchmaschine

Geogen29 nannte 2007 in Deutschland 2446 Yildirim (für Yýldýrým)

und 908 Yavuz. Das gilt auch für die schon beispielhaft genannten (grammatische)

Feminina aus dem arabisch-islamischen Bereich.30 Die häufigsten

Rufnamen in der gegenwärtigen Türkei, ausnahmslos aus dem Namenvorrat

der Prophetenfamilie, können allerdings nie als Familiennamen vorkommen

(wie Zeynep, Fatma und Mehmed, Mustafa).

2) Nicht wenige Türken lassen sich, wie in der Türkei noch Jahrzehnte nach

1935 üblich, mit ihrem Rufnamen ins Telefonbuch eintragen.

3) Die Zahl der Festanschlüsse nimmt zugunsten der mobilen Telefone ab. Das

vermindert den Wert der Recherche über Festanschlüsse.

4) Die häufig verwendeten Namen erlauben anders als im Falle der Nichtmigranten

in Deutschland kaum Schlüsse auf die regionale Herkunft ihrer Träger

in der Türkei.31

Die Annahme dass die Verwendung der häufigsten Familiennamen mit dem sozialen

Status zusammenhängt, ist nicht nur plausibel, sondern lässt sich durch

Stichproben bei bestimmten Oberschichtgruppen erhärten. So finden sich unter

den Deputierten der 6. Legislaturperiode (im Jahr 1939) nur verhältnismäßig wenige

der heute populären Nachnamen. Bei ca. 420 Abgeordneten der Großen Türkischen

Nationalversammlung erwartet man einen weit größeren Anteil von

Aydýns, Demirels, Erdoðans oder Kaplans.32

Dass sich der Namenbestand der Deutschlandtürken nicht stärker von denen

im Heimatlande verbliebenen Türken unterscheidet, kann durch Stichproben belegt

werden. Das gilt auf jeden Fall für die 13 häufigsten Familiennamen, auch

wenn die Rangfolge von Ort zu Ort wechselt und sich innerhalb eines Jahrzehnts

verändert hat. Wegen der konkurrierenden Orthographie von Aslan und Arslan

Türkische Familiennamen in der Türkei und in Deutschland

513


29 http://christoph.stoepel.net/geogen/v3/.

30 Noch nicht eingesehen wurde ÇelÝk, Celaleddin: Rsim Kültürü ve Din <‘ahis Rsimleri Üzerine

bir Din Sosyoloji Denemesi >, Konya 2005, 8, 312 S.

31 Flussnamen, die zu Familiennamen wurden, bilden eine Ausnahme, vor allem bei Menschen aus

der Osttürkei (Firat = Euphrat, Dicle = Tigris).

32 T. B. M. M. Albüm. Devre VI. Rçtima Fevkalâde, Ankara 1939.

rückt der Name mit der Bedeutung ‘Löwe’ auf einen unteren Platz. Wenn man

beide Varianten zusammenfasst, hat ‘Löwe’ den zweiten Platz in der absoluten

Häufigkeit nach dem auch schon von Rosa und Volker Kohlheim als häufigsten

Familiennamen in Deutschland ermittelten Yýlmaz.



Tabelle 2: Die 16 häufigsten in Deutschland vorkommenden türkischen Familiennamen (2007)*

(Quelle: http://www.dastelefonbuch.de)

* Nr. 12 kann wegen zahlreichen Verbindungen von Türk mit Namen von Firmen und Vereinen

nicht berücksichtigt werden. Türk kommt auch nicht selten als Familienname von Deutschen vor.

Nr. 13 und 15, 14 und 16 wurden als ein Name gewertet.

Obwohl die deutschen Standesämter inzwischen den kompletten türkischen Zeichensatz

bei der Registrierung von Geburten und Eheschließungen verwenden,

wird in den meisten anderen Bereichen auf den Einsatz der Sonderzeichen ç/Ç,

Klaus Kreiser

514

Rangfolge



Familienname

(türk. Orthographie)

Bedeutung

Summe der

Einträge

Rangfolge nach

Kohlheim 1996

1 Yilmaz (Yýlmaz) ‘furchtlos’ 4397 1

2 Kaya ‘Fels’ 2880 2

3 Demir ‘Eisen’ 2599 4

4 Celik (Çelik) ‘Stahl’ 2596 5

5 Sahin (ªahin) ‘Falke’ 2567 3

6 Yildirim (Yýldýrým) ‘Blitz’ 2446 9

7 Aydin (Aydýn) ‘hell’ 2409 6

8 Öztürk ‘echter Türke’ 2405 13

9 Yildiz (Yýldýz) ‘Stern’ 2345 8

10 Özdemir ‘echtes Eisen’ 2293 11

11 Dogan (Doðan) ‘Falke’ 2223 10

12 Türk* ‘Türke’ 2130 7

13 Arslan ‘Löwe’ 2060 12

14 Kilic (Kýlýç) ‘Schwert’ 1677 14

15 Aslan ‘Löwe’ 1367 15

16 Kilinc (Kýlýnç) ‘Schwert’ 401 0

ð, ý, R, ’/‘ verzichtet. Auch die Orthographie der Telefonverzeichnisse in

Deutschland nimmt auf die Sonderzeichen im Türkischen keine Rücksicht.

Selbst die Umlaute /ö/ und /ü/ werden manchmal mit und , ja sogar

und wiedergegeben.

Folgende Beispiele können einen Begriff vom Grad der Abweichungen beider

Schriftsysteme vermitteln:

Tabelle 3: Abweichungen deutscher von türkischer Orthographie

* korrekte Form in Klammer

Äußerst selten ist eine Anpassung an deutsche orthographische Regeln, obschon

diese die richtige Aussprache von ‘en („Schen“) ermöglichen, die mit oder ohne

Cedille meist als Sen realisiert wird.33 Von der Reduzierung des türkischen Zeichenvorrats

kann man sich auch beim Lesen von Geburtsanzeigen in der Lokalpresse

oder von Sportseiten überzeugen. Bei der Aussprache mehrsilbiger türkischer

Namen ergeben sich für deutsche Sprecher Unsicherheiten bei der Betonung.

Auch nachdem der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk in Deutschland zur Berühmtheit

wurde, wird sein Familienname in den Medien meist unrichtig auf der

ersten Silbe betont.

Türkische Familiennamen in der Türkei und in Deutschland

515

Anzahl der vom Türkischen



abweichenden Zeichen

Beispiel aus dem Kölner Telefonbuch 2007*

0 Özdemir (Özdemir)

1 Ari (Arý)

2 Sengul (‘engül)

3 1) 3 verschiedene Zeichen: Yigitbasi (Yiðitba’ý)

2) 2 verschiedene Zeichen: Ciftcioglu (Çiftçioðlu)

3) 3 gleiche Zeichen: Yildirim (Yýldýrým)

Sonderfall: komplexere

Schreibung im Deutschen

Oezguenc (Özgünç)

33 Eine Anpassung an die deutsche Orthographie und Aussprache ist die Schreibung Ramadan-



Salich statt Salih. Vgl. Geburtsanzeigen Süddeutsche Zeitung 10.01.2007.

34 Jastrow 1985 berücksichtigt dieses Thema.

Am Ende dieser Übersicht muss erwähnt werden, dass die Einwanderer aus

der Türkei in Deutschland nicht vollständig, aber doch ganz überwiegend aus

Muslimen bestehen. Auf christliche Arbeitsmigranten und Asylsuchende und

ihre Namenswelt konnte hier nicht mehr eingegangen werden.34



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