Die Verben



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6.4. Die Präteritopräsentia

(Bem.: In dem weiteren Text werden die Präteritopräsentia als Prätpräs. verkürzt.)

Im Deutschen geht es der Form nach um eine Mischklasse, denn ihre Präsensform entspricht der Form des Präteritums der starken Verben (und geht formal z. T. auf das ide. Perfekt zurück, vgl. 5.1.1.3.), während das im Germanischen neu entstandene Präteritum der Präterito-Präsentia nach dem Vorbild der schwachen Verben gebildet wird. So stehen sie zwischen den starken und schwachen Verben.

Der Prozess der Entstehung der Prätpräs. und deren Beziehung zu dem ide. Perfekt wurde bereits in 5.1.1.3. behandelt. Die Präteritopräsentia kommen in mehreren ide. Sprachen vor, es handelt sich allerdings um unterschiedliche Verben, nur eines hat Äquivalente in mehreren Sprachen, u. z. „wissen”: aisl. veit - vitom, ags. wát - witon, as. wēt - witun, got. wait - witum; ahd. weiµ - wiµµum. Das germanische *wait „weiß“ (3. P. Prätpräs.) entesteht aus dem gemeinide. Perfekt. *woid-/wid- „weiß“, das auf die Verbgrundlage *weid- „sehen, erblicken“ zurückgeht, vgl. auch lat. vidēre „sehen”, griech. ideīn „sehen”, eidènai „wissen”, tsch. vidět „sehen“, vědět „wissen“. Die Form des ide. Perfekts verfügte bei diesem Verb wohl über keine Reduplikationssilbe (die Zugehörigkeit zu dem Perfekt wird genügend durch den Ablaut angedeutet), oder aber sie wurde später durch Haplologie abgeschafft, also 1. P. Sg. ide. *wewoida > ide. *woida..

Der „psychologische“ Übergang zu der neuen Bedeutung (von ide. *weid- „sehen“ zu *woid-„wissen“) kann (wenn man die Funktion des als Ausgangsform fungierenden ide. Perfekts berücksichtigt) folgenderweise interpretiert werden: das ide. Perfekt *woid- „weiß“ drückt den am Objekt erreichten Zustand aus, der durch die Handlung *weid- „finden (erkennen, erblicken)“ erreicht wird, also: „ich habe gesehen (herausgefunden) und jetzt weiß ich (habe ich es)“, oder: „ich weiß, weil ich (vorher) erkannt, gesehen (gefunden) habe.“ (Wie eng beide Bedeutungen „wissen, sehen” zusammenhängen, ist u. a. am Tschechischen anschaulich zu betrachten. Das Verb vědět „wissen”- urslawisch *věděti - 1. P. Sg. *vědě „ich weiß” ist seinem Ursprung nach das Perfekt, das von der ide. Wurzel *weid- „sehen” abgeleitet ist. Das Verb vidět „sehen”

- ursl. *viděti geht auf dieselbe ide. Wurzel *weid-, *wid- zurück.)

Mit den Prätpräs. wird also die Zeitform Präsens ausgedrückt. Die Vergangenheitsformen werden erst sekundär gebildet.

Im Germ. bleiben die Präteritopräsentia besser erhalten als in anderen Sprachen.

6.4.1. Das Präsens

Im Präsens werden die germanischen Präteritopräsentia wie die starken Präterita flektiert. Eine Ausnahme stellt die 2. P. Sg. dar - die westgerm. starken Verben weisen im Präteritum die ursprüngliche Aoristendung -i auf. Die westgerm. Präteritpräs. erhalten dagegen die Endung -t für die 2. P. Sg (ahd. nāmi - kanst), die der Endung des ide. Perfekts entspricht, vgl. 5.1.1.5. (Dieses -t und eig. die Flexion der Prätpräs. überhaupt wurde zum Vorbild der Präsensflexion der ahd. Wurzelverben, vgl. 6.6.)

Im Plural entsprechen die Endungen der Prätpräs. den Endungen der starken Präterita.

Genauso wie die starken Verben kennzeichnen sich auch die Prätpräs. durch den unterschiedlichen Ablaut im Sg. und Pl., was sich aus der Entstehung des Vergangenheitstempus Präteritum ergibt (Perfekt + Aorist, vgl. 5.1.2.2.), z. B.: 1. P. Sg. ahd. kan : 1. P. Pl. kunnum

Bei den Verben wissen und müssen wird -t der 2. P. Sg. als Analogie zu den anderen Prätpräs. eingeführt. Lautgesetzlich soll die 2. P. Sg. dieser Verben nur weis, muos lauten. Diese Tatsache ergibt sich aus den ide. Verhältnissen: wenn im Ide. ein Dental vor t steht, kommt es dann in den einzelnen Sprachen zu ihrer Assimilation: lat. obsessus

(< *obsettos), lat. lassus (< *ladtos)…- ahd. las „müde”. Im Germanischen wird ss nach einem langen Vokal vereinfacht (mit dem langen Vokal wird auch der Diphtong gemeint): 1. P. Sg. ide. *woida > germ. *wait (1 LV) > ahd. mhd. weiµ (2 LV), dagegen: 2. P. Sg. ide. *woidtha > *woitta > germ. waissa - got. waist, ahd. mhd. weist (< *weis) mit t als Analogiebildung. Dasselbe betrifft auch müssen.

Im Pl. Präs. Ind. einiger Prätpräs. setzt sich der Umlaut durch, dessen Anwesenheit bei diesen Verben noch nicht eindeutig erklärt wird - es könnte der Einfluss des Konjunktivs sein oder kann er durch die nachgestellten Pronomina (bzw. deren hohen Vokale) wir, ir, si bewirkt werden. Es kann sich auch um eine Analogiebildung zu den langsilbigen schwachen Verben mit Präsensumlaut handeln.

Die Form des Pluralstammes im Präsens dient diesen Verben zur Bildung des Inf., des Konj. Präs., des Imp. und des Part. Präs.


6.4.2. Das Präteritum

Für das Indoeuropäische ist kein einheitliches Modell der Form des Präteritums zu beweisen, so ist es möglich, dass sich die Vergangenheitsform erst nach der Spaltung des Indoeuropäischen entwickelt hat. Das Präteritum der germ. Prätpräs. entsteht nach dem Vorbild der schwachen Verben: zeigt also das Dentalsuffix, das gleich an die Wurzel tritt (also ohne den Bindevokal) + die entsprechenden Endungen, z. B: 1. P. Sg. mohta, konda usw.

Das Präteritum von müssen und wissen wird zunächst (lautgesetzlich) ohne t gebildet: 1. P. Sg. - wissa, muosa. Die Ursache liegt wie bei der 2. P. Sg. Präs. dieser Verben (vgl. oben) in der germ. Assimilation ide. *tt (< *dt) > germ. ss (ide. *wid-t zu ide. *wit-t > germ. wiss ).

Die jüngeren Formen wista, muosta stellen Analogiebildungen zu den übrigen Prätpräs. dar.

Die Präteritalformen mugen - mohte, tugen - tohte lassen sich aus den germ. Verhältnissen erklären. Die Lautveränderungen vor t kommen u. a. auch bei einigen etymologisch zusammengehörigen Wörtern vor. Ein Verschlusslaut wird zum Reibelaut, wenn dem Verschlusslaut ein t folgt. Es handelt sich um den sog. Primärberührungseffekt und betrifft nicht nur die Prätpräs., vgl. z. B: be - gift, graben - gruft, pflëgan - pfliht.

Was das Partizip Perfekt anbelangt, entwickelt es sich nur allmählich. Als Vorbild dienen sowohl starke, als auch (und vor allem) schwache Partizipialbildungen. Im Ahd. wird nur das Part. Prät. von wissen - giwiµµan ganz üblich verwendet. Nur selten kommen im Ahd. Partizipien von gan und bedarf vor. Die übrigen werden erst im Fnhd. gebildet. In diesem Zusammenhang ist wohl darauf aurmerksam zu machen, dass es im Ahd. zwar alte (z. T. schon vorgermanische) Partizipien (Verbaladjektive) gibt - eigan, kund, sculd, durft, giwis, die aber nichts mit der Verbalflexion zu tun haben und werden nur adjektivisch gebraucht.


Im Ahd. sind 11 Präteritopräsentia belegt. (Bis zum Nhd. sind einige von ihnen untergegangen, einige sind völlig in die Kategorie der schwachen Verben übergetreten.) Dank ihrer Form und Tempusbildung können sie - mit einigen Abweichungen - den Ablautreihen der starken Verben zugeordnet werden.

Während der weiteren Entwicklung haben sich die Prätpräs. den schwachen Verben sehr angeglichen. Im Fnhd. fängt der Ausgleich der 2. P. Sg. Präs. an -t > -st, es kommt auch zu der Ausformung und Durchsetzung des regulären, völlig nach dem Vorbild der schwachen Verben gebildeten Partizips Perfekt: ahd. giwiµµan > …fnhd. gewusst. Einige Prätpräs. verändern im Fnhd. den Stammvokal - mhd. gunnen > nhd. gönnen; ahd. tugen > nhd. taugen - auch Annäherung an die schwachen Verben. Der Wechsel des Stammvokals im Präs. zwischen Sg. - Pl., der bei allen Prätpräs. außer sollen eingetreten ist, bleibt auch im Nhd. erhalten. Der Stammvokal des Plurals stimmt mit dem Stammvokal des Infinitivs überein.

Im Nhd. gibt es nur noch sechs Präteritopräsentia: dürfen, können, mögen, müssen, sollen, wissen. Noch ist die Tatsache zu erwähnen, dass sich die Bedeutung einiger Prät.-Präs. seit dem Germ. wesentlich verändert hat.
6.4.3. Der Überblick der einzelnen Präteritopräsentia

(Bem.: Die Verben werden nach den einzelnen Ablautreihen präsentiert. Diejenigen Prätpräs., die bis heute erhalten geblieben sind, werden in den Tabellen angeführt. Damit ihre Präsensflexion mit der präteritalen Flexion der in die einzelnen Ablautreihen angehörigen starken Verben verglichen werden kann, werden die betreffenden starken Verben im Präteritum in den Klammern neben den Prätpräs. angeführt.)


1. Ablautreihe - wissen

wissen > mhd. wiµµen > ahd. wiµµan. (Was die ursprüngliche Bedeutung betrifft, vgl. oben.)

(Das starke Verb der 1. Ablr. - greifen > mhd. grîfen > ahd. grīfan.)



ahd. mhd. nhd.

Präsens

1. 3. P. Sg.

weiµ (greif)

weiµ (greif)

weiß (griff)

2. P. Sg.

weist1 (greifi)

weist (greife)

weißt (greifst)

1. 3. P. Pl.

wiµµum (-umēs);

wiµµun (griffum)



wiµµen (greifen)

wissen (griffen)

2. P. Pl

wiµµut (griffut)

wiµµ(e)t

(greifet)



wisst (grifft)

Part. Präs.

wiµµanti

wiµµende

wissend

Präteritum

1. 3. P. Sg.

obd. wissa, frk. wëssa, wista

wisse, wësse, wiste, weste,..wuste2

wusste

Part. Prät.

giwiµµan3

gewist, gewest, gewust (md.)

gewusst

Bemerkungen: Ad 1: Was die Form der 2. P. Sg. betrifft, vgl. oben.



Ad 2: die Formen weste, wuste werden seit dem 18. Jhd. als Norm verwendet, ß wurde als Analogie zu der 1. P. Sg. eingeführt. Die neue Reform hat diese Schreibweise wieder abgeschafft, neu wird die -ss- Schreibung eingeführt: wusste.

Ad 3: Von dem Part. Prät., das im Mhd. noch v. a. adjektivisch gebraucht wird, wird das Adjektiv ahd. giwis > mhd. gewis > nhd. gewiss abgeleitet. Dieses Adjektiv (neben ihm auch z. B. „weise” - ahd.mhd. wīs; „weissagen” - ahd. µagōn > mhd. wîīssagen; „Witz” (urpr. eig. „Wissen”)- ahd. wizzī > mhd. witze) geht auf die ide. Wurzel *weid- zurück.
2. Ablautreihe - taugen

taugen (im Nhd. nur als reguläres schwaches Verb) < mhd. tugen, tügen, ahd. Infinitiv ist nicht belegt.(Ae. gedŷgan „bestehen, überwinden“.)

(Das starke Verb der 2. Ablr. - biegen < mhd. biegen < ahd. biogan.)

Das ursprüngliche Prätpräs. weist bereits im Ahd. nur noch einige Formen auf:

3. P. Sg: ahd. toug „es hilft, nützt” (boug - 3. P. Sg. Prät. des starken Verbs der 2. Ablr.) > mhd. touc (bouc) ….nhd. taugt (bog).

3. P. Pl: ahd. tugun (bugum) > mhd. tugen, tügen (bugen)….nhd. taugen (bogen). Der Umlaut im Mhd. tügen wurde wahrscheinlich aus dem Konjunktiv übertragen.

1. P. Sg. Prät: ahd. tohta > mhd. tohte … nhd. taugte.

Dieses Verb wird im Ahd. und Mhd. meistens unpersönlich gebraucht. Im 13. Jhd. wird vom touc ein neues Verb - tougen abgeleitet, von dem die regelmäßigen Formen eines schwachen Verbs gebildet werden. Die schwache Konjugation setzt sich dann im 17. Jhd. durch und ersetzt das Präteritopräsentium.

Von taugen werden u. a. Tugend und tüchtig abgeleitet: nhd. Tugend < mhd. tugent < ahd. tugund - zunächst „Kraft, Vortrefflichkeit”, unter dem Einfluss des Christentums wurde Tugend im sittlichen Sinne verstanden, als Gegensatz zu „Laster”.

Nhd. tüchtig > mhd. tühtic - eine Bildung zu dem bereits untergegangenen, von dem alten Verb abgeleiteten Substantiv ahd. mhd. tuht „Tüchtigkeit, Tapferkeit, Gewalt”.

Dieses Verb kommt in mehreren germ. Sprachen vor (germ. *daug „taugt“), immer aber mit unterschiedlicher Bedeutung. Nach Seebold ist es auch nicht ganz sicher, ob dieses Verb einen Anschluss in einer nichtgerm. Sprache hat.
3. Ablautreihe - können, gönnen, mhd. türren (im 17. Jhd. untergegangen), dürfen
können < mhd. kunnen, künnen < ahd. kunnan

Ursprüngliche Bedeutung: „geistig vermögen, verstehen”, vgl. auch die Kausativbildung kennen (eig. „wissen lassen”)

Das Verb können geht auf die ide. Wurzel ggn-/- „erkennen, kennen, wissen” zurück, vgl. u. a. auch lat. [g]noscere „erkennen” oder tsch. znát „kennen“. Die ursprüngliche Bedeutung betrifft auch die von diesem Verb abgeleiteten Wörter, z. B: die Adjektivbildung kühn (urspr. „wissend, erfahren, weise”) und die Substantivbildung Kunst (urspr. „Wissen, Weisheit”, vgl. auch „die sieben freien Künste”.)

(Das starke Verb der 3. Ablr. - binden < mhd. binden < ahd. bintan.)


ahd. mhd. nhd.

Präsens

1. 3. P. Sg.

kan (band)

kan (bant)

kann (band)

2. P. Sg.

kanst1 (banti)

kanst (bænte)

kannst (bandst)

1. 3. P. Pl.

kunnun (buntum)

kunnen,künnen2

(bunten)


können3

(banden)


2. P. Pl.

kunnut (buntut)

kunn(e)t, künn(e)t,

(buntet)


könnt (bandet)

Part. Präs.

-----------------

-----------------------

--------------------

Präteritum

1. 3. P. Sg.

konda

kunde, konde

konnte4

Part. Prät.

-----------------

-----------------------

gekonnt5

Bemerkungen: Ad 1: Die 2. P. Sg. Präs. soll im Ahd. lautgesetzlich nur „kant” sein. Die Form kanst stellt die Analogiebildung zu weist dar.

Ad 2: Die umgelauteten Pluralformen künnen u. w. entwickeln sich erst im Mhd.

Ad 3: Die Entwicklung künnen > nhd. können geht auf den Prozess der Senkung zurück, der bei vielen Wörtern, v. a. im Fnhd. (im Md. bereits im Mhd.) durchgeführt wird. Im 18. Jhd. setzt sich können als Norm durch.

Ad 4: Das mhd. d im Prät. wird im Nhd. nach dem schwachen Präteritum dem t angeglichen.

Ad. 5: Das Part. Prät. ist im Ahd. und Mhd. noch nicht gebildet, es gibt in dieser Zeit nur das alte Partizip kund, das aber nur adjektivisch gebraucht wird. Die Form des Partizips gekund(t), gekond(t) erscheint erst im 17. Jhd.

Ad 6: Die -nn- Schreibung in allen Formen wird als Analogie zu der Form des Infinitivs eingeführt.
gönnen (ursprünglich ein Präteritopräsentium, erst seit dem 16. Jhd. schwach flektiert) < mhd. gunnen, günnen < ahd. giunnan (= eine ge- Bildung zu dem einfachen Verb ahd. unnan „gönnen, gestatten, gewähren”(germ. *ann/unn- „gewogen sein“…ide. *on-). Das Kompositum verdrängt im Mhd. die einfache Form.

1. P. Sg Präs.: ahd. an; mhd. gan (< ahd. gi + an); nhd. gönne – schwache Flexion.

1. P. Pl. Präs: ahd. unnun; mhd. gunnen, günnen; nhd. gönnen (ö geht auf die fnhd. Senkung zurück und setzt sich seit dem 18. Jhd. als Norm. durch).

1.3. P. Prät: ahd. onda; mhd. gunde, gonde; nhd. gönnte (Die Entwicklung d für t stellt die Angleichung an die schwachen Verben dar.)

Die Ableitungen von gönnen: Gunst (< mhd. gunst < ahd. unst,neben dem noch abunst „Missgunst“ steht) günstig (mhd. günstic „wohlwollend”), Gnade (< mhd. g(e)nâde < ahd. gināda (ginādī)).


mhd. turren, türren „wagen, sich getrauen”, im 17. Jhd. durch dürfen ersetzt. Das germ. *dars „wagt“ geht auf die gemeinide. Grundlage *dhers- „wagen“ zurück.

Die belegten Formen:



1. P. Sg. Präs: ahd. gitar; mhd. tar.

2. P. Sg Präs: ahd. gitarst1; mhd. tarst.

1. P. Pl. Präs: ahd. giturrum2; mhd. turren, türren.

1.3. P. Sg. Prät: ahd. gitorsta; mhd. torste.
Bemerkungen: Ad 1: -s- in der 2. P. Sg. stellt den alten germ. Wurzelauslaut dar (auch im Got. gadars), es geht also um keine jüngere Analogiebildung, wie es z. B. bei kanst der Fall ist.

Ad 2: -rr- entsteht aus germ. *-rz- (got. noch gadaūrsan), der Wechsel r < z  geht auf den grammatischen Wechsel und auf den westgerm. Rhotazismus zurück, im Auslaut bleibt noch -rs erhalten, dem das alte -t folgt.


dürfen < mhd. durfen, dürfen < ahd. durfan

Die germ. Wurzel *þarf-/þurb- „bedürfen“ geht auf das ide. *terp- zurück. (Von der ide. Wurzel ist auch das urslaw. *terpěti abgeleitet, das noch im tsch. Verb potřebovat „brauchen“ bewahrt ist.)

Die ursprüngliche Bedeutung: „brauchen, nötig haben” – vgl. auch das abgeleitete Verb bedürfen. Der gegenwärtige Sinn „die Erlaubnis haben” entwickelt sich im 16. Jhd., u. z. aus dem verneinten Gebrauch. Von dürfen wird auch das Verb darben (urspr. mit der Bedeutung „brauchen”) abgeleitet.

(Das starke Verb der 3. Ablr. - helfen < mhd. helfen < ahd. helfan.)



ahd. mhd. nhd.

Präsens

1.3. P. Sg.



darf (half)

darf (half)

darf (half)

2. P. Sg.

darft1 (halfi)

darft (hælfe)1

darfst (halfst)

1.3. P. Pl.

durfun (hulfum)

durfen, dürfen

(hulfen)


dürfen

(halfen)


2. P. Pl.

durfut (hulfut)

durf(e)t, dürf(e)t

(hulf(e)t)



dürft (halft)

Präteritum

1. 3. P. Sg.



dorfta

dorfte2

durfte

Part. Prät.

-------------------

bedorft3

gedurft

Bemerkungen: Ad 1: 2. P. Sg. darft wird im 15. Jhd. völlig von darfst verdrängt. So hat sie sich der Flexion der schwachen Verben angeglichen.

Ad 2: Der Ausgleich u, ü, o beginnt bereits im Mhd., die Form des Prät. dorfte wird noch im 18. Jhd. verwendet, dann wird u wie im Inf. als Norm eingeführt.

Ad 3: Das Partizip Perfekt wird im Mhd. nur von bedürfen belegt. Die im Nhd. gebrauchte Form gedurft ist erst im Spätmhd. belegt.



4. Ablautreihe - sollen

Die Präteritopräsentia dieser Ablr. weisen im Plural einen unterschiedlichen Ablaut auf (die Reduktionsstufe) als die betreffenden starken Verben (die Dehnstufe). Im Ahd. gibt es nur noch ein in diese Ablr. angehöriges Präteritopräsentium Im As. und Got. werden noch andere solche Verben belegt, z. B: got. ga-munan „meinen”. (Im Ahd. kommt noch ein Verb dieser Ablautreihe vor, jedoch nur in einer einzigen Form: ginah „es genügt”.)


sollen < mhd. soln, suln < ahd. sculan (aus germ. *skal (3. P. Sg.) „schulden, sollen“)

Die ursprüngliche Bedeutung: „schuldig sein, müssen”, vgl. auch die Substantivbildung Schuld < mhd. schulde, schult < ahd. sculd(a) - zunächst „rechtliche Verpflichtung zu einer Leistung” (z. B. Strafe), bereits im Ahd. erscheint auch die Bedeutung „Vergehen, Sünde”. (Die ursprüngliche Bedeutung des Verbs, das im Unterschied zu dem nhd. Prätpräs. als Vollverb gebraucht werden konnte, bleibt noch im 18. Jhd. in der Kaufmannssprache erhalten: „er soll mir 10 Taler”.)

(Das starke Verb der 4. Ablr. - nehmen < mhd. nëmen < ahd. nëman.)
ahd. mhd. nhd.


Präsens

1. 3. Sg.



scal1 (nam)

sol, sal2

(nam)


soll4 (nahm)

2. P. Sg.

scalt (nāmi)

solt (næme)

sollst5

(nahmst)


1. 3. P. Pl.

sculun

(nāmum)


suln,süln2

(nâmen)


sollen

(nahmen)


2. P. Pl.

sculut (nāmut)

sult (nâmet)

sollt

(nahmt)


Präteritum

1. 3. P. Sg.



scolta3

solde2, solte

sollte

Part. Prät.

----------------

-----------------

gesollt

Bemerkungen: Ad 1: Die Formen mit c überwiegen im 8. 9. Jhd., im 10. Jhd. wird c allmählich abgeschafft (wegen der Erleichterung der Aussprache). Noch im Mhd. kommen jedoch auch die Formen schal, schol neben den bevorzugten sol, sal vor.

Ad 2: Der Ausgleich der Formen mit a (sal), u (suln) und o (solde und auch der Infinitiv mhd. soln, suln) beginnt bereits im Mhd. Das nhd. schriftsprachliche o setzt sich im 17. Jhd. als Norm durch.

Ad. 3: Das ahd. scolta entwickelt sich durch die Senkung aus dem älteren skulta. Die Formen mit o sind auch in den Plural eingedrungen.

Ad 4: Die neu eingeführte -ll- Schreibung in allen Formen soll die Kürze andeuten.

Ad 5: Die das s enthaltende Form sollst setzt sich seit dem 15. Jhd. durch und ersetzt die ältere Form solt.


Die nhd. Präteritopräsentia (außer wissen) werden als Modalverben gebraucht. (Zu den Modalverben gehört noch das Verb wollen, dass aber eines anderen Ursprungs ist, vgl. 6.5. Es handelt sich um ein im Singular unregelmäßig flektiertes Modalverb.) Die Modalverben können auch selbstständig stehen. „Sie drücken an sich schon ein modifiziertes, d. h. ein besonders geartetes Geschehen aus, z. B. Fähigkeit, Notwendigkeit, usw…(Jung 1967: 189). Beispiele: Er mag kein Fleisch. Wer will, der kann. Sie können auch als Hilfsverben bei anderen Verben stehen. „Dabei hat jedes der Verben nicht nur eine Bedeutung, sondern verschiedene Variationen der Modalität.” (Jung 1967: 189). Beispiele: Das darfst du nicht tun. Er konnte nicht schlafen. Er will nicht ins Konzert gehen.

Die nhd. Präteritopräsentia. kennzeichnen sich durch folgende Merkmale: 1. Der Stammvokal im Sg. Präs. ist ein Ablautvokal, der im Prät. der starken Verben üblich ist. 2. Der Plural Präsens entspricht dem Infinitivstamm. 3. Das Präteritum wird schwach flektiert, ohne Umlaut des Stammvokales, bei wissen mit Ablaut.

6.5. „wollen“
Das Verb wollen stellt eine besondere Form dar. Im Germanischen kommt es bei diesem Verb zu der Modusverschiebung - als Indikativ werden die alten Formen des Konjunktivs gebraucht, die im Germ. bei wollen die indikativische Bedeutung annehmen. Die ursprünglichen Indikativformen werden von diesen neuen Formen ersetzt. (Eine Parallele ist im Nhd. an dem Verb mögen zu betrachten, dessen Konjunktiv - möchte eig. die indikativische Bedeutung „ich wünsche” hat, z. B: Möchten Sie noch etwas Kaffee? Dagegen wird mit seinem Indikativ v. a. folgendes ausgedrückt: „jmdn. oder etwas (nicht) gern haben, oder etwas (nicht) gern essen”, z. B.: Ich mag Rosinen nicht. Wir mögen Pfefferkuchen sehr.)

Was die Bildung des Verbs anbelangt, geht wollen < ahd. wollen, wellen < ahd. wellen; got. wiljan auf die ide. Wurzel *wel- „wollen, wählen, wünschen” zurück. (Das Verb wählen < mhd. weln < ahd. wellan, got. waljan wird von derselben Wurzel abgeleitet.) An die ide. Wurzel tritt das ererbte Optativsuffix ide. *-ī-, dem die Endungen (sekundäre Endungen) folgen, vgl. z. B. den lat. Optativ: velim („will”), velis („willst”), velit („will”) -i als Optativzeichen + Endungen. Im Germ. kommt es zur Hebung ë < i und zum lautgesetzlichen Abfall einiger auslautender Konsonanten.

Der ahd. Indikativ behält im Singular z. T. noch die alten Optativzeichen. Im Plural (und auch im Infinitiv und Part. Präs.) kommt es dann zum Ausgleich mit den Formen der schwachen jan-Verben. Auch der neu gebildete Konjunktiv Präsens wird nach dem Vorbild des Konjunktivs Präsens der schwachen Verben gebildet. (Bem.: was die Unterschiede in der Bedeutung Optativ : Konjunktiv vgl. 5.4.2.2.)

Das Präteritum und der Konjunktiv Präteritum von wollen werden schwach flektiert.

Das Partizip Perfekt gewollt entsteht erst im Fnhd.
(Bem. zu der Tabelle: Die Formen des Indikativs des Verbs wollen sind fettgedruckt. Damit der Vergleich mit der Flexion der schwachen Verben möglich ist, wird in den Klammern das schwache jan- Verb zellen „zählen, sagen” in den betreffenden Formen angeführt. Neben ihm in der Kursive steht Konj. Präs. Unterstrichen sind die Formen des Konj. Prät. Im Nhd. fallen die Formen des Konj. Präs. und Konj. Prät. zusammen.)

ahd. mhd. nhd.


Präsens

1. P. Sg.



willu1 (zellu), welle, wolle

wile3, wil, mfrk. wille (zele), welle, wolle

will (zähle), wolle

2. P. Sg.

wil, wili, wile, wilis1, wilt2 (zelis), wellēs(t), wollēs(t)

wil, wilt4 (zel(e)st), wellest, wollest

willst (zählst), woll(e)st

3. P. Sg.

wil, wili, wilit1 (zelit), welle, wolle

wile, wil, mfrk. willet (zel(e)t), welle, wolle

will (zählt), wolle

1. P. Pl.

wellemēs, -ēn, wollemēs, -ēn (zellemēs, ēn), wellēm, wollēn

wellen5, weln, md. woll(e)n (zel(e)n), wellen, wollen

wollen (zählen), wollen

2. P. Pl.

wellet, wollet (zellet), wellēt, wollēt

well(e)t,woll(e)t (zel(e)t), wellet, wollet

wollt (zählt), wollet

3. P. Pl.

wellent, -ant, wellen, wollent (zellent), wellēn, wollēn

wellen, md. wollen (zel(e)n), wellen, wollen

wollen (zählen), wollen

Partiz. Präs.

wellenti6,wollenti (zellenti)

wellende, wollende (zelende)

wollend (zählend)

Ind. Prät.

welta6, wolta (zalta), wolti

wolte (zelte), wolte, wölte

wollte (zählte), wollte

Germanische Rekonstruktionen: 1.2.3. P. Sg. Ind. Präs: wiljō+u; wilīs; wilī(þ)

1.2.3. P. Pl. Ind. Präs: wilīm»s; wilīþ(e); wilīn(þ)

Bemerkungen: Ad 1: 1. P. Sg. wird den jan-Verben angepasst, was die -u Endung und die westgerm. Gemin. vor j (l < ll) beweisen. Belegt ist j noch in der 1. P. Sg. m Gotischen - wiljau oder im As. - williu. Die 2. und 3. P. Sg. wilis, wilit entsprechen auch der Flexion der jan-Verben. Dagegen stellen wile, wil noch die Optativformen dar.



Ad 2: 2. P. Sg. - wilt wird nach dem Vorbild der Präteritopräsentia gebildet.

Ad 3: Die mhd. Formen wile, wil in der 1. 2. 3. P. Sg. gehen auf den Optativ zurück, die mfrk. Formen stimmen mit denen der jan-Verben überein. Ins Nhd. werden die alten Optativformen eingenommen, wobei die -ll-Schreibung in allen Verbalformen eingeführt wurde. So kommt es zu dem Ausgleich mit dem Infinitiv.

Ad 4: 2. P. Sg. wilt stellt im Mhd. die üblichste Form dar. Die -st- Schreibung setzt sich seit dem 17. Jhd. durch.

Ad 5: Der Plural hat sich bereits im Ahd. der Pluralform der jan-Verben angepasst. Im Nhd. setzen sich die ursprünglich nur im Mitteldeutschen üblichen Formen mit -o- durch.

Ad 6: Part. Präs. und Ind. Prät. werden analogisch zu den jan-Verben gebildet. Dasselbe betrifft auch den Konjunktiv.
6.6. Die Wurzelverben (sein, tun, stehen, gehen)
Die Wurzelverben (auch als athematische Verben bezeichnet) werden im Ide. ohne das stammbildende Element gebildet. Im Präsens dieser Verben tritt die Endung unmittelbar an den Stamm. Im Indoeuropäischen stellen sie eine eigenständige, relativ große Gruppe von Verben dar. Von den thematischen Verben unterscheiden sie sich neben dem Fehlen des Stammsuffixes durch ihre eigentümliche Bildung der Präsensformen.

Im Germanischen kommt es zur ziemlich drastischen Reduzierung dieser Gruppe von Verben, was mit den im Germ. verlaufenen Lautprozessen zusammenhängt. Die Stabilisierung des Akzentes auf der Wurzelsilbe führt u. a. zur Verschiebung der morphematischen Grenze, was zum Zusammenfall der Wurzelverben mit den thematischen Verben führt. Die Verben können in den meisten Fällen nicht mehr voneinander unterschieden werden. Bis zum Nhd. bleiben so nur 4 Wurzelverben erhalten, die aber von ziemlich großer Bedeutung sind: sein, tun, gehen, stehen.

sein

Das deutsche Verb (bzw. die einzelnen Formen im Präs., Prät. usw.) werden aus drei ide. Wurzeln gebildet. (Die „Dreibildung” dieses Verbs betrifft alle germ. Sprachen.) Während der Entwicklung kommt es dann zur Vermischung und Kontamination der ursprünglich „reinen” Formen. Trotzdem sind die einzelnen ide. Wurzeln bis heute zu erkennen.

Die einzelnen Wurzeln:

1. ide.*es-sein” - vgl. auch: lat. esse, griech. eīnai „sein”. Die ide. Wurzel liefert in vielen ide. Sprachen die Kopula und das Verbum substantivum. Seine Formen werden v. a. für die Formen des Präsens gebraucht, vgl. auch z. B. die slawischen Formen des Präsens: 1.2.3. P. Sg. Präs: urslaw: *esm. - tsch. „jsem”, *esi - tsch. „jsi”, *est. - tsch. „je”.oder die 3. P. Sg. in weiteren ide. Sprachen: lat. est, griech. estí, aind. ásti, alb. është, arm. ē, toch B ste, chet. ešzi.

In weiteren Tempora wird diese Wurzel in den meisten Sprachen suppletiv ergänzt.

Was das Germanische betrifft, stellt sie in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar. Auf die germ. Wurzel *es- gehen in allen germ. Sprachen die Formen des Indikativs Präsens und des Konjunktivs Präsens zurück, z. B. die 3. P. Sg. Ind. Akt: ahd. ist, got. ist, as. is(t), aengl. is, aisl. es.

Was die Endungen des Indikativs Präsens betrifft, werden sie in allen germanischen Sprachen nach dem Vorbild der Präteritopräsentia gebildet.

Was das ahd. Präsens betrifft, bleibt die Wurzel in der reinen Form in der 3. P. Sg. und Pl. erhalten (ahd ist; sint), als eine Kontaminationsform dann in der 1. 2. P. Sg. und Pl. (ahd. bim, bist; birum, birut).

(Im Zusammenhang mit der ide. germ. Wurzel *es- führt Seebold eine interessante Hypothese hinsichtlich des germ. Wortes *sanþa- „wahr“ an (vgl. auch got. sunja „Wahrheit“, ahd. suona „Gericht, Urteil, Versöhnung“, das nhd. „Sühne“ weist die Bedeutung „Bußleistung, Strafe“ auf), das nach ihm eine ursprüngliche Partizipialbildung zu *es- darstellen könnte.).

Für die Formen des Infinitivs (nhd. sein < mhd. sîn < ahd. sīn), des


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