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Spiel, ein idealer Anwalt für das EKO-Modell



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Spiel, ein idealer Anwalt für das EKO-Modell. 10 Oder: Nur wo der Mensch spielt, ist er ganz Mensch

Wir werden in den folgenden Kapiteln wichtige Bereiche näher behandeln, bei denen das EKO-Modell neue Perspektiven eröffnet. Der erste Bereich, mit dem wir uns beschäftigen, ist das Spiel. Nun mag man sich fragen, warum so etwas Unwichtiges wie das Spiel zu der Ehre kommt, als erster Bereich behandelt zu werden. Dies hat zwei Gründe. Zum einen ist Spiel das ideale Beispiel, um zu demonstrieren, wie Evolution, Kultur und Ontogenese ineinandergreifen. Zum andern gilt es zu zeigen, dass Spiel keineswegs eine bedeutungslose Aktivitätdarstellt, sondernzentralfürdasmenschlicheLebenist. Wirbehaupten, dassSpiel für die individuelle und kulturelle Entwicklung wichtiger ist als Arbeit, eine Behauptung, die erst heute in vollem Umfang belegt werden kann.



10.1 Was ist Spiel?

Obwohl alle zu wissen glauben, was Spiel ist, lässt es sich wegen der Vielfalt seiner Erscheinungsformen schwer in eine griffige Definition zwängen. Da das Spiel auch bei (anderen) Tierenauftritt, müssenwirnacheinerBeschreibungsuchen, dieauchaufandereLebewesen passt. Spiel präsentiert sich unter dieser Perspektive als Aktivität, die keinen erkennbaren Nutzen für das Überleben hat, also weder der aktuellen Nahrungsbeschaffung, der Sicherheit oder dem Ruhebedürfnis dient. Spielaktivität ist Selbstzweck. Sie nutzt keinem unmittelbaren Ziel außerhalb des Verhaltens. Die Kennzeichnung „unmittelbar“ ist wichtig, weil Spielaktivität auf längere Sicht einen Vorteil einbringen kann.

R. Oerter, Der Mensch, das wundersame Wesen, 223

DOI 10.1007/978-3-658-03322-4_10, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

Die allgemeine Kennzeichnung des Spiels als Selbstzweck lässt sich durch das Merkmal der lustvollen Wiederholung ergänzen. Wenn ein junges Kätzchen mit einem Ball spielt, ihn wegrollt und wieder einfängt oder wenn sich zwei junge Hunde balgen, so macht das den Tieren offenkundig Spaß und sie wiederholen die lustvolle Tätigkeit. Bereits das sechs Monate alte Baby zeigt ein ähnliches Verhalten. Wenn man sein Bein mit einer über eine Rolle laufende Schnur verbindet, an deren anderem Ende eine Puppe befestigt ist, so entdeckt das Baby rasch, dass es mit seinem Beinchen die Puppe zum Schaukeln und Hüpfen bringen kann. Sobald es diesen Zusammenhang erkannt hat, wiederholt es die Beinbewegung absichtlich und lustvoll. Man bezeichnet dieses Verhalten auch als Mastery Play, weil das Kind Freude an der Bewältigung einer neuen Handlung hat und diese regelrecht einübt.

Ein weiteres Merkmal des Spiels hängt mit dem So-tun-als- ob zusammen. Sade (1973) gibt einen Überblick über die Gestik und Mimik von Rhesus-Affen und findet für die Spielhaltung typische Ausdruckskomponenten bei Spielkämpfen, wie die Rotation des Kopfes oder Rumpfes in einer schrägen Neigung. Das So-tun-als-ob finden wir auch beim Kätzchen, das mit einem Wollknäuel spielt, es hat ja keine echte Beute. Das Knäuel dient ihm als Ersatz. Es steht stellvertretend für die Beute. Bereits Bateson (1955) stellt einen Zusammenhang zwischen Spielverhalten und einer neuen Ebene der Kommunikation in der Phylogenese her. Er nimmt an, dass Tiere mit Zeichen umgehen, die für etwas anderes stehen. Wenn Jungtiere miteinander Scheinkämpfe ausführen, dann ist dies seiner Meinung nach nur möglich durch die Metakommunikation: „Das ist Spiel. Wir tun nur so, als ob wir kämpfen würden“. Natürlich ist die Metakommunikation kein bewusster Vorgang. Auch das Kind, das Metakommunikation ausgiebig im Rollenspiel einsetzt, ist sich dieser Methode nicht bewusst. Die Verwendung von Zeichen findet man auch bei den Drohgebärden höherer Säugetiere. Drohen ist ein Zeichen für etwas anderes, nämlich der Gefahr der Aggression gegen den Bedrohten, die aber nur eintritt, wenn der Gegner angreift bzw. das Revier nicht verlässt. Diese Parallelität zum Spiel nimmt Bateson als Beleg für die Fähigkeit bei Tieren, mit Zeichen zu operieren, die auf etwas hinweisen, was sie nicht selbst sind.

Bisher haben wir also drei Merkmale zur Kennzeichnung des Spiels kennengelernt: Selbstzweck, Wiederholung und fiktive Realität (Tun als ob). Ein weiteres Kennzeichen des Spiels, das ebenfalls phylogenetisch schon vor dem Auftreten des Homo verankert ist, kann im Ritual gesehen werden. Rituale sind Handlungen, die einen fixierten Ablauf haben, außerhalb der unmittelbaren Lebensfristung stehen und einen übertriebenen Gestus aufweisen. Menschliche Rituale finden wir in religiösen, politischen und militärischen Zeremonien. Sie sind auch ein wichtiges Element im kindlichen Tagesablauf. So braucht das Kind feste ritualisierte Handlungsfolgen beim Aufstehen, Zubettgehen und bei den Mahlzeiten. Rituale ähnlicher Art finden wir schon bei Tieren. Am auffälligsten und bizarrsten sind die Balzrituale der Vögel. Aber viele Säugetiere stehen ihnen in den Werberitualen kaum nach. Selbst Lurche, Schnecken und Insekten besitzen in ihrem Verhaltensrepertoire Rituale. Ob Mensch oder Tier – merkwürdig, bizarr und unnötig energieaufwendig sind Rituale allemal. Sie finden sich auch haufenweise im Spiel bei Kindern und Erwachsenen.
10.2 Spielverhalten beim Tier und sein evolutionärer Sinn

Ihre Funktion scheint ihre stabilisierende, ordnende, teils beruhigende, teils erhebende Wirkung zu sein. Auch wenn wir es bei Tieren mit vorprogrammiertem Instinktverhalten zu tun haben und unser Verhalten und Handeln demgegenüber viel mehr Freiheitsgrade hat, so ist uns doch das irrationale Bedürfnis nach Ritualen geblieben.

Schließlich wäre noch ein letztes Merkmal des Spiels zu nennen, das allerdings auch nicht auf Spielverhalten beschränkt bleibt: der Objektbezug. Bereits Tiere spielen gerne mit Gegenständen: Delphine mit Holzstämmen oder manchmal mit Möwen, junge Kolkraben mit Rindenstückchen, das Kätzchen mit dem Wollknäuel. Menschenkinder beziehen fast immer Gegenstände in ihr Spiel mit ein, und wenn Säuglinge in einem Funktionsspiel mit den eigenen Körperteilen hantieren, so werden diese zu Gegenständen, die man erkundet. Der Gegenstandsbezug ist wieder unser Bindeglied zur menschlichen Kultur, die wir als Universum von Gegenständen definiert haben. Wir werden zeigen, welche Bedeutung das Spiel und der spielerische Gegenstandsbezug für die Entstehung und Entwicklung der Kultur haben. Gegenstände haben im Spiel eine andere Funktion als außerhalb im „Ernst des Lebens“. Das Wollknäuel des Kätzchens ist die Als-ob-Beute, der Ball, den der Delphin oder die Robbe auf der Nase balanciert, ein Gegenstand des Vergnügens. Das Spielzeugauto ist ein Als-ob-Gegenstand, der das Fahren mit dem richtigen Auto simuliert und antizipiert. Gegenstandsbezug im Spiel hat mehr oder minder mit der fiktiven Realität zu tun, in der sich die Spielhandlung bewegt. Je mehr sich ein Tier oder ein menschliches Kind explorativ mit einem Gegenstand beschäftigt, desto mehr tritt die Als-ob-Haltung zurück, denn es geht um die Erforschung und praktische Erprobung der Funktionen des Gegenstandes. Aber auch bei diesem Neugierspiel bleibt die Als-ob-Haltung, denn ohne sie würde man sich einem Objekt erst gar nicht spielerisch zuwenden.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Spiel tritt in der Evolution sehr früh auf. Es ist meist, aber durchaus nicht immer, eine lustvolle Tätigkeit, die um ihrer selbst willen ausgeübt wird. Als Merkmale, die sich bis hin zum Homo sapiens immer stärker und klarer ausprägen, können gelten: Selbstzweck, Wiederholung, fiktive Realität (Nutzung von Zeichen), Ritual und Gegenstandsbezug.



10.2 Spielverhalten beim Tier und sein evolutionärer Sinn

Obwohl Spiel bei Tieren ein uns allen bekanntes Phänomen ist, verlohnt es sich, einige Beispiele näher anzuschauen, die von anderen Autoren gesammelt und diskutiert worden sind (Burghardt 2005; Bekoff und Byers 1998; Fagen 1981; Cerutti 2002). Dass Spiel phylogenetisch sehr alt sein muss, beweist das Spielverhalten von Kraken, die es seit mindestens 550 Mio. Jahren gibt und deren unmittelbare Vorfahren sogar eine Milliarde Jahre alt sind. Kraken spielen mit Legosteinen und Plastikflaschen, die sie immer wieder in die Strömung drücken. Eine afrikanische Schildkröte im Zoo von Washington mit Namen Pigface verbrachte rund 30% ihrer Zeit als „Spiel“ mit Bällen, Stöcken und Ringen.

Ein Beispiel für das Spiel von Vögeln übernehme ich wörtlich von Cerutti (2001/2002, FolioNeueZüricherZeitung). „VierjungeKolkraben, kaumflüggegeworden, interessieren sich für ein Rindenstück. Einer packt die Rinde mit dem Fuß, hängt sich kopfüber an einen Ast und lässt nach etlichem Geschaukel das Objekt fallen. Blitzschnell sind zwei der andern bei der Rinde, packen sie mit dem Schnabel und veranstalten ein ,Seilziehen‘. Als sich der Sieger mit der Beute davonmachen will, wird er vom vierten Vogel verfolgt, der das Streitobjekt erobert, sich auf den Rücken legt und die Trophäe hingebungsvoll mit dem Schnabel bearbeitet. Wenige Minuten später aber liegt die Rinde verlassen auf dem Boden – die Vogelbande balgt sich jetzt um ein Stecklein.“

Am häufigsten und ausgeprägtesten findet sich Spiel bei Säugetieren. Junge Schimpansen verbringen einen Großteil ihrer Zeit mit Spielverhalten. Dazu gehören Kampfspiele und andere soziale Wettbewerbsspiele, Spiele mit Gegenständen und Vorformen von Symbolspiel. Bierens de Haan (1952) beobachtete bereits vor 60 Jahren das Spielen eines jungen Schimpansen. Er berichtet über die große Erfindungsgabe des Tieres, die Möglichkeiten seinesKörperszuerprobenundüberdieFähigkeit, einigeeinfacheGegenständezumSpiele zu nutzen. Die Rhythmik seiner Bewegungen schien er lustvoll zu empfinden. Die Präsentation eines im Kindergarten benutzten Spielgerätes regte das Tier jedoch nicht zu Umgang mit dem neuen Objekt an, es zeigte kein Interesse. Bekoff fand, dass das Spielverhalten von jungen Koyoten eine deutlich größere Variation auf wies und weniger vorhersagbar war als das Verhalten erwachsener Tiere (Bekoff und Byers 1998).

Damit sind wir bei der Frage, welche Funktion Spielverhalten in der Evolution haben könnte. Es wird eine Reihe von Interpretationen angeboten. Die älteste und immer wieder aufgefrischte Hypothese lautet, dass durch Spielverhalten spätere Leistungen eingeübt werden: das Jagdverhalten, der Kampf gegen Rivalen, Geschicklichkeiten bei der Nahrungsbeschaffung und nicht zuletzt die rasche Flucht. Auch die Einübung sozialer Fertigkeiten soll durch gemeinsame Spiele gefördert werden, wie Scheinkämpfe, Ergattern eines Gegenstandes in der Gruppe und soziales Zusammenleben überhaupt. Da es für die Einübungshypothese Gegenbeispiele im Tierreich gibt, sucht man heute nach anderen Erklärungen. Immerhin gibt es genug Belege dafür, dass Verhalten durch Spiel eingeübt wird, allerdings weniger als Training festgelegter Routinen, sondern mehr als Erhöhung der raschen und flexiblen Anpassung an neue Situationen. Bei den Spielkämpfen wechseln beispielsweise die Partner die Rollen des Angreifers und des Unterlegenen, wie sich bei Ratten, Steinböcken und Rhesusaffen beobachten ließ (Burghardt 2005).

Inzwischen lassen sich Zusammenhänge zwischen Spiel und Training des Gehirns auch neurologisch nachweisen. Bei Mäusen, Ratten und Katzen formieren sich die Synapsen der Nervenzellen im Kleinhirn gerade zu der Zeit, in der die Jungen am meisten spielen. Auf diese Weise werden von den synaptischen Verbindungen, die in der frühen Entwicklungsphase bei Tier und Mensch in einer Überzahl vorhanden sind, diejenigen gefestigt, die trainiert werden (Bekoff und Byers 1998). Siviy (2000) fand eine erstaunliche Aktivierung von Gehirnregionen während des Spiels, woraus sich folgern lässt, dass Spiel die Flexibilität des Verhaltens fördert. Burghardt (2005) fasst diese Überlegungen zu einer Theorie zusammen, die er Surplus Ressource Theory, Theorie überschüssiger Ressourcen, nennt. Sie lässt sich folgendermaßen kennzeichnen. Spielen kann ein Lebewesen nur, wenn es gerade frei von Aufgaben der Nahrungsbeschaffung und der Abwehr von Feinden ist. Bei den meisten Säugetieren, vor allem aber beim Menschen, sind die Bedingungen dafür sehr günstig. Die Eltern behüten die Jungen und sorgen für genügend Nahrung. Junge Säugetiere einschließlich der Menschen haben wesentlich mehr überschüssigen Raum für Spielaktivität als andere Tierklassen und damit einen Vorteil für den Aufbau flexibler Gehirnstrukturen. Burghardt sieht in der Verfügbarkeit überschüssiger Ressourcen und damit im Spiel einen wichtigen Grund für den Siegeszug der Säugetiere.

Wenn Spielaktivität und Gehirnentwicklung, wie angenommen, eng miteinander verbunden sind, dann müsste es im Tierreich sensible Phasen geben, in denen gespielt wird. In der Tat existieren solche „Entwicklungsfenster“: bei Mäusen zwischen dem fünfzehnten und dem dreißigsten Lebenstag, bei Katzen etwa ab der dritten bis zur zwanzigsten Woche, und beim Anubispavian zwischen dem fünften und fünfzigsten Monat. Spinka, Newberry und Bekoff (2001) nehmen an, dass sich Spielverhalten in der Evolution deshalb entwickelt hat, weil sich so Verhalten in neuen, unvertrauten Situationen risikofrei erproben lässt. Auf diese Weise sind Spielerfahrene besser für den Ernstfall gerüstet. Dies wiederum bietet einen Wettbewerbsvorteil im Kampf ums Dasein.

Zusammenfassend können wir festhalten: Die evolutionäre Funktion des Spiels besteht in der Entwicklung flexibleren und anpassungsfähigen Verhaltens, das einen Trumpf im Kampf ums Dasein darstellt. Spiel bildet sich, wenn ein Überschuss an Ressourcen vorhanden ist und Freiraum für scheinbar nutzloses Verhalten ermöglicht.



10.3 Ontogenese: Spiel als Lebensbewältigung

Beim Homo sapiens nimmt die Spielaktivität den größten Raum von allen Säugetieren ein. Dem menschlichen Kind, aber auch dem Erwachsenen stehen mehr als bei jedem Tier Überschuss-Ressourcen zur Verfügung, die für das Spiel genutzt werden können.



Entwicklung des Spiels

Generell lassen sich in der Entwicklung typische Spielformen unterscheiden, die in einer festen Reihenfolge auftauchen: sensomotorisches Spiel, Exploration (wird von manchen Autoren nicht zum Spiel gerechnet), Symbolspiel oder Als-ob-Spiel, Konstruktionsspiel, Rollenspiel und Regelspiel.



Sensomotorisches Spiel Das sensomotorische Spiel entspringt der Bewegungserfahrung des Säuglings und zeigt sich ursprünglich als Vorform in primären Kreisreaktionen (Piaget 1936). Mit dem Auftreten der sekundären Kreisreaktionen (Baldwin 1895; Piaget 1936) führt das Kind aktiv selbsterzielte Effekte herbei (z. B. Puppe an einer Schnur hochziehen). Die Handlungswiederholungen werden ausgesprochen lustvoll durchgeführt und auch als Mastery Play bezeichnet (Bruner et al. 1976). Das sensomotorische Spiel mündet in Explorationsverhalten, sobald die Fertigkeiten des gezielten Greifens und der Augen-Hand-Koordination hinreichend ausgebildet sind (in der Regel am Ende des ersten Lebensjahres). Dabei werden die Handlungsqualitäten des Gegenstandes erforscht und neue Umgangsformen erprobt. Hat das Kind genug vom Gegenstand erfahren, benutzt es ihn häufig als Objekt eines Symbolspiels.

Symbolspiel (Als-ob-Spiel) Im zweiten Lebensjahr zeigt das Kind einen erstaunlichen Umgang mit Gegenständen. Kaum hat es deren Bedeutung erfasst, definiert es sie um und benutzt sie in einem anderen selbstkonstruierten Realitätsrahmen. Gegenstände und Handlungen werden zum Symbol für etwas anderes. Das Kind verhält sich so, als ob es selbst, seine Handlungen und die Gegenstände etwas Anderes, Neues seien.

MitBretherton(1984)kannmanzwischendreiHandlungskomponentenimSpielunterscheiden: Akteur, Spielhandlung und Spielgegenstand. Beim Akteur beobachten wir die VeränderungvomSelbstbezugzumBezugaufanderePersonenoderalsPersonengedeutete Objekte (Puppe). Auf der Seite der Spielhandlung werden zunächst einzelne Handlungen (z. B. Kämmen), dann Handlungsschemata auf verschiedene Objekte (kämmen der Puppe, der Schwester, der Mutter) und schließlich die Kombination von Handlungen realisiert (Puppe waschen, kämmen und anziehen). Der Spielgegenstand zeigt eine Entwicklung der Substitution, d.h. der Umdeutung des Gegenstandes bzw. des Ersetzens durch einen gedachten Gegenstand. Zunächst muss der reale Gegenstand noch äußere Ähnlichkeiten aufweisen (z. B. ein Plastik-Lastauto), sodann begnügt sich das Kind mit einer funktionellen Ähnlichkeit (fahrbar, beladbar). Schließlich kann der reale Gegenstand mehr und mehr beliebig werden (Holzklotz, später auch nur eine das Fahren andeutende Geste).

Das Symbolspiel erfordert vom Kind beträchtliche kognitive Leistungen, allem voran die Fähigkeit, sich gegen den Augenschein etwas vorzustellen und gemäß dieser Vorstellung und nicht gemäß dem Augenschein zu handeln. Wenn das Kind beispielsweise einen gelben Baustein als Banane bezeichnet und ihn in einem Verkaufsspiel als Banane weiterverkauft, so handelt es gegen den Augenschein, dass es real einen Baustein weitergibt. Da das Symbolspiel bereits im zweiten Lebensjahr auftaucht, stellt sich die Frage, welche Fähigkeiten das Kind bereits zu diesem frühen Zeitpunkt besitzt.

ZunächstmussmansichmitdemProblemdes„Vorstellungsmissbrauchs“auseinandersetzen. Das Kind sieht eine leere Tasse und tut so, als sei Flüssigkeit darin, indem es aus ihr trinkt. Je mehr Umdeutungen und je mehr Als-ob-Spiele stattfinden, desto mehr kommt es zum Missbrauch von Vorstellungen über Gegenstände. Wieso führt dieser Missbrauch das Kind nicht in Verwirrung? Harris und Kavenaugh (1993) erklären dies aufgrund einer Serie von Experimenten, die sie durchgeführt haben, folgendermaßen: Die fiktive Episode wird zu einem vorübergehend neuen Handlungsrahmen. In ihm erfahren die Gegenstände eine andere Etikettierung. Beispielsweise „in diesem Handlungsrahmen (,Spiel‘) ist der gelbe Baustein eine Banane“. Sobald der Spielrahmen verlassen wird, erhält der Baustein wieder seine ursprüngliche Bedeutung zurück. Auf diese Weise kann das Kind im Spielverlauf den gleichen Gegenstand sogar mehrfach etikettieren. Wenn es den Bären „füttert“, erhält der Baustein das Etikett ,Banane‘; wird der Bär gewaschen, so kann der Baustein das Etikett ,Schwamm‘ erhalten. Solche Zuweisungen aus dem Handlungsrahmen können im Langzeitgedächtnis gespeichert und bei Wiederholung des Spiels abgerufen und erneut benutzt werden.



Die Autoren weisen auch das Verständnis kausaler Transformationen beim Spiel nach. Wenn ein Kind eine fiktive Flüssigkeit auf den Tisch gießt, so ist dieser nass und kann fiktiv getrocknet werden. Die Etikettierung ,nasser Tisch‘ wird kausal aus dem fiktiven Verschütten abgeleitet. Zwei Wege führen vermutlich zu dieser Leistung. Der erste Weg verläuft über die bildhafte Vorstellung. Bei der Pantomime vermeinen wir fiktive Gegenstände, die nur gestisch angedeutet werden, förmlich zu sehen (Charlie Chaplins berühmtes Fangen eines Flohs). In unserem Beispiel „sieht“ man die Nässe auf dem Tisch. Der zweite Weg besteht im Schlussfolgern, also dem propositionalen Wissen über den Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Das Kind weiß, dass beim Verschütten Nässe entsteht. Beide Wege wirken wohl zusammen.

Das Rollenspiel Das Zusammenspiel zu Zweien oder in einer größeren Gruppe erfordert die Fähigkeit der Beteiligten, sich auf einen gemeinsamen Gegenstand (ein Spielzeug, einen Spielrahmen, ein Spielthema) zu beziehen. Bevor es zum koordinierten Sozialspiel kommt, kann man eine Zwischenform zwischen Einzel- und Sozialspiel beobachten, das Parallelspiel. Kinder spielen nebeneinander her und beobachten sich beim Spiel. Es kommt zur wechselseitigen Nachahmung, ohne dass eine direkte Kommunikation stattfindet. Howes und Matheson (1992) untersuchten in zwei umfangreichen Längsschnittstudien die Entwicklung des Sozialspiels, wobei die Kinder zu Beginn 13–15 Monate und am Ende der Untersuchung 42–47 Monate alt waren. Sie fanden folgende Reihenfolge des Sozialspiels:

  • Parallelspiel ohne wechselseitige Beachtung,

  • Parallelspiel mit wechselseitigem Augenkontakt,

  • einfaches Sozialspiel (Kinder sprechen miteinander und bieten sich Gegenstände an),

  • komplementäres und reziprokes Spiel (Kinder nehmen einfache handlungsdeterminierte, wechselseitig abhängige Rollen ein, wie Jagen und Verfolgen, Suchen und Verstecken),

  • kooperatives soziales Fiktionsspiel (Partner spielen Rollen in einem Rollenspiel) und

  • komplexes soziales Fiktionsspiel (Kinder spielen soziale Rollen unter Einsatz von Metakommunikation; s. u.).

Beim komplexen Rollenspiel ist für das gemeinsame Spiel die sogenannte Metakommunikation nötig, d.h. die Vereinbarung, was gespielt werden soll. Die Metakommunikation kann nonverbal erfolgen oder explizit sprachlich vereinbart sein („wir spielen jetzt Kochen“). Griffin (1984) fand bei ihrer Analyse metakommunikativer Äußerungen ein Kontinuum, angefangen von Mitteilungen, die ganz innerhalb des Spielrahmens blieben, bis zu solchen, die völlig außerhalb des Spielrahmens standen. Im Folgenden sollen die verschiedenen Formen in der Abfolge des Kontinuums kurz erläutert werden.

  • Ausagieren: Während der Spielhandlung selbst wird mitgeteilt, was man gerade spielt

  • Versteckte Kommunikation: Handlung oder Rolle werden absichtlich im Spiel hervorgehoben, ohne explizit auf eine Vereinbarung hinzuweisen. So versucht die Schwester den jüngeren Bruder in einem Friseurspiel zum Mitspielen zu veranlassen, indem sie ihn erinnert: „Sie sind zum Friseur gekommen oder nicht?“

  • Unterstreichen: Eine Handlung wird verbal kommentiert oder beschrieben. Im Friseurspiel sagt das Mädchen, während es die Kundin kämmt: „Ich kämme Sie jetzt schön“

  • Geschichten erzählen: Ein Handlungsvorgang wird mehr erzählt als ausagiert, wobei das Kind oft in eine Art Singsang verfällt. Ein Mädchen sagt zu seiner Mutter: „Ich reise jetzt nach Griechenland zu meinem Freund“ und läuft dabei in die andere Ecke des Zimmers

  • Vorsagen: Ein Spieler bricht aus dem Spielrahmen aus und teilt dem Partner mit veränderter Stimme etwas mit. In einem Verkaufsspiel sagt die Verkäuferin zur Kundin: „Du musst jetzt zahlen!“

  • Implizite Spielgestaltung: Durch Äußerungen wird der Spielrahmen näher bestimmt, ohne dass das Spiel explizit vereinbart wird. Im obigen Friseurspiel erklärt das Mädchen: „Ich bin der Friseur!“, der kleine Bruder dagegen: „Nee, ich!“

  • Explizite Spielgestaltung: Nun werden explizite Spielvorschläge gemacht mit Formulierungen wie: „Wir spielen jetzt...“ oder „Jetzt tun wir so, als ob...“.

Metakommunikation taucht gewöhnlich erst mit dreieinhalb Jahren auf (Fein 1981).

Regelspiel Im Englischen werden Regelspiele schon sprachlich von anderen Spielen abgegrenzt (game vs. play), was zum Ausdruck bringt, dass Regelspiele einer gesonderten Betrachtung bedürfen.

Piaget (1954) unterscheidet anhand der Analyse des Murmelspiels → drei Stadien des Regelbewusstseins.

Erstes Stadium: Das Kind entwirft sich selbst Schemata für seine Handlungen. Obwohl es den Sinn von Regeln noch nicht kennt, meint es, dass es Regeln im Spiel folgen müsse, ähnlich, wie bei Regeln im Alltagsleben (z. B. beim Essen, Begrüßen oder Verabschieden).

Zweites Stadium: Heteronomes Regelverständnis. Das Kind unterwirft sich der Regel, sie ist unantastbar und von Autoritäten gesetzt. Piaget zieht hier eine Parallele zu den Normen in traditionellen Kulturen, die ebenfalls als unverrückbar gelten und von höheren Mächten bzw. den Ahnen festgelegt wurden.

Drittes Stadium: Abwandelbare Regeln. Regeln sind das Ergebnis von Vereinbarungen. Die Regeln können geändert werden, wenn die Teilnehmer sich darauf einigen. Sie sind im Laufe der Zeit entstanden und werden nach Bedarf auch abgewandelt.

Neben diesem veränderten Regelverständnis beobachten wir im Grundschulalter eine laufende Verbesserung hinsichtlich der Differenziertheit und Komplexität von Regeln. Komplexe Regelspiele, wie Schachspiel, oder schwierige Regeln, wie die Abseitsregel im Fußballspiel, werden allmählich verstanden.

Elkonin (1980) wählt einen anderen Zugang zur Untersuchung der Entwicklung des Regelverständnisses. Ihm geht es um den Prozess der Internalisierung von Regeln, die ihre Gültigkeit unabhängig von äußerer Kontrolle behalten. Er prüfte hierzu, wie Kinder den Konflikt zwischen unmittelbarer Handlungstendenz (Handlungsimpuls) und Regelvorschrift bewältigen. Die Kinder (Drei- bis Siebenjährige) dachten sich gemeinsam mit der Erzieherin eine Handlung aus, die von der abwesenden Versuchsleiterin erraten werden sollte, z.B. ein Eimerchen holen, eine Blume pflücken und daran riechen. Die Spielregel bestand darin, die ausgedachte Handlung nicht zu verraten. Der unmittelbare Impuls der Kinder war jedoch, der Versuchsleiterin sofort die Lösung mitzuteilen.

Die jüngsten Kinder (ca. drei bis vier Jahre) fanden den Sinn des Spiels in der Interaktion mit der Versuchsleiterin und teilten ihr auf Verlangen die Lösung mit, obwohl sie zuvor behauptet hatten, nichts zu verraten. Auf einer zweiten Stufe (mit vier bis fünf Jahren) erkannten die Kinder den Sinn des Spiels, befanden sich aber in einem Konflikt zwischen Unterordnung unter die Regel (nichts verraten) und dem Wunsch nach Mitteilung. Die Kinder schauten den fraglichen Gegenstand an oder gaben andere helfende Hinweise. Erst auf einer dritten Stufe (ca. sechs bis sieben Jahre) siegte die Regel über den Handlungsimpuls. Die Kinder hielten sich selbst dann an die Regel, wenn die Erzieherin den Raum verließ. Die Regel wird zu einer Verpflichtung, die unabhängig von äußerer Kontrolle gilt.



Mischformen Viele Spiele bilden Mischformen dieser Grundeinteilung. So ist „Mensch ärgere dich nicht“ eine Mischung zwischen Glücksspiel und Regelspiel. Kartenspiele verbinden Strategie mit Glücksspiel und Regelspiel. Sportspiele, wie Fußball und Handball vereinen sensomotorisches Spiel mit Strategie und Regel. Ergänzende Einteilungen werden auch nötig, wenn man Computerspiele mit einbezieht (Fritz 1995). Sie sind zum Teil reine sensomotorsiche Spiele, zum anderen Teil Mischungen aus Als-ob-, Rollen- und Regelspielen (Abenteuerspiele). Prinzipiell anders ist jedoch bei diesen Spielformen, dass sie von außen gelenkt werden und nicht mehr das Kind selbst Spielinitiator ist.

Explorations- und Konstruktionsspiel Kinder sind neugierig und befriedigen ihre Neugierde auch im Spiel. Dieses „Explorationsspiel“ findet man, wie schon erwähnt, auch bei Tieren. Das Kind versucht, die im Gegenstand steckenden Handlungsfunktionen zu entdecken und zugleich auch direkt in den Gegenstand einzudringen. Bei einer Gelenkpuppe kann das Kind durch Drehen die Arm- und Beinbewegungen explorieren, es kann aber auch das Innere der Puppe kennenlernen wollen und ihr zu diesem Zweck den Kopf abreißen. Das Explorationsspiel mündet immer mehr in das Konstruktionsspiel, nämlich sobald das Kind in der Lage ist, zielgerichtet zu manipulieren. Es baut Türme, Häuser, knetet Tiere und beginnt zu kritzeln, bis aus den kreisartigen Formen schließlich realitätsnahe Abbildungen entstehen. Das Kind konstruiert die Welt nach seinem Willen und seinen Vorstellungen. Es bildet ab, was es von seiner Umwelt weiß und drückt gleichzeitig seine Gefühle und Wünsche aus.

Beim Malen, Kneten und Bauen beobachtet man, dass das Kind sein Werk zunächst erst hinterher benennt, später während des Spiels und schließlich vor Beginn der Spielhandlung. Diese Entwicklungsschritte sind wegen des Gegenstandsbergriffes interessant. Zunächst entsteht das Objekt als nachträgliche Zuweisung. Das Kind nutzt sein Wissen, dass Gegenstände Namen haben. Die Benennung hat noch wenig mit dem hergestellten Produkt zu tun, sie fällt dem Kind spontan ein oder der Einfall wird durch soziale Nachahmung angeregt. Bei der Benennung während der Konstruktion ist die Verbindung zwischen eigener Zielsetzung und Objekt schon enger: Sobald die Benennung erfolgt ist, gibt es auch ein Handlungsziel. Man will etwas fertigen, das in Zusammenhang mit der Benennung steht. Die Angabe des Objekts vor Beginn der Konstruktion schließlich lässt erkennen, dass ein bestimmtes Objekt abgebildet werden soll. Das Konstruktionsspiel wird so zu einer Grundlage der Herstellung von Objekten. Hier drängt sich die Parallele zum Werkzeugmacher der Altsteinzeit auf.

Es gibt noch eine andere Form des Konstruktionsspiels, die gerne unbeachtet bleibt: Das improvisierende Singen des Kindes. Aus den Lallmonologen des Säuglings entwickelt sich später nicht nur die Sprache, sondern auch das Singen. Es tritt meist als Begleitaktivität beim Spielen auf. So singt das Kind beim Betrachten eines Bildes und beschreibt es musikalisch rezitativ- oder arienmäßig. Das ist die Geburtsstunde der Oper! Das Kind singt beim Bauen, beim Als-ob-Spiel oder imitiert einen Sänger bzw. eine Sängerin. Manchmal trösten sich Kinder durch den eigenen Gesang, wenn sie warten müssen, sich ängstigen oder etwas angestellt haben.


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