Rechtskunde einführung in das strafrecht der bundesrepublik deutschland anhand von tötungsdelikten


Teleologische Systematik an Hand von Fällen einfacher vollendeter Begehungsdelikte



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2. Teleologische Systematik an Hand von Fällen einfacher vollendeter Begehungsdelikte

Unrecht und Schuld sind die Grundelemente jeder Straftat. Ohne Unrecht keine strafrechtlich zu sanktionierende – und gegebenenfalls zivilrechtlich zur Zahlung eines (öfters nicht eintreibbaren) Schadenersatzes verpflichtende – Schuld:


"Suizid vereitelt

op Kopenhagen - Weil sie von ihrem sorgfältig geplanten Selbstmord zurück ins Leben geholt wurde, verklagte die Dänin Beatrice Voss (75) ein Krankenhaus, die Sanitäter und ihren Nachbarn auf Schadenersatz. Begründung: Man habe ihr den Tod gestohlen."


Keine Schuld, daher keine Straftat – und natürlich auch kein Schmerzensgeld. Anders die Sachlage im nachfolgenden Fall:
Vatermord: Junge erkämpft Schmerzensgeld

Die 39-jährige Mutter und ihr Ex-Liebhaber hatten den Ehemann erschossen, indem sie sich gemeinsam an das Ehebett, in dem der Ehemann schlief, schlichen und mit einer Pistole 18 Schüsse auf den Schlafenden abfeuerten. Die Mutter und ihr Ex-Freund wurden zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Vor dem Bochumer Landgericht gegen die Mutter und ihren Ex-Geliebten war die von dem als Vormund des Minderjährigen tätigen Onkel auf Schmerzensgeld und Unterhalt gerichtete Klage erfolgreich. Die Mutter und ihr Ex-Freund müssen dem Sohn ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 €, sowie eine Rente von 85 € pro Monat zahlen.

Leider ist es unwahrscheinlich, dass der Sohn das ihm vom Gericht zugesprochene Geld innerhalb der nächsten 30 Jahre bis zum Ablauf der Verjährungsfrist bekommen wird, denn Mutter und Ex-Liebhaber sitzen voraussichtlich bis zum Jahr 2018 im Gefängnis. Bis dahin werden sie nur ein geringes Einkommen haben und dem Jungen weder das Schmerzensgeld noch die Rente zukommen lassen können. Nennenswerte Vermögenswerte, die sie verkaufen könnten, um dem Jungen das ihm nach dem Urteil zustehende Geld auszahlen zu können, besitzen sie auch nicht – und "wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren". Immerhin erhält der Sohn monatlich 500 Euro (Halb-?)Waisenrente vom Staat.

(Nach DIE WELT 09.12.05)

Doch selbst nicht immer dann, wenn Unrecht unbezweifelbar gegeben ist, liegt auch strafrechtlich relevante Schuld vor:


"Nach Gelage ins falsche Bett

Ungebetenen Besuch bekam eine 38 Jahre alte Angestellte aus Ham­burg-Winterhude gestern morgen. Um 2.50 Uhr hörte sie einen Knall, schreckte in ihrem Schlafzimmer hoch. Sie sah eingetre­te­ne Türen, hatte Angst, überfallen zu werden. Auf dem Flur be­gegnete ihr tat­säch­lich ein fremder Mann. Der hatte aber kei­nen Überfall im Sinn, sondern nur den Wunsch nach Schlaf.

Eine lange Nacht war es für den 28jährigen gewesen. Nach ei­nem Zechgelage stand er vor einem Haus, das er für das seine hielt, ob­wohl weder Haus- noch Wohnungstürschlüssel paßten. Er trat die Türen ein, zog sich aus und ging an der völlig ver­dutzten Mieterin vorbei in 'sein' Bett. Die Frau rief die Po­li­zei.

Nur mit Mühe konnten die Beamten den Schläfer wecken und aufs Po­lizeirevier bringen."


Anmerkung: Strafrechtlich ist dieser Fall eine Totgeburt. Aber auch wenn keine strafrechtlich relevante Schuld vorliegt, hat die Gastgeberin wider Willen selbstverständlich Anspruch auf Ersatz des von ihrem Bettgenossen erzeugten Schadens; notfalls Beitreibung durch eine zivilrechtliche Klage, und dann gleich einschließlich Schmerzensgeldes für den durchgestandenen Schrecken.

Wenn zuerst nach dem Unrecht gefragt wird, wird damit die objektive Zurechnung des rechtsgutsverletzenden Willensverhaltens versucht, und es wird geprüft, ob durch ein Tun - oder Unterlassen - Unrecht über­haupt zunächst begründet sein könnte.

Wird bei der Prüfung des Unrechtstatbe­standes der objektive Tatbestand einer ein Rechtsgut schützenden Straf­­norm als erfüllt erkannt (§ 212 Totschlag: „Wer einen Menschen tötet, ...“ und da liegt auch einer so richtig leblos herum) und somit das Vorliegen von Unrecht zunächst bejaht, so kann dieses zunächst festgestellte Unrecht beim nächsten Prüfungsschritt aber dann wieder entfallen, wenn das Eingreifen eines Rechtfertigungsgrundes bejaht werden kann, denn ein Rechtfertigungsgrund bewirkt auf der nächsten Stufe der Prüfung bei der sich anschließenden Bewertung der im objektiven Tatbestand zunächst einmal festgestellten Rechtsgutsverletzung einen (in der Prüfungsabfolge: nachträglichen) Unrechtsausschluss. Es sei vorweggenommen: Wer in Notwehr einen Angreifer tötet - der eigen­artigerweise oft aber nicht der Ehe­part­ner sein darf, demgegenüber die Gerichte bisher oft nur ein eingeschränktes Notwehrrecht anerkannt haben, was sie unverständlicherweise mit dem „Wesen der Ehe“(!) begründeten -, hat zwar eine Rechtsgutsverletzung begangen und damit den Unrechtstatbe­stand des Totschlags zunächst begründet, aber diese Verletzung des Rechts­gutes "Leben des Angreifers" geschah aus der Rechtfertigung der Notwehr heraus (grundsätzlich) erlaubt. Obwohl der Tat­be­stand des § 212 Totschlag erfüllt ist ("Wer einen Menschen tötet, ...), ist das zunächst als begründet angenom­me­ne Unrecht der Tat durch das Eingreifen des Rechtfertigungsgrundes der Notwehr (wie­der) aufgehoben.
"Dieb erschossen

dpa Berlin - Beim Einbruch in ein Berliner Einfamilienhaus hat der 60jährige Hauseigentümer einen der beiden Täter mit dessen eigener Waffe erschossen. Der 26jährige Jugoslawe war sofort tot. Sein Komplize konnte flüchten. Die Kripo: es war Notwehr."


Ist aber eine unerlaubte Rechtsgutsverletzung gegeben, weil kein Rechtfertigungsgrund vorliegt, so muss anschließend auf der Stufe der Schuld die (normalerweise nicht zu pro­ble­matisierende, aber bei zumindest eingeschränkter Schuldfähigkeit im erforderlichen Umfang zu erörternde) Schuldfähigkeit des Täters be­jaht werden können.

Dann wird die subjektive Zurechnung der Täterhandlung geprüft. Es wird dabei untersucht, ob der Täter vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Nachdem zuvor auf der Stufe der objektiven Zurechnung der objektive Todes»erfolg« dem jeweiligen Täterhandeln zugerechnet worden ist, unterscheiden sich hier in der Prü­fung des deliktischen Verhaltens eines Täters z.B. (nur vorsätz­lich begehbarer) Totschlag von (durch eine Un­achtsamkeit ausgelö­ster) fahrlässiger Tötung,. Noch relativ abstrakt gehaltenes Beispiel bei Todes»erfolg«:


Es ist jemand tot

Prüfung der objektiven Zurechnung im Unrechtstatbestand:

T hat etwas getan: er schoss, was er (so) nicht hätte machen dürfen, und O ist nun tot.

Rechtfertigungsgründe für die Tötung des O liegen nicht vor.

Prüfung der subjektiven Zurechnung im Schuldtatbestand:

Von der Schuldfähigkeit des T ist (bei Nichtvorliegen erörterungsbedürftiger Gesichtspunkte unproblematisch) auszugehen.

Wie hat T nun unerlaubt gehandelt: auf die Verwirklichung des Unrechtstatbestandes abzielend vorsätzlich oder dusseligerweise - etwas sich eigentlich gefahrausschließend Aufdrängendes nicht bedenkend - fahrlässig? Konkret: Schoss er, ohne dass Rechtfertigungsgründe dafür ersichtlich sind, um den O zu töten (dann vorsätzliches, aber eventuell in einer abschließenden Gesamtbetrachtung doch entschuldigtes Tötungsdelikt), oder schoss er auf irgendetwas, und der z.B. bei den örtlichen Gegebenheiten unvermeidliche Abpraller tötete leider O (dann wäre »nur« fahrlässige Tötung gegeben)?
Doch selbst wenn der Täter hätte erkennen können oder vielleicht sogar erkannt hat, wie er in einer konkreten Situation den von einem Rechtsgut ausgehenden Achtungsanspruch durch ein Tun oder Unter­las­sen nicht in gebührender Weise ernst genommen, ihn verletzt hat, so muss er doch nicht zwangsläufig bestraft werden. Ein Entschul­di­gungsgrund kann die zunächst angenommene Rechtsschuld (wie­der) erlöschen lassen: Der Täter durfte zwar nicht so handeln, wie er es tat, aber seine Vorgehensweise ist in dieser Ausnahmesitua­ti­on so verständlich, dass jeder staatliche Strafanspruch unterblei­ben muss. Als Vorgriff auf den noch detailliert zu erörternden strafrechtlichen Prüfungsaufbau kämpfen wir an dieser Stelle gedanklich um das »Brett des Karneades« (214-129 v.Chr.), ein Beispiel, das seit 2.200 Jahren durch die Juristenausbildung geistert: Ein Schiffbrüchiger treibt schwimmend im Meer und sieht einen Schicksalsge­fährten in relativ besseren Lebensumständen, der an eine Planke geklammert zu überleben trachtet. Die Planke kann - im Gegensatz zu der, auf die Ben Hur den Quintus Arius und sich während der Seeschlacht hochdramatisch rettet - nur einen Menschen tragen. Er schwimmt hinzu und stößt, um sich selbst für längere Zeit über Wasser hal­ten und sich so vielleicht retten zu können, den Schicksalsgenossen von dem diesen bisher tragenden Brett - wohl wissend, dass er damit den anderen dem sicheren Tod preisgibt.
Literarisch ist dieses strafrechtliche Grundproblem sehr eindrucksvoll von Annette von Droste-Hülshoff, der Dame auf dem letzten 20-Mark-Schein, in ihrer Ballade: „Die Vergeltung“ bearbeitet worden. Wenn man jemandem dieses Jahrtausende alte strafjuristische Grundproblem näher bringen will, z.B. als Aufhänger bei der Behandlung der Entschuldigungsgründe, lohnt der Einstieg über diese Ballade!
Die Vergeltung (Annette von Droste Hülshoff)


Der Kapitän steht an der Spiere,

Das Fernrohr in gebräunter Hand,

Dem schwarzgelockten Passagiere

Hat er den Rücken zugewandt.

Nach einem Wolkenstreif in Sinnen

Die beiden wie zwei Pfeiler sehn,

Der Fremde spricht: "Was braut da drinnen?"

"Der Teufel", brummt der Kapitän.


Da hebt von morschen Balkens Trümmer

Ein Kranker seine feuchte Stirn,

Des Äthers Blau, der See Geflimmer,

Ach, alles quält sein fiebernd Hirn!

Er lässt die Blicke, schwer und düster,

Entlängs dem harten Pfühle gehn,

Die eingegrabenen Worte liest er:

"Batavia. Fünfhundertzehn."


Die Wolke steigt, zur Mittagsstunde

Das Schiff ächzt auf der Wellen Höhn,

Gezisch, Geheul aus wüstem Grunde

Die Bohlen weichen mit Gestöhn.

"Jesus, Marie! wir sind verloren!"

Vom Mast geschleudert der Matros',

Ein dumpfer Krach in aller Ohren,

Und langsam löst der Bau sich los.

Noch liegt der Kranke am Verdecke,

Um seinen Balken festgeklemmt,

Da kommt die Flut, und eine Strecke

Wird er ins wüste Meer geschwemmt.

Was nicht geläng der Kräfte Sporne,

Das leistet ihm der starre Krampf,

Und wie ein Narwal mit dem Horne,

Schießt fort er durch der Wellen Dampf.


Wie lange so? - er weiß es nimmer,

Dann trifft ein Strahl des Auges Ball,

Und langsam schwimmt er mit der Trümmer

Auf ödem glitzerndem Kristall.

Das Schiff! - die Mannschaft! - sie versanken.

Doch nein, dort auf der Wasserbahn,

Dort sieht den Passagier er schwanken

In einer Kiste morschem Kahn.


Armsel'ge Lade! sie wird sinken,

Er strengt die heisre Stimme an:

"Nur grade! Freund, du drückst zur Linken!"

Und immer näher schwankt's heran,

Und immer näher treibt die Trümmer,
Wie ein verwehtes Möwennest;

"Courage!" ruft der kranke Schwimmer,

"Mich dünkt, ich sehe Land im West!"

Nun rühren sich der Fähren Ende,

Er sieht des fremden Auges Blitz,

Da plötzlich fühlt er starke Hände,

Fühlt wütend sich gezerrt vom Sitz.

"Barmherzigkeit! ich kann nicht kämpfen."

Er klammert dort, er klemmt sich hier;

Ein heisrer Schrei, den Wellen dämpfen,

Am Balken schwimmt der Passagier.
Dann hat er kräftig sich geschwungen

Und schaukelt durch das öde Blau,

Er sieht das Land wie Dämmerungen

Enttauchen und zergehn in Grau.

Noch lange ist er so geschwommen,

Umflattert von der Möwe Schrei,

Dann hat ein Schiff ihn aufgenommen,

Viktoria! nun ist er frei!


2.


Drei kurze Monde sind verronnen,

und die Fregatte liegt am Strand,

Wo mittags sich die Robben sonnen,

Und Burschen klettern übern Rand,

Den Mädchen ist's ein Abenteuer,

Es zu erschaun vom fernen Riff,

Denn noch zerstört ist nicht geheuer

Das greuliche Korsarenschiff.

Und vor der Stadt, da ist ein Waten,

Ein Wühlen durch das Kiesgeschrill,

Da die verrufenen Piraten
Ein jeder sterben sehen will.

Aus Strandgebälken, morsch, zertrümmert,

Hat man den Galgen, dicht am Meer,

In wüster Eile aufgezimmert.

Dort dräut er von der Düne her!

Welch ein Getümmel an den Schranken! -

"Da kommt der Frei - der Hessel jetzt -

Da bringen sie den schwarzen Franken,

Der hat geleugnet bis zuletzt." -

"Schiffbrüchig sei er hergeschwommen",

Höhnt eine Alte, "ei, wie kühn!

Doch keiner sprach zu seinem Frommen,

Die ganze Bande gegen ihn."
Der Passagier, am Galgen stehend,

Hohläugig, mit zerbrochnem Mut,

Zu jedem Räuber flüstert flehend:

"Was tat dir mein unschuldig Blut?

Barmherzigkeit! - so muss ich sterben

Durch des Gesindels Lügenwort,

O, mög’ die Seele euch verderben!"

Da zieht ihn schon der Scherge fort.


Er sieht die Menge wogend spalten -

Er hört das Summen im Gewühl -

Nun weiß er, dass des Himmels Walten

Nur seiner Pfaffen Gaukelspiel!

Und als er in des Hohnes Stolze

Will starren nach den Ätherhöhn,

Da liest er an des Galgens Holze:

"Batavia. Fünfhundertzehn."



Die juristische Lösung: Obwohl der nachträglich an die Planke Heranschwimmende eine unrechte Tat beging, indem er dem anderen, der sich vor ihm auf diese Planke gerettet hatte, willentlich den sicheren Tod bereitete, wird er unter Anwendung der im StGB enthaltenen, aber an dieser Stelle nicht näher ausgeführten Regelungen nicht be­straft werden, da niemandem in einer so extremen Situation zugemu­tet wird, auf eine ihm mögliche verzweifelte letzte Rettungshand­lung - auch wenn sie auf Kosten des Lebens eines Mitmenschen geht(!) - gegen seinen Selbsterhaltungstrieb zu verzichten. Sein eindeutig rechtswidriges Handeln - die Tötung ei­nes Menschen ohne den Rechtfertigungsgrund z.B. der Notwehr von ihm als einem schuldfähigen Menschen vorsätzlich vorgenommen - würde in dieser Situation als durch einen lebensbedrohen­den Notstand entschuldigt eingestuft. Es sei hervorgehoben: Ein entschuldigtes Handeln steht in einem qualitativ geringeren Einklang mit der Wertung der Rechtsordnung als ein gerechtfertigtes. Trotzdem entfällt in diesem Fall die für eine Bestrafung vorauszusetzende Rechtsschuld, weil über das Handeln des Täters in einer solchen extremen Notlage kein Unwerturteil gefällt werden soll.


Nachfolgend wird zunächst das Grundschema für die strafrechtliche Begutachtung von Fällen vollendeter Begehungsdelikte bei Alleintä­terschaft erklärend entwickelt. Dabei wird nur das Grundgerüst herausgearbei­tet und längst nicht auf jede Feinheit oder jede aka­de­mische Spitz­findigkeit eingegangen, mit deren Erörterung sich angehende Professoren ihre Lehrstühle erschrieben haben oder noch erschrei­ben. In bestimmten Fallkonstellationen müssen über die hier skiz­zierten grundlegenden Gedanken hinausführende Überlegungen ange­stellt werden. Dazu müsste der inter­es­sier­te Leser dann im Bedarfs­falle in einem Lehrbuch über die Bestimmungen des AT des StGB tiefer gründeln.

Das gleich näher darzustellende Grundschema bei Prüfung eines in Alleintäterschaft (zunächst vorsätzlich) begangenen vollendeten Begehungs­deliktes muss dann abgewan­delt werden, wenn der mit der Handlung von dem Täter bezweckte Erfolg nicht eingetreten ist und somit nur ein versuchtes/Versuch gebliebenes Begehungsdelikt vorliegen kann. Weitere Abwandlungsnotwendigkeiten ergeben sich, wenn die straf­rechtliche Verstrickung mehrerer Tatbeteiligter geprüft und auch dann, wenn das Vorliegen eines Unterlassungsdelikts untersucht wer­den muss.

Es sei darauf hingewiesen, dass bei vielfältigen und verwickelten Tathandlungen das gesamte „Straffall-Menü“ des zu prüfenden Lebenssachverhaltes in verschiedene Gänge und portionsweise Häppchen zerlegt und gut durchgekaut werden muss. Ein solcher Strafrechtsfall kann nicht in einem Bissen runtergeschluckt werden. Andernfalls würde man sich den Magen verderben, sprich: mit der Prüfung nicht zu Rande kommen

2.1 Unrechtstatbestand (UTB)

2.1.1 Darstellung

Der vorliegende Leitfaden ist in diesem Teil so aufgebaut, dass zunächst das jeweils zu erörternde Problem recht grundsätzlich dargestellt wird. Da es sich dabei teilweise um hochkomplexe Zusammenhänge handelt, ist die zur Bewältigung der Probleme notwendige Fachsprache teilweise leider ebenfalls sehr abgehoben. Kein Autor, der seinem Leser etwas erklären, ihn bei der Hand nehmen und ihn in eine Sache einführen möchte, die er selber mit Spaß betreibt, will seine Leser »frusten«. Trotzdem müssen Sie zunächst da durch, brauchen aber im ersten Anlauf nicht gleich alles zu verstehen. Es genügt, wenn zunächst durch die Lektüre Ihr Problembewusstsein geschärft worden ist.



An die grundlegende Darstellung schließt sich ein Anwendungsfall, hier zunächst eines vollendeten Begehungsdeliktes, mit seiner Besprechung an. Spätestens dann stellen sich die Aha-Erlebnisse ein, und Sie verstehen so etwas tiefer durchdringend, was zuvor in der Darstellung für ein Problem vor Ihnen ausgebreitet worden ist. Versuchen wir es gleich einmal!
Doch zuvor schulde ich Ihnen noch eine begriffliche Klarstellung: Ich sprach eben von einem vollendeten Begehungsdelikt. Was das ist? Nun, nicht nach jedem Schuss fällt eine Leiche um; zum Glück nicht. In 61,9 % der Tötungsdelikte (1991: In 1.676 von 2.708 Fällen), also in gut drei Fünftel der - bekannt(!) gewordenen - Fälle, überlebt das auserkorene Opfer den Anschlag auf sein Leben. Das geplante Tötungsdelikt ist dann nicht - aus welchen Gründen auch immer - bis zu einem Todes»erfolg« weitergeführt worden, sondern im geplanten Tatgeschehensablauf vorher steckengeblieben. Es wurde nicht vollendet, sondern blieb Versuch. Da aber ein Versuchsdelikt für einen Anfänger nicht ganz so leicht durchzuprüfen ist wie ein Delikt, bei dem der Erfolg so eingetreten ist, wie der Gesetzeswortlaut es nahe legt, wird bei den Darstellungen immer mit einem vollendeten Delikt begonnen. Und weil einfache Begehungsdelikte, in denen nur ein Täter handelt, geistig leichter zu bewältigen sind als ein Delikt, bei dessen Verwirklichung mehrere Täter, in welcher Form auch immer, zusammenwirken, oder als Delikte, bei dem sich ein Täter dadurch strafbar gemacht haben könnte, weil er nicht handelte, werden Adepten an Hand von einfachen vollendeten Begehungsdelikten in die strafjuristische Denk- und Arbeitsweise eingeführt. In der Strafrechtsanwendung interessiert als letzter Zeitpunkt der Deliktsverwirklichung nur die volle Vollendung, diese „formelle Vollendung“ des gesetzlichen Tatbestandes, wie der sich aus den Paragraphen des Besonderen Teils ergibt. Oft ist gleichzeitig damit das Delikt auch "beendet". Als materiell be­endet wird - losgelöst von der Vollendung der formellen Tatbestandsschilderung - eine Tat dann angesehen, wenn der gesamte Unwertsachverhalt rest­los verwirklicht ist, der dem Rechtsgutsanspruch voll entgegen­steht. Wenn z.B. jemand einen anderen Menschen tötet, verletzt, oder er ei­ne Sache zerstört, dann ist mit der formellen Vollendung des De­liktes der Tötung, der Körperverletzung oder der Sachbeschädigung auch der volle Unwertsachverhalt des jeweiligen Deliktes erfüllt. Das jeweilige Delikt ist mit seiner formellen Vollendung auch gleichzeitig beendet. Wenn aber jemand in einem Selbstbedienungs­la­den das Wort "Selbstbedienung" falsch versteht und Ware in die Taschen der Kleidung steckt, dann hat er zwar das Delikt des (La­den-)Diebstahls vollendet, weil alle im Tatbestand des § 242 for­mell geforderten Voraussetzungen erfüllt sind, aber das Delikt ist noch nicht beendet, weil dem Täter von einem aufmerksam gewordenen Ladendetektiv an der Kasse die Ware noch problemlos wieder abge­nom­men werden kann. Erst wenn die Beute dem besitzsichernden Zu­griff des Eigentümers oder seines Gewahrsamshelfers völlig entzo­gen ist, ist das Delikt beendet. Es sei aber wiederholt: Das Sta­di­um der Beendigung – über die Vollendung hinaus - spielt für die Strafrechtsanwendung grundsätzlich keine Rol­le! Der Unterschied zwischen der Vollendung und der Beendigung eines Deliktes kann aber für das jeweilige Opfer sehr wichtig sein. Das trifft besonders auf die so genannten Dauerdelikte zu: Wer einen Menschen unzulässigerweise seiner Bewegungsfreiheit beraubt, hat damit das jeweilige Delikt vollendet. Hält der Bankräuber aber eine genommene Geisel tagelang fest, um ein ständiges Druckmittel gegen die ihn verfolgende Polizei jederzeit zur Hand zu haben, so ist das Delikt des § 239 b Geiselnahme, eine qualifizierte Form der Freiheitsberaubung, sofort mit dem Augenblick der Geiselnahme vollendet. Beendet ist das Delikt aber erst mit der Befreiung der Geisel.

Damit müssten die Begriffe Versuch, Vollendung und Beendigung für das erste so weit geklärt sein, dass nun mit der eigentlichen Arbeit begonnen werden kann.

Lassen Sie uns nun mit der eigentlichen Fallarbeit beginnen. Greifen wir hinein ins volle Menschenleben, und wo wir es anpacken, ist es interessant! Versprochen!
Wer einen Fall zu begutachten hat, der liest ihn sich zunächst ein paar Mal aufmerksam durch, um zu erkennen, was an in dem Fall geschilderten Handlungen in Richtung welcher Strafnorm/en gehen könnte, welche Strafnorm/en zu prüfen ist/sind. Üblicherweise beginnt man mit dem schwersten Deliktsvorwurf. Der Strafjurist soll nicht kleckern, sondern klotzen. Ist der Sachverhalt verwickelt, muss man sich ihn in gedanklich mundgerechte Häppchen zerlegen und dann chronologisch ein Stück des herausgelösten Sachverhaltsabschnittes nach dem anderen abhandeln. Der sich an diese gedankliche Vorarbeit anschließenden jeweiligen juristischen Abschnittsprüfung wird kurz in eigenen Worten zusammengefasst der ausgewählte Prüfungssachverhalt vorangestellt. Nachdem der zu prüfende Sachverhaltsausschnitt von dem Fallbear­bei­ter kurz so geschildert worden ist, wie er sich aus dem zu beurteilenden Fall ergibt, wird zunächst festgestellt, ob eine Handlung als gewolltes Tun vorliegt. Dazu muss der Täter mit steuerndem Willen tätig geworden sein. Seine gewollte Körperbewegung (= Handlung als gewolltes Tun) muss bewirkt ha­ben, dass der volle Unwertsachverhalt der auf ihre Einschlägigkeit hin zu prüfenden gesetzlichen Bestimmung verwirklicht worden ist. Diese Handlung führte zu der Verletzung des durch die zu prüfende Strafnorm geschützten Rechtsgutes. (Ohne den Ein­tritt einer Rechtsgutsverletzung kann u.U. ein Versuchsdelikt vorliegen.)

Beim Tätigwerden zur optimalen Gefahrenabwehr, z.B. als ärztlicher Heileingriff (der gilt aber nicht für Schönheitsoperationen oder ärztliche Experimente von z.B. KZ-Ärzten an „menschlichen Meerschweinchen“, wie es eine der KZ-Ärztinnen ausdrückte), oder zur Wahr­nehmung der letzten Rettungschance für ein Rechtsgut liegt schon der Intention nach kei­ne Verletzung des vom Rechtsgut ausgehenden Achtungsanspruchs vor. In solchen Fallkonstellationen liegt kein Angriff auf ein Rechtsgut vor, sondern eine Handlung zu seiner Bewahrung. Ein Unrechtstatbestand ist dann (natürlich) nicht ge­geben: Ein Arzt, der seinem Patienten den Bauch aufschneidet, um eine akute Blinddarmentzündung zu operieren, begeht nach teleologischem Verständnis schon tatbe­standlich keine gefährliche Körperverletzung. (Das sehen die anderen Systematiken aber anders. Sie bejahen im objektiven Tatbestand zunächst eine Rechtsgutsverletzung, schließen sie dann aber bei der Prüfung des subjektiven Tatbestandes durch Rechtfertigungsüberlegungen wieder aus. Doch verständlicherweise lässt sich kein Arzt gerne zunächst eine Rechtsgutsverletzung unterstellen, die dann hinterher nur gerechtfertigt wird. Mit dieser Intention handelt er ja gerade nicht! Darum ist der teleologische Lösungsansatz sachgerechter.)

Der KZ-Arzt Mengele hingegen, der in einer Mischung aus Sadismus, Perversion und wis­sen­schaftlicher Neugierde in widerlicher, jetzt noch allein beim Lesen magenumdrehender Weise hauptsächlich an in KZs inhaftierten jüdischen Zwillingskindern Operationen vornahm, Kinder bei lebendigem Leibe sezierte oder sie z.B. am Rücken zu­sam­men­nähte und so zu siamesi­schen Zwillingen machte, sie - wie seine Kollegen - mit tödli­chen Viren wie dem Gasbrandbazillus in­fizierte, um dann hinterher die von ihm in seinen Opfern in Gang gesetzten Krankheitsverläufe studieren zu können, verwirklichte damit sehr wohl je nach Operation den Unrechtstat­be­stand der gefährlichen Körperverletzung oder des Mordes, denn er handelte nicht in einem ärztlichen Heileingriff zur optimalen Gefahrenabwehr dieser Patienten.77
„Schönheitschirurg fünf Jahre in Haft

Aachen – Wegen stümperhafter Operationen hat das Landgericht Aachen einen Gynäkologen (56), der als Schönheitschirurg arbeitete, zu fünf Jahren Haft verurteilt. Das Gericht befand ihn der Körperverletzung in mehr als 30 Fällen für schuldig. (dpa)“ (HH A 18.07.02)
Fraglich ist, ob in der Zeitung die von dem Gericht als von dem Täter schuldhaft verletzt erkannte Rechtsnorm richtig wiedergegeben worden ist: Der Arzt sei wegen "Körperverletzung" in mehr als 30 Fällen verurteilt worden. Damit ist das Grunddelikt einer »einfachen« Körperverletzung gemäß § 223 angesprochen.

Nun gibt es aber neben der Verwirklichung eines Grunddeliktes – im Falle einer Körperverletzung: die körperliche Misshandlung oder Schädigung der Gesundheit des Opfers – in manchen Fällen auch die gesetzliche Anordnung einer Privilegierung, derzufolge der Täter, der diese Deliktsvariante verwirklicht hat, nicht so hart bestraft wird, wie er bestraft würde, hätte er das Grunddelikt verwirklicht, oder den Fall einer Qualifizierung des Grunddeliktes, die für eine bestimmte Variante der Deliktsbegehung einen höheren Strafrahmen vorsieht, um das gegenüber dem in dem Grunddelikt geschilderten Rechtsverstoß gesteigerte Unrecht der Tatbegehung mit einer härteren Strafe angemessen ahnden zu können. Immer muss bei Privilegierung oder Qualifizierung zu dem im Unrechtstatbestand des Grunddeliktes genannten Verstoß gegen das mit der Strafnorm geschützte Rechtsgut ein in einem zusätzlichen Tatbestandsmerkmal gefasstes weiteres Tatbestandsmerkmal hinzukommen. So gibt es z.B. zu dem Grunddelikt der Körperverletzung, die u.a. dann vorliegt, wenn jemand einen anderen auf die übliche Art und Weise so verhaut, dass der Körper die Blessuren später selber wieder heilen kann, diverse Qualifizierungen: sei es, dass z.B. mehrere einen eizelnen angreifen, der nun geringere Chancen der Gegenwehr hat, da er sich nunmehr eines Angriffs mehrerer Personen erwehren muss, sei es, dass ein einzelner Angreifer eine Waffe, insbesondere ein Messer oder ein anderes gefährliches Werkzeug wie z.B. einen Baseballschläger, aber auch einen Wattebausch, wenn der mit einem Betäubungsmittel getränkt ist, einsetzt oder der Angriff mittels eines hinterlistischen Überfalls vorgetragen wird.

Deswegen wäre es im vorstehenden Fall durchaus möglich, dass der Arzt, der laut (möglicherweise fehlerhafter) Pressemeldung wegen von ihm begangener, in § 223 geregelter "Körperverletzungen" (Strafmaß: bis zu fünf Jahre oder Geldstrafe) verurteilt worden sein soll, da er für die Operationen ein Skalpell benutzt haben wird, 30 Fälle einer gemäß § 223a mit einem Strafmaß "von drei Monaten bis zu fünf Jahren" zu ahndenden "gefährlichen Körperverletzung" begangen hat und dafür verurteilt worden ist.
Strittig mag in Fällen von Schönheitsoperationen die Frage der Beachtlichkeit einer Einwilligung zu einer Operation in den Fällen sein, in denen Patienten, die an der seltenen Geistesstörung „Apotemnophilie“ leiden, auf deren ausdrücklichen Wunsch hin mindestens ein gesunder Arm oder ein gesundes Bein amputiert wurde: Einige dieser Patienten können nur dann glücklich leben, wenn ihnen mindestens eine Extremität amputiert wird, andere wollen die Operation, weil sie von ihrer eigenen Verstümmelung sexuell erregt werden. Diese auch „Wannabes“ (zu Deutsch: „Möchtegerne“) bezeichneten Menschen befinden sich im Falle einer von fast allen Ärzten aus Gründen der Sittenwidrigkeit verweigerten Amputation manchmal unter einem solchen Leidensdruck, dass sie zur »Selbsthilfe« greifen und sich so schwer selbst verstümmeln, dass dann nur noch eine Amputation übrig bleibt - wenn sie rechtzeitig gefunden und behandelt werden können, nachdem sie sich z.B. in die Gliedmaßen geschossen, selbst eine schwere Infektion in der gehassten Extremität herbeigeführt oder auch ihr Bein oder ihren Arm unter einen vorbeifahrenden Zug gelegt haben.

Fast alle (angefragten) Chirurgen lehnen eine Amputation gesunder Gliedmaßen nicht nur aus Gründen der von ihnen so empfundenen Sittenwidrigkeit des von den Patienten an sie herangetragenen Amputationswunsches ab, sondern auch deswegen, weil nicht auszuschließen ist, dass sich diese Krankheit nach der Amputation nunmehr gegen

ein anderes, verbliebenes Körperteil richtet. So will sich ein Deutscher nach der - vielleicht wegen der Regelung des

㤠226 a Einwilligung des Verletzten

Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung des Verletzten vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.“
in Großbritannien vorgenommenen - Amputation eines Beines seit 01 auch noch einen Arm amputieren lassen; und seine Freundin will sich »aus Solidarität«(?) ein Bein abnehmen lassen.
Auf der Seite der ganz wenigen Befürworter solcher von den meisten anderen Ärzten als sittenwidrig angesehenen und darum abgelehnten Operationen steht u.a. ein Medizinethiker mit dem Argument: „Solange man Menschen aus psychischen Gründen eine Geschlechtsumwandlung zugesteht, kann man anderen eine Amputation wegen dieser psychischen Krankheit nur schwer verweigern.“
Eine über den Bereich der Einwilligung hinausgehende Ope­ration wäre aber unzweifelhaft eine tatbestandliche Körperverletzung: Werden ei­ner in Narkose liegenden Patientin, die sich nur das Gesicht lif­ten lassen wollte, von einem besessenen Operateur gleich noch wei­tere Körperpartien geliftet, so mag die Dame dadurch schöner geworden sein. Gleichwohl liegt hinsichtlich der überobligatorischen, durch keine Einwilligung gedeckten Behandlung eine Körperverletzung vor.
Eine beachtliche Einwilligung des Berechtigten lässt auch bei Ver­letzung einiger anderer Rechtsgüter als des der Körperintegrität anlässlich einer Operation den Unrechtstatbestand entfallen, z.B. im Bereich des Eigentums: kei­ne Sachbeschädigung bei vorheriger Erlaubnis des Eigentümers zur Beschädigung oder Vernichtung der Sache; oder im Bereich des Hausrechts: kein Hausfriedens­bruch des das Grundstück erlaubterweise betretenden Passanten.
Un­beachtlich ist eine Einwilligung zur Rechtsgutsverletzung bei einem Verstoß gegen die guten Sitten. Das ist z.B. in § 226 a für den Bereich der Körperverletzungen extra angeordnet.
„Verurteilt: Student kastrierte 50 Männer wegen sexueller Gelüste [der Opfer; der Autor]

In Australien wurde jetzt ein Student wegen seines sehr bizarren Treibens zu einer Haftstrafe verurteilt. Der Mann hatte weltweit 50 Männer kastriert, um deren sexuelle Gelüste zu befriedigen. Seine ersten vier Kastrationen vollzog er in Australien.

Danach war er weltweit mit seinem bizarren Treiben beschäftigt. Der Student war verhaftet worden, nachdem ein Mann aus Michigan nach einer Kastration beinahe verblutet war. Er warb mit seinem Treiben sogar auf einer Fetisch-Seite.

Die Kastrationen wurden bei vollem Bewusstsein der 'Patienten' durchgeführt.“

stern-shortnews 09.04.03

Für den Bereich der Tötungsdelikte gilt die Unbeachtlichkeit einer Einwilligung eben­falls, wie der Strafdrohung des § 216 für eine auf Verlangen aus­geführte Tötung zu entnehmen ist - und Verlangen ist weit mehr als Ein­willigung! (Bei unseren niederländischen Nachbarn gilt eine ent­sprechende Bestimmung in deren Strafgesetz. Gleich­wohl können sich dort Menschen, denen ihr Leben zur Last geworden ist, unter be­stimm­ten Voraussetzungen von Ärzten töten lassen. Davon machen pro Jahr ca.3.500 Niederländer Gebrauch. Die Ärzte werden bei Beachtung bestimmter Formalien wie der Hinzuziehung eines Kollegen, der Protokollierung des Vorgehens und der Meldung an die Staatsanwaltschaft außer Strafverfolgung gesetzt.)


„Der Internet-Kannibale

MENSCHENFRESSER schockt Deutschland. Per Kontaktanzeige warb er offen um Mordopfer



Kassel HA

... Das Verbrechen des ’deutschen Hannibal Lector’ sorgt für bundesweites Entsetzen: der frühere Oberfeldwebel der Bundeswehr schnitt seinem Opfer Bernd Jürgen B. (42) den Penis ab, den beide gebraten verspeisten. Dann erstach Armin M. sein Opfer vor laufender Kamera, zerstückelte die Leiche und fror Fleischstücke ein, um sie später aufzuessen. ... Was sich ereignete, rekonstruierte die Polizei anhand der Videobänder. ...“ (HH A 13.12.02)


„Kannibalismus-Fall: Polizei fahndet im Internet

... Ein Leichenwagen holte die Leichenteile des Opfers ab, die in der Tiefkühltruhe gelagert waren. Die Polizei richtete eine Sonderkommission ’Chat’ ein. Der ’Menschenfresser’ schaltete Anzeigen im Internet: ‚Suche jungen gut gebauten 18- bis 30-Jährigen zum Schlachten!’ Die dunkle Seite des World Wide Web (www).

Mit dem Kannibalismus-Fall wurde eine Szene ans Tageslicht gezerrt, die in der Anonymität des Internets wuchert. Es sind nicht nur die Täter, die in den Foren und Chat-Räumen kommunizieren. Auch die potentiellen Opfer suchen hier nach einem ’Extremmetzger’, wie es im Szene-Jargon heißt. Der größte Teil dieser Angebote sind nur eine Form von verbal ausgelebter Obsession’, sagt der Serientäter-Forscher Stephan Harbot aus Düsseldorf. Aber bei Bernd Jürgen B., dem Opfer von Armin M., war das anders. ...“ (HH A 14.12.02)
Gleich zwei unbeachtliche Einwilligungen.

Bei nachweislich ernstem Verlangens eines Opfers, getötet zu werden, ist dieses Verlangen zwar als unbeachtliche Einwilligung zu werten und führt daher nicht zu einem Straftatausschluss, aber ein nachweisbar ernstliches Verlangen nach dem eigenen Tod lässt den Unrechtsgehalt der vorgenommenen Tötung von § 212 Tötung auf den einer Tötung auf Verlangen gemäß § 216 schrumpfen – auch wenn der BGH das in dem vorstehend angesprochenen Fall des Kannibalen von Rotehnburg (fälschlicherweise) anders sah.78


Der eingetretene Erfolg einer Rechtsgutsverletzung muss der Hand­lung des Täters in der Weise objektiv zurechenbar sein, dass sich in dem konkreten Erfolg die von dem Täter konkret geschaffene Ge­fahr realisierte. Auch eine Ungewöhnlichkeit des Geschehensablau­fes ändert hieran nichts: Wer nicht einen physisch normalen Menschen, sondern einen "Bluter" zunächst nur leicht verletzt, dem ist selbst der nur durch das Vorliegen der besonderen Umstände durch seine Handlung verursachte Tod objek­tiv zuzurechnen.
Wenn nicht der Täter die »Ursächlichkeit« hervorgerufen hat, ist die Zurechenbarkeit fraglich und oft abzulehnen:
In den 1920-er Jahren gab es im tiefkatholischen Beerenbeuren im Allgäu eine 16-Jährige von einem einsam gelegenen Bauernhof, die im nächsten Ort das Schneiderhandwerk erlernte. Auf ihre nicht näher begründete Bitte hin ließ ihre Familie jeden Abend gegen 17.00 Uhr den Bernhardiner von der Kette, der in seiner treuen Art von dem Einsiedlerhof der Eltern durch den oft dunklen Wald zu der Schneiderwerkstatt trottete und seine Herrin oder Freundin dort abholte, um dem Mädchen auf dem Heimweg durch den einsamen Wald das Gefühl von Schutz zu vermitteln; vermutlich hätte er sie gegen einen Angriff sogar verteidigt.

Einmal wollte der Knecht, der auf dem väterlichen Hof arbeitete, das Mädchen ärgern oder erschrecken. Darum sperrte er den Bernhardiner ein – und das Mädchen kam nicht zu Hause an. Man fand ihre Leiche in eben dem Wald.

Dem Knecht nützten seine Unschuldsbeteuerungen nichts: In einem Indizienprozess wurde er wegen des eingestandenen Einsperrens des Hundes als (mutmaßlicher) Mörder angesehen und zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe »bei Wasser und Brot« - normales Essen gab es nicht, geschweige denn Bücher oder Radio - verurteilt. Er musste so für den Mord büßen, dessen ihn seine Richter für schuldig befunden hatten.

Als 20 Jahre später die Schneidermeisterin starb, gestand sie auf dem Sterbebett, dass ihr Mann das Mädchen vergewaltigt und dann erschlagen habe. Vermutlich hatte sie, die mit dieser seelischen Belastung – aus Angst vor der Familienschande? - 20 Jahre lang hatte leben müssen, im Beichtstuhl gebeichtet, dass sie den wahren Mörder kenne – ohne dafür zu sorgen, dass der »Nicht-Mörder« aus dem Zuchthaus entlassen wurde. Scham oder vielleicht sogar Liebe mögen sie davon abgehalten haben. Es erscheint wahrscheinlich, dass ihr Beichtvater ihr all die Jahre lang die Absolution verweigert hat; selbst das Beichtgeheimnis brechen durfte er aber auch nicht! Als die Schneidermeisterin fühlte, dass es kein Ausweichen mehr gebe und sie nun sehr bald vor ihren HERRN werde treten müssen, wurde das Problem der bislang verweigerten Absolution unausweichlich dringlich, und so gab sie ihr Wissen preis. Ihr Mann hatte dem Mädchen wohl bald nach Beginn der Lehre nachgestellt, was sie mitbekommen haben wird. Das Mädchen hatte zu Hause aber nichts davon erzählt, weil die Eltern sie dann vermutlich nicht mehr in die Lehre gelassen, sondern auf dem Bauernhof behalten hätten. Und sie wollte doch so gerne einen Beruf erlernen und nicht nur Magd ihrer Eltern sein! Darum war sie auf den Ausweg verfallen, sich jeden Tag von dem treuen Hund morgens zur Arbeit begleiten und abends wieder abholen zu lassen. Der Mann der Schneidermeisterin muss dem Mädchen jeden Abend nachgestellt haben, denn er hatte den einzigen Abend, an dem der treue Bernhardiner einmal nicht gekommen war, sofort für die Vergewaltigung und den Verdeckungsmord ausgenutzt. Als die Leiche des Mädchens gefunden worden war, wird die Frau ihrem Mann auf Grund der ihr bekannten Vorgeschichte auf den Kopf zugesagt haben, dass sie in ihm den Mörder des Mädchens sehe. Aber sie hielt zu ihm (und zu sich): in guten wie in schlechten Tagen!

Der Knecht wurde nach 20-jähriger Zuchthaushaft als gebrochener Mann entlassen. Der Ehemann der bald nach dem Geständnis verstorbenen Schneidermeisterin verstarb noch während des ihm gemachten Prozesses.

Vermutlich hat der im juristischen Sinne an der Ermordung des Mädchens unschuldige Knecht eine lächerlich kleine Haftentschädigung erhalten.


Hinsichtlich des Mordes wird dem Knecht sicher kein Vorwurf zu machen sein. Hinsichtlich einer fahrlässigen Tötung müssen wir einen kurzen Augenblick überlegen, denn § 222 geht, das Wort „verursacht“ macht es deutlich, vom Begriff der Einheitstäterschaft aus. Irgendwie »verursacht« hat der Knecht ja die Tötung, denn sein Handeln war mit ursächlich für die Ermordung des Mädchens. Aber in § 222 heißt es nicht einfach: „Wer den Tod eines Menschen verursacht, ...“, sondern: „Wer den Tod eines Menschen durch Fahrlässigkeit verursacht, ...“
Das Gesetz definiert den Begriff der Fahrlässigkeit nicht. Ein paar Seiten weiter werden Sie als Definition der Wissenschaft lesen: „Fahrlässigkeit liegt vor, wenn zu Beginn der Handlung wenigstens unsicheres Tat- und wenigstens unsicheres Un­rechtsbewusstsein zwar nicht vorhanden waren, aber erlangbar(!) gewesen wären. Der Täter einer fahrlässig begange­nen Tat bemühte in vorwerfbarer Weise nicht seinen Verstand und weckte so nicht sein schlafendes Gewissen.“
Zu dem Ergebnis der juristischen Unschuld nicht nur am Mord, sondern auch hinsichtlich einer fahrlässigen Tötung – wozu, wie gesagt, immer die Potentialität der Erlangung des Tat- und/oder des Unrechtsbewusstseins hinsichtlich der konkreten Todesumstände gehört – muss man im Ergebnis kommen, wenn man den Begriff der Einheitstäterschaft nicht überstrapaziert.
2.1.2 Anwendungsfälle und Besprechung

Fall 51


Hund erschoss Lehrer

Hamburg. Der Oberstudienrat Dr. B war mit seinem Hund zur Jagd ge­gangen. Als B die Rückfahrt antreten wollte, legte er - wie immer - seine Flinte auf den Rücksitz und ließ dann seinen Hund hinten Platz nehmen. Während der Fahrt muss der Hund mit seiner Pfote gegen den nicht ge­sicherten Abzug der noch geladenen Flinte getappt sein. Es löste sich ein Schuss. Die Schrotladung drang durch den Fahrersitz und zerfetzte die Rückenpartie des Fahrers, der in seinem Wagen ver­blu­tete.


Prüfungsabfolge bei vollendeten Begehungsdelikten I

Darstellung des zu prüfenden Sachverhaltsausschnittes/Handlungsabschnittes

(UTB) „Zu prüfen ist ein Vergehen/Verbrechen des/der ... gemäß §(§) ....“



(UTB)


(UTB)




Prüfung des Unrechtstatbestandes (UTB)

Der UTB des § ... erfordert, dass ...

Ist der „Erfolg“ des gesetzlich geschilderten UTB eingetreten?

Liegt eine Handlung als gewolltes Tun vor?

Ist eine objektive Zurechnung der Täterhandlung zu diesem „Erfolg“ möglich?

Sind gesetzlich eventuell geschilderte besondere Unrechtsmerkmale erfüllt?

(z.B. Einsatz einer Waffe)
Der UTB ist trotz des „Erfolges“ nicht erfüllt bei


  • nur scheinbarer Rechtsgutsverletzung (z.B. Einwilligung in eine Operation)

  • Wahrnehmung der letzten Rettungschance

Zwischenergebnis:

„Der UTB des § ... ist nicht gegeben“  keine Rechtsgutsverletzung

„Der UTB des § ... ist tatbestandlich erfüllt und ist dem Handeln des Täters direkt zurechenbar.“



Prüfung der objektiven Zurechnung des „Erfolges“ zum Handeln des Täters:

Unrecht

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