Rechtskunde einführung in das strafrecht der bundesrepublik deutschland anhand von tötungsdelikten



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Berlin (Eigener Bericht) - Im Berliner ‘Mauerprozeß' hat sich der ehemalige DDR-Grenzsoldat P... Sch... am Mittwoch mit der Feststellung verteidigt, der Gebrauch der Schusswaffe sei nach seinem damaligen Verständnis der Rechts- und Befehlslage Pflicht und Rechtens gewesen. ... Der 27jährige Elektromonteur Sch... erklärte, er habe aus seiner Maschinenpistole sechs Schüsse abgegeben, um Gueffroy und dessen Freund Christian Gaudian am Grenzübertritt zu hindern. Dabei habe er auf den Boden gezielt. Dass Gueffroy durch das Feuer der Grenzposten ums Leben kam, habe er erst 'Wochen später' erfahren.

Die Mehrzahl der Fragen des Gerichts, der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger zielten auf das Rechts- oder Unrechtsbewusstsein des Angeklagten zum Zeitpunkt der Tat. Sch... sagte dazu, die Grenzsoldaten seien in der Ausbildung mit den einschlägigen Bestimmungen des DDR-Grenzgesetzes vertraut gemacht und angewiesen worden zu schießen, wenn sie sich mindestens zwei Flüchtlingen gegenüber sähen, die - nach Anruf und Warnschuss - nicht anders zu stoppen seien. Er habe nicht an der offiziellen Sprachregelung gezweifelt, dass es sich bei Grenzverletzern 'um Verbrecher und Politkriminelle' handle. Er habe keine andere Alternative gehabt, als auf die Flüchtlinge zu schießen. Über den Grenzern habe immer die Drohung geschwebt, bei einer Weigerung in das berüchtigte Militärgefängnis Schwedt zu kommen.

Erst nach der Wende habe er seine Sicht geändert. 'Ich hatte damals keine Zweifel. Ich habe gedacht: Ich habe richtig gehandelt und meine Pflicht getan.' Allerdings habe er trotzdem 'Gewissensbisse' gehabt. 'Das hat mich immer belastet, das wird mich wahrscheinlich noch länger belasten, mein ganzes Leben lang.'

Von möglicherweise übergeordneten Bestimmungen des Völkerrechts sei in der Ausbildung nicht die Rede gewesen, sagte Sch... . Auch von den Menschenrechten habe er nur eine vage Vorstellung gehabt: 'Natürlich hat man was von Recht auf Leben ... gehört, ja, aber man muss sich doch an die Gesetze halten.' Außerdem habe er - etwa durch Fernsehübertragungen vom Honecker-Besuch in Bonn - den Eindruck gehabt, 'die DDR ist doch schon was, wird von der BRD anerkannt'. Nach der Tat, für die Sch... und die drei anderen Mitangeklagten belobigt und ausgezeichnet wurden, sei ihnen vom Staatssicherheitsdienst Stillschweigen befohlen worden. Zugleich habe der Stasi Hilfe angeboten, 'wenn ich Probleme habe'. ..."
Man musste aber keinen erschießen und dafür auch noch einen Totschlags-Orden annehmen! Dafür gibt es »stille« Beispiele aus unserer Zeit. Doch in festem Vertrauen auf sich selbst und seine eigenen Werte gegründete Zivilcourage ist nur den wenigsten gegeben. Als Beispiel hierfür und für bestes Preußentum aus früherer Zeit wurde von unserem ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss wiederholt herausgestellt:

Ein Oberst Friedrichs des Großen (der sich in diesem Fall wirklich nicht als »groß« erwiesen hat) hatte den ausdrücklichen Befehl erhalten, als Repressalie gegen einen geflohenen Landesfürsten, dessen Friedrich II. nicht habhaft werden konnte, eines von dessen Dörfern zu plündern und zu brandschatzen. Aus Mitleid mit der an den Kriegshändeln nicht beteiligten Zivilbevölkerung verweigerte der aus einem alten märkischen Adelsgeschlecht stammende Oberst von der Marwitz den von ihm als unrechtmäßig und unehrenhaft erachteten königlichen Befehl - „Ein Offizier des Königs macht so etwas nicht!“ -, hatte ein Kriegsgerichtsverfahren zu überstehen, wurde unehrenhaft aus dem Militärdienst entlassen und war gesellschaftlich »erledigt«. Auf seinem Grabstein in Friedersdorf in Brandenburg soll das stolze, gegen seinen König gerichtete Wort stehen:


"Er wählte Ungnade, wo Gehorsam Unehre gewesen wäre."

Auch wer unsicher ist, aber für möglich hält, dass er Unrecht tut - dass z.B. in dem Asylantenheim in Hünxe Menschen schlafen, die, durch die Brandbombe im Schlaf überrascht, sich nicht mehr retten können - handelt auch mit aktu­el­lem Unrechtsbewusstsein, denn auch der setzt sich bewusst über den für möglich gehaltenen Achtungsanspruch eines fremden Rechtsgutes hinweg.

Irrt hingegen jemand über das Verbotene seines Handelns, weil er z.B. sich angegriffen glaubt und daraufhin in Putativnotwehr handelt, so hat er zwar Tat-, aber kein Unrechtsbewusstsein. Damit scheidet eine vorsätzli­che Begehung aus, denn ein Bewusstsein, das man zum Zeitpunkt der Tat nicht hat, sondern nur haben könnte, ist eben nicht Bewusst­sein. Das zu untersuchen und zu bewerten ist u.a. eine der Aufgabenstellungen einer Hauptverhandlung.

Damit war die Verteidigungslinie der Skins und Neonazis bei ihren ersten Überfällen auf Asylantenheime, sie hätten nur ein bisschen aus „Spaß“ und einer Bierlaune heraus ein wenig zündeln, auf keinen Fall aber einen Menschen - nicht einmal einen Ausländer - verletzen wollen, vorgegeben, denn in unserem Rechts­staat muss einem Angeklagten die Begehung des ihm vorgeworfe­nen De­liktes in allen seinen Voraussetzungen nachgewiesen werden; sonst hat der Grundsatz: "In dubio pro reo.", zu gelten. Es ist aber Sache des Gerichts, solche dümmlichen Ausflüchte nicht zuzulassen, mit denen sich rechtsradikale Angeklagte spätestens nach dem ersten so gearteten Anschlag in Hoyerswerda und der weltweiten Berichterstattung nicht mehr hätten herausreden dürfen, denn spätestens seit dem Zeitpunkt stand auch oder gerade für jeden Böswilligen fest, dass Ausländer in ihren Wohnungen schlafen, die Wohnungen nachts nicht unbewohnt sind. Spätestens nach Hoyerswerda hätte bei jedem ein Asy­lantenheim mit Brandsätzen angreifenden Täter vorausgesetzt werden müssen, dass er wenigstens unsicheres Tat- und Unrechtsbewusstsein hinsichtlich einer möglichen Tötung habe, wenn er eine Brandbombe in ein bewohntes Haus wirft. Alle gegenteiligen Beteuerungen müssten von den Gerichten als uner­hebliche (und unerträgliche) "Schutzbehauptungen" gewertet werden. Da hätte es bei den Richtern hinsichtlich der von den Angeklagten vorgetragenen Schutzbehauptungen keine zu Gunsten der Beschuldigten ausschlagenden Zweifel mehr geben dürfen! Tatbewusstsein haben und Tatbewusst­sein leugnen sind zwei verschie­de­ne Stiefel. Doch einige Gerichte scheiterten an dieser Aufgabe und gestanden den Skins in blauäugiger Überdehnung des Grundsatzes: "In dubio pro reo“, ihre in der Hauptverhandlung vorgebrachten Märchen zu!


Eine "In dubio pro reo“-Entscheidung liegt dagegen in folgendem Fall vor:
Sind wenigstens ihre Albträume strenger als der Richter?

Sie tötete ihr Baby! Strafe: 750 Euro

In einem Totschlags-Prozess vor der Jugend-Strafkammer in Erfurt sagte die Gymnasiastin Anja B. (19) sagt, sie habe die Pille vergessen und so, ohne es zu ahnen, mit ihrem Freund ein Kind gezeugt. Dass sie schwanger war, habe sie nicht bemerkt. Trotz ihrer hohen Intelligenz (IQ von 123). Auch sonst sei es keinem aufgefallen.

Nach der Geburt des Jungen in ihrem Zimmer habe die Mutter der Gymnasiastin das Kind hinter der Couch tot in einer Plastiktüte gefunden.

Die Gymnasiastin erklärt (wohl) sehr überzeugsnd: „An die Geburt kann ich mich überhaupt nicht erinnern. Da ist eine Blockade.“

Richter Holger Pröbstel (selbst zwei Kinder). „Wenn Sie das hier alles vorspielen, sind Sie Oscar-reif.“

Auch die zwei Gutachten bringen den Richter nicht weiter. Das eine glaubt ihr, spricht von Affektzustand bei der Geburt und einer „Persönlichkeitsstörung“ (durch viel Alkohol seit früher Jugend). Das andere bezweifelt, dass sie von der Schwangerschaft nichts mitbekam.

Ergebnis der Obduktion: Das Baby wurde mit „weichem Material“ erstickt. Einem Kissen? Aber es sei auch möglich, dass es durch „Aufliegen“ auf dem Bettvorleger erstickte – und die Gymnasiastin nicht half. Also nur fahrlässige Tötung durch Unterlassen.

Der Richter: „Lieber lass ich einen Schuldigen entkommen, als einen Unschuldigen einzusperren.“ Sein Urteil: eine Verwarnung – und 750 Euro an „Pro Familia“.

(Bild.de 16.07.03)


Nach der „In dubio pro reo“-Regelung wurde in den „Ehrenmordprozessen“ lange geurteilt, in denen die Familie ihre Ehre durch das Verhalten ihrer Tochter geschändet sieht, meint, dass diese Schändung gegenüber dem Ansehen in der Gruppe, in der sie lebt, nur durch Blut reingewaschen werden könne, beschließt, dass die Tochter getötet werden müsse, und die Familie dann dafür den jüngsten Sohn aussucht, weil der vielleicht noch nach Jugendstrafrecht verurteilt wird: Wenn der jugendliche Täter im Prozess alle Schuld auf sich nimmt, behauptet, dass er die Tat allein geplant und verübt habe, können in Deutschland die (üblicherweise eingeweiht gewesenen) Familienmitglieder des vorgeblichen Alleintäters - wie in einem Berliner Prozess geschehen - nicht bestraft werden.

Durch die Anwendung des Grundsatzes "In dubio pro reo" kann man zwar einer Verurteilung aus dem ursprünglich anvisierten und nur möglicherweise begangenen Regelverstoß entgehen, sich aber durch seine Verdeckungsmaßnahme/n gleichwohl aus einem anderen Delikt strafbar machen. Die Polizei wird in dem nachfolgenden Fall zunächst nur im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle tätig geworden sein und darum keine eigenen genauen Messungen vorgenommen haben. Die Meldung macht ja nur Sinn, wenn sie keine eigenen Messungen vorweisen konnte:


"Fast-Food

dpa Fürth - Ein LKW-Fahrer hat den Begriff Fast-Food wörtlich genommen. Bei einer Polizeikontrolle verschluckte er die Scheibe des Fahrtenschreibers. Zwar kann der 29jährige nicht mehr wegen zu schnellen Fahrens belangt werden, dafür aber wegen Urkundenunterdrückung."

Bei der vorstehend etwas ausführlicher behandelten Vorsätzlichkeit ist das Unwerterle­ben gelebte seelische Wirklichkeit für den Täter.

Bei der nun kurz zu skizzierenden Fahrlässigkeit ist, im Gegensatz zu dem vorstehend Ausgeführten, zum Zeitpunkt der Tat ein Un­­werterleben für den Täter nicht gegeben – aber durchaus mög­lich! Die Abgrenzung kann strittig sein, und für die Juristen als die Freunde des gespaltenen Haares sind solche Abgrenzungsschwie­rigkeiten, wie sie zum Abschluss des Kapitels an zwei Fällen aufge­zeigt werden, Anlass zur Bildung verschiedener, um Klärung bemühter "Theorien".

Die Fahrlässigkeit muss aber nicht nur zur Seite der Vorsätzlich­keit, sondern genauso zu der anderen Seite hin gegenüber der Schuld­lo­sigkeit abgegrenzt werden.
Fahrlässigkeit kann nur dann vorliegen, wenn der Täter im Augen­blick des Tätigwerdens hinsichtlich des Delikts ohne oder eventuell sogar mit Tatbewusstsein, aber auf jeden Fall ohne Unrechtsbewusstsein handelt - vielleicht deswegen, weil er sein gesteuertes Handeln gar nicht als Unrecht ansieht, z.B. wenn der Jäger auf die gebückt Brennholz sammelnde Frau schießt, weil er sie für ein Wildschwein hält - was die Spanierin aus einer Zeitungsmeldung, wie viele andere, nicht überlebte. Ent­scheidend ist: Hätte der Täter das aktuell fehlende Tat- und/oder Un­rechts­bewusstsein bei Anspannung aller seelischer und geistiger Kräfte erlangen können? Eine fahrlässige Begehung einer Straftat ist nur dann möglich, wenn Tat- und/oder Unrechtsbewusstsein er­langbar gewesen wären: Der Täter einer vorsätzlich begangenen Tat hörte nicht auf sein mehr oder eher weniger nagendes Gewissen, der Täter einer fahrlässig begange­nen Tat bemühte in vorwerfbarer Weise nicht seinen Verstand und weckte so nicht sein schlafendes Gewissen! Das gilt sowohl für den Fall einer un­bewussten Fahrlässigkeit - der Täter „Hans-guck-in-die-Luft“ denkt überhaupt nicht an eine Gefahr und stellt z.B. sein Auto an einer abschüssigen Straße ab, ohne die Handbremse angezogen und den Gang eingelegt zu haben, das Auto rollt die Straße hinunter und verur­sacht einen tödlichen Ver­kehrs­unfall
Zum Glück ohne Todesfolge:

„Sex auf dem Rücksitz ohne Handbremse - Schussfahrt den Hang hinunter

In Oberhausen war ein Pärchen so sehr mit zwischenmenschlichen Kontakten auf dem Rücksitz ihres Autos beschäftigt, dass sie nicht bemerkten, dass sich ihr Wagen selbstständig machte. Sie rollten einen Hang runter und knallten in ein anderes Auto.

Eine Zeugin, die bereits durch die anscheinend extrem laute Geräuschkulisse des Liebesspiels auf das Auto aufmerksam wurde, beobachtete den Zwischenfall von ihrem Fenster aus.

Der Schaden an dem anderen Auto, in das die Liebenden hineinrutschten, beträgt geschätzte 300 Euro. Das Liebespaar flüchtete übrigens vom Unfallort.“

Stern-shortnews 25.06.03


- wie auch für den Fall einer bewussten Fahrlässigkeit: Der Tankstellenbesitzer achtet bei seinen Kunden streng darauf, dass niemand während des Tankvorganges raucht, weil er um die gene­relle Gefährlichkeit eines solchen Han­delns weiß, er selber aber raucht, weil er sich im Umgang mit Ben­zin für so erfahren hält, dass er für sein Handeln einen konkreten Gefahreneintritt aus­schlie­­ßen zu können glaubt: „Tausend mal gemacht, und bisher hat es nie gekracht.“ Das stellt sich dann aber als letzter Irrglaube des Tankstellenpächters heraus.
Unbewusste Fahrlässigkeit könnte den beiden folgenden tragischen aber an sich durchaus vermeidbar gewesenen Unfällen zugrunde gelegen haben - die "Täter" werden sich hinterher selbst gesagt haben: "Hätte ich Blödmann / blöde Kuh doch bloß ..." -, auch wenn der Geschehensverlauf auf jeden Fall im zweiten Beispiel nahe an der Grenze zur Schuldlosigkeit verläuft, sodass wenigstens dort nach einer richterlichen Ermahnung von Strafe abgesehen werden könnte:
"Geburtstagskind mit Champagner erschossen

Perth - Der Australier Richard Williams feierte feuchtfröhlich mit Freunden seinen 31. Geburtstag. Zu später Stunde holte seine Freundin Miriam (30) die letzte Flasche Champagner aus dem Kühlschrank. Sie schüttelte die Flasche, stützte sie auf ihrem Bauch ab und ließ den Korken knallen. Der mit Metall ummantelte Korken traf Richard mit voller Wucht an der Schläfe. Er stöhnte, kippte zu Boden, blieb regungslos liegen. Richard war tot - Gehirnschlag. Die schluchzende Miriam zur Polizei: ‘Ich dachte erst, Richard hätte einen Scherz gemacht.'"


Die Frau sollte ihre Sektmarke wechseln! Wer ohne wenn und aber Faber-Sekt trinkt, kann höchstens von einem Plastikkorken getroffen werden - was aber auch ins Auge gehen kann.
"Wespen-Unfall

dpa Bad Oldesloe - Wegen der Attacke einer Wespe auf einen Autofahrer ist es in Rümpel (Storman) zu einem tödlichen Verkehrsunfall gekommen. Eine 61jährige Frau kam ums Leben, als ihr 69jähriger Mann die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor und gegen einen Baum prallte." (HH Abendblatt 20.08.94)


Im Falle des Diplomaten aus Reinhard Meys Lied dagegen ist eher ein Fall bewusster Fahrlässigkeit anzunehmen: Der schon sehbehinderte Schütze hätte anlässlich der mit Trei­bern veranstalteten Diploma­tenjagd durchaus das erforderliche Tat- und damit auch das erforderliche Unrechtsbewusstsein erlangen kön­nen, denn er wusste ja, dass ihm die immer näher rückenden Trei­ber das Wild vor die Büchse scheuchen sollten.
Der das Bruchholz sam­meln­de Weiblein erschießende Don Carlos aus der kurz angesprochenen, aber nicht zitierten Zeitungsmel­dung dagegen hatte das erforderliche Unrechtsbewusstsein vielleicht gar nicht erlangen können; wenn aber doch, dann läge bei ihm ein Fall unbewusster Fahrlässigkeit vor.
Hatte ein Täter das Unerlaubte seiner Handlung nicht erfassen kön­nen, so handelte er schuldlos. Bei Jugendlichen (§ 1 II JGG: vierzehn, aber noch nicht achtzehn), Heranwachsenden (§ 1 II JGG: achtzehn, aber noch nicht einundzwanzig Jahre alt) und Erwachsenen muss das untersucht und entschieden werden, bei Kin­­dern unter 14 Jahren wird das nach deutschem Recht durch die Bestimmung des
"§ 19 Schuldunfähigkeit des Kindes.

Schuldunfähig ist, wer bei Begehung der Tat noch nicht vier­zehn Jahre alt ist."


unwiderleglich vermutet. Das Problem war an anderer Stelle bei der Erörterung der Strafmündigkeitsgrenze schon ausführlich erörtert worden. Zwei Todesfälle seien in diesem Zusammenhang noch einmal in Erinnerung gerufen:
Fall 57

"Auto zerquetschte Kind

ebb Gifhorn - Auf tragische Weise ist in Meinersen (Landkreis Gifhorn) ein vierjähriges Kind getötet worden. Ein zweijäh­ri­ger Junge hatte am Zündschlüssel gespielt und in der Garage ein Auto in Bewegung gesetzt. Er zerquetschte das Mädchen an der Wand."
Der Junge handelte schuldlos. Das Elternteil aber, das den Zündschlüssel stecken gelassen hatte, handelte fahrlässig!

Und es ging noch einen Tick dusseliger:


"Vierjährige überfuhr Mutter

dpa Hanau - Eine 29jährige Amerikanerin in Hanau hatte ihre Tochter nur für kurze Zeit im Auto zurückgelassen - bei lau­fendem Motor. Als sie zurückkam, saß die Vierjährige schon hinter dem Steuer. Bei dem Versuch, den rollenden Wagen auf­zuhalten, wurde die Mutter an der Hauswand erdrückt. Sie war im achten Monat schwanger."


Wer ein Kind im PKW bei laufendem Motor zurücklässt, den be­straft das Leben - manchmal sogar mit dem Verlust des eigenen Lebens. Aber wirklich brutal bestraft ist die Vierjährige, die nicht wusste, wie ihr geschah und jetzt ihre ohne Mutter aufwachsen muss!
Diese Grenze der (bisher) mit unter 14 Jahren unwiderleglich vermuteten Strafunmündigkeit eines Kindes ist nicht zwingend. Sie ist willkürlich gesetzt. Wir hatten von Bestrebungen innerhalb der CDU erfahren, bei Serien- und Dauertaten diese Grenze bis zu einem Alter von 12 Jahren widerleglich zu gestalten. Und widerlegt wäre die zunächst unterstellte mangelnde Einsichtsfähigkeit mit den ersten ernsthaften Zusammentreffen mit der Polizei nach den ersten gravierenden Delikten. Nach diesen Reformbestrebungen, die sich der Handhabung dieses Problems im angelsächsischen Rechtskreis annähern, soll erst unterhalb dieser Grenze von 12 Jahren die danach geltende widerlegliche Vermutung in einem Quantensprung für unter 12-Jährige zu einer unwiderleglichen Vermutung mutieren. Andere Rechtskreise sehen das verschärfter: In Großbritannien besteht schon ab dem zehnten Lebensjahr eine widerlegliche Vermutung bezüglich der Schuldfähigkeit eines Kindes, und in den USA gelten nur Kinder unter sieben Jahren generell als schuldun­fähig. Siebenjährige können dort schon in Zellen inhaftiert sein - von Achtjährigen wurde das anfangs schon mitgeteilt -, Jugendliche über 14 können für jedes Verbrechen wie Erwachsene verantwortlich gemacht werden - selbst wenn die Taten auf ein noch sehr kindliches Ziel ausgerichtet sind:
"‘Lolli her!'

ap Crofton - Ungewöhnlicher Überfall auf eine Bank in Crofton (US-Staat Maryland). Ein 14jähriger bedrohte einen Angestell­ten mit einer Pistole und schrie: ‘Gib mir einen Lolli, oder ich erschieße dich!' Der Kassierer gehorchte. Zehn Minuten später wurde der Räu­ber gefasst. Die Pistole war echt."


Nach der deutschen Strafbestimmung § 250 I Nr. 1 muss auf Frei­heits­­strafe nicht unter fünf Jahren erkannt werden, wenn "der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raube eine Schusswaffe bei sich führt", die der US-Boy - gleiches Strafmaß vorausgesetzt - ab­sitzen muss, weil nach amerikanischem Recht Personen spätestens ab 14 wie Er­wachsene bestraft werden können. Nach einer Entscheidung des obersten amerikanischen Gerichts, des Supreme Court, können Jugendliche so­gar ab 16 Jahre zum Tode verurteilt und hingerichtet werden.

Welch eine Lust, in Deutschland ein unter 14 Jahre altes Autocrash-Kind zu sein!

Und in Brasilien werde man - einem (mir aber nicht ohne weiteres glaubhaften) Bericht eines dort fünf Jahre gelebt habenden deutschen Austauschlehrers zufolge - erst mit 18 strafmündig. Vielleicht erschießen dort deshalb so viele Todesschwadronen Kinder aus den vielen Elendsgebieten, die vor­dringlich aus Existenznot kriminell geworden sind und es zum überwiegenden Teil auch sein müssen, um - bis zum Erscheinen der Todesschwadronen - überleben zu können, weil die Justiz als Reparaturbetrieb mangelnder Sozialpolitik diese Plage wegen (angeblich) fehlender Strafunmündigkeit unter 18 Jahren nicht in den Griff bekommt, auch gar nicht in den Griff bekommen kann.

Aber welch eine Diskrepanz in den drei Ländern über die Auf­fas­sung, was gerecht, was "Recht" sein soll!


Die in unserem Recht für alle Kinder - und damit bis zu 14 Jahren - geltende (bisherige) Strafbarkeitsgrenze durch eine nicht widerlegbare Unschuldsvermutung ist eine so genannte "unwiderlegliche Vermutung".

Getreu solcher Dreistufung wie von Politikeraffinitäten in dem Slogan: "Feind - Intimfeind - Parteifreund" kennen die Juri­sten die Dreistufung:



  • "Widerlegliche Vermutung", z.B. der im Strafprozess zu­nächst generell bestehenden, aber durch den Prozessablauf jederzeit widerlegbaren Un­schulds­ver­mu­tung zu Gunsten jedes Angeklagten

  • "un­widerlegliche Vermutung", z.B. der Schuldunfä­hig­keit der unlieben Kleinen, wie der Autocrash-Kinder unter 14 Jahren

und als Höchstleistung des Ignorierens von Realitäten die

  • "Fiktion", bei der der Gesetzge­ber weiß, dass er sich - teilweise gegen alle Naturgesetze - bewusst »ins eigene Hemd lügt«, er es aber aus ihm zum Zeitpunkt der Gesetzgebung übergeordnet erscheinenden Gesichtspunkten so will, um ein bestimmtes juristisch gewolltes Ergebnis zu erzielen.

Zur Erreichung eines bestimmten Zweckes wird auch in anderen Rechtsgebieten als dem des Strafrechts mit diesem juristischen Handwerkszeug "widerlegliche Vermutung", "un­widerlegliche Vermutung" und "Fiktion" gearbeitet, z.B. mit einer Fiktion in


"§ 1923 BGB

(1) Erbe kann nur werden, wer zur Zeit des Erbfalls lebt.

(2) Wer zur Zeit des Erbfalls noch nicht lebte, aber bereits erzeugt war, gilt als vor dem Erbfall geboren."
Die kurioseste Fiktion war die bis 1970 geltende, dann ersatzlos gestrichene Bestimmung in § 1589 II BGB:
„1589 BGB

(1) Personen, deren eine von der anderen abstammt, sind in grader Linie verwandt. ...

(2) Ein uneheliches Kind und dessen Vater gelten nicht als verwandt.“
um, wenn sich Mutter und Kinder in oft genug ausbrechenden Erbstreitigkeiten zerfleischten, die „Kegel“ oder „Bastarde“ als weitere Belastung aus den familiären Streitigkeiten heraus zu zwingen.

Nach 1970 wurden nichteheliche Kinder den ehelichen vom Grundsatz her gleichgestellt, erhielten aber dann doch nur einen (einschränkenden) Erbersatzanspruch, bis auch der Jahre später zu Gunsten eines vollen, uneingeschränkten Erbanspruchs abgeschafft wurde.


Ein weiteres und in der Praxis recht wichtiges Beispiel einer Fiktion ist der Antrag auf "Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand" bei nachzuweisendem unverschuldeten Fristversäumnis: Wer z.B. durch Krankheit daran gehindert war, eine Frist, deren Versäumung (meist nachteilige) Rechtsfolgen nach sich zieht, zu wahren, wird auf Antrag bei Nachweis der unverschuldeten Versäumnis trotz der inzwischen durch Fristüberschreitung eingetretenen Rechtskraft so gestellt und behandelt, als wenn die Frist noch nicht überschritten wäre, wenn er innerhalb von 14 Tagen nach Wegfall des Hindernisses die erforderliche Rechtshandlung nachholt. Um es an einem Beispiel anschaulicher zu machen: Ist jemand verurteilt worden und wird er in den letzten Tagen der im Strafprozessrecht einwöchigen Berufungsfrist so schwer krank, dass er durch höhere Gewalt daran gehindert war, die Berufung rechtzeitig einzulegen, so wird ihm trotz zunächst durch gesetzliche Anordnung eingetretener Rechtskraft des Urteils zugestanden, bis zum 14. Tag nach Wegfall der schweren Krankheit durch diese die Ausschlussfrist aber unbedingt beachtende nachträgliche und nachfristige Einlegung der Berufung die inzwischen (zunächst) eingetretene Rechtskraft des Urteils wieder zu beseitigen. Es nützt aber nichts, wenn man durch einen Rechtsanwalt vertreten ist und der - vielleicht aus einem Organisationsversehen seiner Kanzlei heraus - die Einlegungsfrist fahrlässig schuldhaft versäumt. Darum gibt es in jeder Kanzlei ein peinlich genau zu führendes und geführtes Fristenbuch. Und es wurde eine Berufung rechtskräftig abgeschmettert, weil der mit ihrer Einlegung beauftragte Rechtsanwalt den Schriftsatz zwar ganz kurz vor 24.00 Uhr fertig bekommen hatte und das Schreiben vor Tagesablauf in das Faxgerät einfütterte, zwei Seiten auch noch - auf dem mitlaufenden Zeitstreifen kontrollierbar - vor der Zeitgrenze durchgefaxt worden waren, nicht aber mehr die dritte Seite mit der Unterschrift. Und eine Berufung ist ohne die Unterschrift eines Rechtsanwaltes ungültig.

Hätte er die Seite mit der Unterschrift bei der Eingabe gleich nach der Titelseite in das Faxgerät eingespeist, wäre wohl alles klar gegangen. Doch wer kommt schon auf so etwas, bevor das Leben eine (dieses Mal kleinlich ausgefallene) rechtliche Klärung erzwingt!


Der Ausgangspunkt unserer Überlegung war aber die in § 19 gesetzlich angeordnete unwiderlegliche Unschuldsvermutung für unter Vierzehnjährige. Diese vom Gesetzgeber angeordnete, das Gericht bindende unwiderlegliche Unschuldsvermutung zugunsten der unlieben Klei­nen könnte sicher im Einzelfall widerlegt werden, darf es aber nicht: Für ein Gerichtsverfahren zu junge Autocrash-Kinder werden zum x-ten Male nach einer wil­den Verfolgungsjagd von der Polizei ge­stellt, können aber weder in­haftiert noch vor ein Strafgericht gestellt werden und müssen umgehend wieder laufen gelassen werden, weil z.B. Hamburg, wie viele andere Bundesländer auch, die geschlossenen Hei­me zugunsten eines teilweise mindestens vierteljährigen Abenteuer­urlaubs in sogar exotische Länder abgeschafft hat, den sich ein Normalver­die­ner für die schönsten Wochen des Jahres nicht ersparen kann. So ist es schon dazu gekommen, dass Hamburger Kinder zu ihren Eltern sagten: "Mit Euch in den Urlaub zu fahren ist blöd! Was muss ich tun, dass ich auch solch einen Urlaub kriege?"

Weil die unter 14 Jahre alten Crash-Kinder nach Feststellung der Personalien, soweit sie nicht schon längst auf Seiten der Be­hör­de bekannt waren, in dem sicheren Bewusstsein sofort wieder lau­fen gelassen werden mussten, dass man sie an der nächsten Straßen­kreu­­zung in dem nächsten geklauten Auto wieder vorbeifahren sehen werde, kommt - nicht nur bei den Polizeibeamten - Frust auf! (Ver­ständlicher Stoßseuf­zer eines Polizi­sten, als der berüchtigste Autoknacker der Crash-Kinder des Hamburger Hauptbahnhofes kurz nach seinem 14. Geburts­tag - und kurz vor seiner Todesfahrt - zum wiederholten Male, nun aber strafmündig, geschnappt worden war: "Dass ich diesen Tag noch erleben durfte!")

Die unwiderlegliche Un­schuldsvermutung gilt selbst dann, wenn das Früchtchen so ab­gebrüht ist, dass es seine Straftaten bewusst unter den Schutz der Norm des § 19 stellt und sich dabei auf sie beruft:
"13jähriger überfiel Sparkasse in Hamburg-Bahrenfeld

Jeans, dunkle Jacke, Turnschuhe - so schlenderte ein kleiner Junge (13) in die Haspa-Filiale ... . Er stellte sich an die Kasse und sag­te zu Kassierer Henner L.: ‘Gib mir das Geld raus. Überfall. Du brauchst keinen Alarm auszulösen. Ich bin minderjährig, die lassen mich sowieso laufen.' Der Kassierer löste Alarm aus und begann mit dem Jungen eine Diskussion. So lief der 13jährige beim Verlassen der Sparkasse der alarmier­ten Polizeistreife in die Arme, die ihn schon suchte, weil er Minuten vor dem gescheiterten Bankraub ver­sucht hatte, die Verkäuferin eines Wollgeschäftes zu überfallen. Die Polizei: ‘Der Junge ist bei uns wegen zahlreicher Diebstähle und Ein­brüche schon bekannt.'"

Das Problem der Schuldfähigkeit nicht aufgrund des Alters, aber aufgrund eines völlig anderen Werterlebens stellt sich, wenn zwei verschiedene Kulturen zusammenprallen, z.B. in Australien: In Australien gibt es für die an ganz andere Wertvorstellungen gebundenen Ureinwohner, die Aborigines oder Anangu, wie sie sich selber nennen, mit ihrer über 40.000 Jahre alten Kultur, der ältesten der Welt, eine eigene, von den Wertvorstellungen der Weißen losgelöste Rechtsprechung mit eigenen Strafvorstellungen, weil sie aufgrund ihrer ganz anders gearteten kulturellen Wertvorstellungen das von den Weißen so beurteilte Unrecht möglicherweise nicht nachvollziehen können, insoweit dann schuldlos handeln, oder - wie in nachfolgender Zeitungsmeldung zum Ausdruck kommt - die vom weißen Mann verhängten Sanktionen als nicht tat- oder schuldangemessen empfinden.
"‘Spießen' erlaubt

SAD Sydney - Das oberste Gericht Australiens hat die traditionelle Bestrafung eines Ureinwohners in seiner Heimatgemeinde Yuendumu zugelassen. Statt drei Jahre Haft wegen Totschlags drohen Wilson Jagamara Walker vom Stamme der Walpiri Speerstiche in beide Oberschenkel." (HH Abendblatt 26.02.94)


Spiel berichtet in seinem Buch „Menschen essen Menschen – Die Welt der Kannibalen“82, dass ein vermutlich gerade erst seit Kurzem missionierter und daher nur »oberflächig« dem Justizkannibalismus abspenstig gemachter Afrikaner dem Missionar Pater Fräßle gegenüber seine Unzufriedenheit mit dem ihm von seinem neuerworbenen oder oktroyierten Christentum nunmehr abverlangten Konsumverzicht auf Verspeisen des Delinquenten mit den Worten beklagte: „Jetzt sind die Weißen im Lande, die verstehen nichts vom Recht, wir können nur noch eine Zahlung vom Verbrecher verlangen, das Unrecht aber bleibt.“
Sollen aber völlig anders geartete kulturelle Wertvorstellungen, denen die jeweiligen Menschen wie unter einem ihnen zu freier Entscheidung keinen Raum bietenden Zwang unterworfen sind, in jedem Fall auf Grund ihres anders gearteten Werterlebens zu verminderter Schuldfähigkeit oder gar zur Schuldlosigkeit führen?

Für die Anangu vermögen wir das einzusehen. Da können wir schulterzuckend großzügig sein. Was soll aber für den folgenden Fall gelten, der sich in Hamburg-Wilhelmsburg, in dem im Volksmund so genannten „Balkan des Nordens“ ereignete:


Ein in seinem sozialen Umfeld hochangesehener 60-jähriger Kosovo-Albaner, Vater von vier erwachsenen Kindern, streckte seinen 25-jährigen Schwiegersohn mit zwei Schüssen nieder, weil der seine Tochter wegen einer anderen Frau verlassen wollte, die im Ruf stand, eine Prostituierte zu sein. Der Familienpatriarch, der sich in seiner Ehre so schwer verletzt gefühlt hat, dass er zum Totschläger wurde, weil es für ihn keine andere Lösung gab, rechtfertigte sich mit dem von ihm seelisch so erlebten Argument, er habe nach dem Kanun, dem albanischen Gewohnheitsrecht, so handeln müssen: In ihrer moralischen Werteordnung stelle die Ehre der Sippe den alles überragenden Wert dar. Schwere und schwerste Ehrverletzungen, insbesondere der Sippenehre, wie die des Schwiegersohnes könnten nur durch Blutvergießen getilgt werden: „Wasche dein beschmutztes Gesicht (mit Blut).“ Als Familienoberhaupt und damit die oberste moralische und juridische Instanz der Sippe habe er für die Sippenehre einzustehen und die Tötung des Ehrverletzers vorzunehmen gehabt.
Die Anangu können sich auf ihre anderen Normen unterliegende Leitkultur berufen, der Albaner jedoch nicht, obwohl er seine Normen genau so zwanghaft erlebt, wie ein Anangu die tradierten Normen seiner Vorfahren!
Die Abgrenzung einer möglicherweise vorliegenden vorsätzlichen oder fahrlässigen Strafbarkeit zur Seite der Schuldlosigkeit hin ist bei der Untersuchung der Strafbarkeit von Kindern, wie wir durch die vom Gesetzgeber vorgegebene unwiderlegliche Unschuldsvermutung gesehen haben, in Normalfall schon allein auf Grund des kindlichen Alters und des damit unterstellten, noch nicht als ausreichend entwickelt angenommenen seelischen Werterlebens mit der Fähigkeit, ohne weiteres zwischen Gut und Böse zu unterscheiden oder die Folgen eigenen Handelns hinlänglich abzuschätzen, möglich und ausschließlich nach diesem Alterskriterium vorzunehmen. Sie bereitet nur dann Probleme, wenn z.B. bei uns ohne genaue Personalpapiere lebende ausländische Jugendliche, Heranwachsende und Erwachsene im Falle ihrer Straffälligkeit, z.B. als großstädtische Straßendealer, behaupten, noch Kinder zu sein. So behauptete in Hamburg ein ca. 40-jähriger Dealer, 12 Jahre alt zu sein. Da muss dann eine Altersbestimmung durch Untersuchung der Handwurzelknochen und des Gebisses vorgenommen werden und wird durch Gerichtsmediziner auch gemacht.

Schon allein auf Grund ihres geringen Alters ist also bei Kindern - bis zu der von dem Gesetzgeber durchaus verschiebbaren Altersgrenze - von Schuldlosigkeit auszugehen. Wenn aber jenseits dieser irgendwo fixierbaren, bei uns zurzeit auf unter 14 Jahre festgelegten Altersgrenze die Strafbarkeit von Jugendlichen, Heranwachsenden und Erwachsenen geprüft werden muss und folglich keine Unschuldsvermutung schon allein auf Grund des kindlichen Alters eingreifen kann, dann ist die Abgrenzung zwischen auf Schuldlosigkeit basierendem Unglück und auf Fahrlässigkeit gegründetem Unrecht zum Tatsächlichen hin vorzunehmen. Sie ist nicht immer leicht zu finden und kann durchaus strittig sein:


In einem kindgerecht angelegten und eingerichteten Kindergarten hatten zwei Erzieherinnen eine 18 Kleinkinder umfassende Spielgruppe beim Spielen auf dem Hofgelände zu beaufsichtigen. Ein Kind war ca. 3 Minuten nicht unter direkter Beobachtung. In dieser Zeit lief es zur Rutsche, kletterte hoch, blieb mit einer Kordel seines Anoraks irgendwo oben hängen und strangulierte sich selber. Die mit anderen Kindern beschäftigten Erzieherinnen sahen das Kind erst nach ca. 3 Minuten an der Rutsche baumeln. Jede Hilfe kam da zu spät.

Unglück oder Unrecht?

Die Amtsrichterin der ersten Instanz warf den Erzieherinnen vor, ihre (permanent bestehende) Aufsichtspflicht verletzt und dadurch den Tod des kleinen Jungen fahrlässig herbeigeführt zu haben. Sie sah aber die Schuld der Erzieherinnen als so gering an, dass sie die verhängte Geldstrafe zur Bewährung aussetzte.

Die Erzieherinnen wollten aber den Strafmakel nicht auf sich sitzen lassen, weil sie die Kinder fürsorglich betreut hätten, und gingen in die Berufung: Zu zweit könne man einfach nicht 18 Kinder auf einem Gelände pausenlos beaufsichtigen.

Nach einem Ortstermin, in dem festgestellt wurde, dass die ganze Anlage kleinkindergeeignet sei, gestand ihnen das Landgericht zu, dass sie die Kinder nicht permanent unter Beobachtung halten müssten und für kurze Momente aus dem Augen lassen dürfen. Und selbst wenn das Gericht zu dem Schluss gekommen wäre, dass die Erzieherinnen ihre Pflicht geringfügig vernachlässigt hätten, hätte es die Erzieherinnen freigesprochen, fügte der Vorsitzende in der Urteilsbegründung hinzu, denn das sich eine Anorakkordel am Gerüst einer Rutsche verfängt, liege außerhalb (zumindest) der (damaligen) Lebenserfahrung.

In der ersten Instanz hatte der türkische Vater den Erzieherinnen noch zugerufen: „Sie brauchen eine Strafe, an die Sie lebenslang denken!“ Jetzt nahm er das Urteil gefasster hin. Sein Anwalt kündigte aber Revision an.

Zum Schluss dieses Abschnittes die versprochenen Fälle zum Knobeln über die Abgrenzung zwischen Vorsätzlichkeit und Fahrlässigkeit bei bewusstem Handeln:
"Kinder ‘kreuzigten' Obdachlosen

dpa Halle - Eigentlich sind sie noch Kinder: Zwei blasse, schmächtige Jungen müssen sich vor einer Jugendstrafkam­mer des Landgerichts Halle/Saale wegen gemeinschaftlichen Mordes verantworten. Sie haben gestanden, einen Obdachlo­sen zu Tode ‘gekreuzigt' zu haben, um seine Sozialhilfe kassieren zu können.

Der ruhige 65jährige Mann war stadtbekannt. Viele Hal­len­­­ser hatte er gefragt: ‘Haste mal `ne Zigarette?' Im Ok­tober 1993 sollen ihn die damals 15 und 16 Jahre alten Angeklagten auf den Boden eines Abrißhauses getrieben, ihn an einen gekreuzten Stützbalken gefesselt und ihm eine Schlinge um den Hals gelegt haben. Immer wieder traten sie laut Anklage auf das Opfer ein, bevor sie es seinem Schicksal überließen. Ihre Beute: 60 Pfennig.

Den Wehrlosen verließen bald darauf die Kräfte, er sackte zusammen und strangulierte sich mit dem eigenen Körpergewicht selbst. Später kehrten die Täter zurück, schnitten die Leiche ab und versteckten sie notdürftig.

Eine Freundin der beiden gab der Polizei den Tipp. Das Mädchen soll als Zeugin in dem Prozess aussagen. Er findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt."
Aufgrund der Fallschilderung ist (mir) nicht klar, wie es zu der Mordanklage kommen konn­te: Mord ist nur vorsätzlich begehbar, indem man den Todes»erfolg« wenigstens billigend in Kauf nimmt. Es ist in der Zeitungsnotiz aber nicht ausreichend dargelegt worden, dass die Jugendlichen den Tod des von ihnen Gekreuzigten billigend in Kauf genommen hätten. Die Schilderung: "Den Wehrlosen verließen bald darauf die Kräfte, er sackte zusammen und strangulierte sich mit dem eigenen Körpergewicht selbst. Später kehrten die Täter zurück, ...", lässt auch - und: in dubio pro reo - die Annahme einer fahrlässigen Tötung zu.
Nach meinem Gefühl gingen die zwei Strichjungen des nachfol­gen­den Falles in ihrem deliktischen Bemühen einen ent­schei­denden Schritt weiter als die beiden jugendlichen Räuber des vorstehenden Falles, der (aufgrund der fast immer verkürzten Darstellung in der Tagespresse) eher als ein in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Körperverletzung begangener Raub mit Todesfolge denn als ein Mord gesehen werden könnte; aber wie gesagt: es fehlt bei Zeitungsmeldungen oft die Darstellung der deliktentscheidenden näheren Umstände.

Doch nun zu dem zweiten Fall:


Zwei Strichjungen S und J wurden von einem reichen "Homo" an­gemie­tet und zur intensiveren Freizeitgestaltung von ihm in seine Woh­nung mitgenommen. Dort verabredeten S und J, ihr Opfer O zur Her­ausgabe von in der Wohnung vermutetem Bargeld zu zwingen. Sie über­wältigten O und fesselten ihn. O war aber nicht sehr gesprä­chig. Darum "spielten" S und J einmal ganz anders an O herum: Sie legten O einen Gürtel um den Hals, der sich hinten kreuzte, und zogen jeder an einem Ende in entge­gen­gesetzter Richtung zu. Beim Strangulieren versuchten sie, sorgsam darauf zu achten, dass O nicht zu blau anlaufe, denn sie wollten ja von ihm noch das Geld­versteck erfahren. Dazu mussten sie seine Tötung unbedingt vermei­den. Wegen der Unacht­samkeit von S und J überlebte O diese in­ten­sive Befragung aber nicht.
Ähnlich stellte sich das strafjuristische Problem im Lederriemenfall, in dem T seinen Kumpel K aufsucht, dem er ein paar Wertsachen abnehmen will. Er hat zwar einen Lederriemen mit, will den T aber auf keinen Fall ermorden, höchstens nach Sachlag ein bisschen weniger oder mehr strangulieren. Darum versucht er in der Nacht, K durch einen Schlag zu betäuben. Weil der Schlag nicht fest genug war, wacht der geschlafen habende K auf und es entspinnt sich ein Kampf, in dessen Verlauf T dem K den Lederriemen um den Hals legt und - wie er glaubt: dosiert – zuzieht, dass den K zwar die Kräfte verlassen sollen, er aber am Leben bleibt. Als K nicht mehr kann, lockert T sofort die Schlinge und macht bei K Wiederbelebungsversuche, weil er den K auf keinen Fall hatte töten wollen.

Das Problem lautet: Handelt vorsätzlich, wem der Erfolg - den er zwar für möglich hält aber dennoch durch eigene Achtsamkeit glaubt ausschließen zu können - höchst unerwünscht ist?

Teilweise wird eine vorsätzliche Tatbegehung hinsichtlich der Tö­tung verneint und nur eine gefährliche Körperverletzung mit Todes­folge angenommen, teilweise wird aber auch eine vorsätzliche Tö­tung bejaht. Es wurden solche und ähnliche Fälle eine Reihe »Theorie«-Grup­pen zur Abgrenzung der (mit "dolus eventualis" / Eventualvorsatz begangenen) Vorsätzlichkeit von der bewussten Fahrlässigkeit ge­bil­det:


  • Die Vermeidungswillen"theorie" sieht in den Fällen, in denen der oder die Täter mit Vermeidungswillen handeln - bei den Strichjungen: weil das tote Opfer nicht mehr das Geldversteck verraten könnte - vorsätzliches Handeln bezüglich der Tötung als nicht gegeben und nimmt stattdessen fahrlässige Tötung an.

  • Zu dem gleichen Ergebnis kommt die Gleichgültigkeits"theorie", da der oder die Täter dem Erfolgseintritt nicht gleichgültig gegenüber stand, sondern, im Gegenteil, ihn auf keinen Fall wollten.

Alle anderen "Theorien" bejahen eine vorsätzliche Tötung:

  • die Möglichkeitstheorie, da der oder die Täter die Möglichkeit des Todes ihres Opfers erkannt hatten,

  • desgleichen die davon nur graduell unterscheidbare Wahrscheinlichkeits"theorie", weil der oder die Täter die Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Todes durchaus erkannt und ihr Verhalten darauf einzustellen versucht hatten,

  • die Risiko"theorie", da der oder die Täter trotz des von ihnen erkannten und nicht unwahrscheinlichen Risikos, dass das Opfer sterben könnte, gehandelt haben

  • die Ernstnahme"theorie", weil der oder die Täter das Rechtsgut Leben des Opfers nicht ernst genommen haben und die

  • Billigungs"theorie", weil der oder die Täter den Tod des Opfers billigend in Kauf genommen haben. Der BGH formulierte in BGHSt 7, 363 ff.: „Bedingter Vorsatz kann auch dann gegeben sein, wenn dem Täter der Eintritt des Erfolges unerwünscht ist. Im Rechtssinne billigt er diesen Erfolg trotzdem, wenn er, um des erstrebten Zieles willen, notfalls ... sich auch damit abfindet, dass seine Handlung den an sich unerwünschten Erfolg herbeiführt ....“

Für uns soll feststehen: Die Strichjungen S und J hatten hinsichtlich der Tötung wenig­stens mögliches Tatbewusstsein, auch wenn sie mit Vermeidungswillen handelten. Obgleich sie sich den Erfolg als konkret möglich vorstellten, verzichteten sie nicht auf ihre das Opfer konkret gefährdende Vorgehensweise. Sie wechselten nicht zu einer etwas weniger intensiven, das Leben des Opfers schonenden Form der Befragung über. Kennt jedoch ein Täter die konkrete Möglichkeit einer Tatbestandsverwirklichung und handelt er trotz­dem, so handelt er mit "dolus eventualis" vorsätzlich, denn dann ist neben dem aktuellen unsicheren Tatbewusstsein auch das Vorlie­gen des aktuellen Unrechtsbewusstseins bezüglich des Eingriffs in das Rechtsgut Leben ihres Opfers zu bejahen. Da ist es dann völlig unerheblich, ob dem Täter der letztlich eingetretene Er­folg unerwünscht gewesen war.


Ganz offensichtlich nicht mehr mit Vermeidungswillen handelte ein in Thailand lebender 54-jähriger deutscher Seemann, der laut WELT vom 19.10.04 ganz bewusst Hunderte von Frauen mit HIV infiziert haben soll.

Der festgenommene frühere Seemann gab zu, dass er sich vor drei Jahren in Thailand mit HIV infiziert haben könnte. Einen HIV-Test hat er aber nie machen lassen. Seither habe er mit Hunderten Frauen geschlafen, ohne dabei Kondome zu benutzen. Seine Lebensgefährtin hat ausgesagt, dass er mit mindestens 90 Frauen geschlafen habe. Wegen seines sexuellen Verhaltens können die Behörden den 54jährigen nicht belangen. In Thailand steht eine absichtliche Übertragung des Virus nicht unter Strafe.


Kein deutsches Gericht würde einen solchen Täter mit einem Fahrlässigkeitsdelikt davon kommen lassen, da er die Infizierung der Frauen billigend in Kauf genommen hat. Und der Hinweis, er habe seine mögliche Erkrankung nicht genau gekannt, da er – ganz bewusst - nie einen Aids-Test habe erstellen lassen, kann ihn dann auch nicht entlasten.

2.3.2 Anwendungsfälle und Besprechung

Fall 58


„Zehnjähriger ersticht Frau

Madrid 28.12. (dpa). Ein Zehnjähriger hat in Badalona bei Bar­ce­lo­na eine 24 Jahre alte Frau erstochen. Das Opfer war wäh­rend eines Spazierganges mit zwei Freundinnen von acht Jungen im Alter von zehn bis zwölf Jahren umringt worden, die einen "duro" - eine Fünf­-Peseten-Münze (knapp zehn Pfennige) - von ihnen verlangten. Als die drei Frauen die Forderung ignorier­ten und lachend weiter­gingen, stach einer der Jungen mit einem Messer zu.“
Lösungsskizze [nach deutschem Strafrecht beurteilt]

(I) Strafbarkeit des Zehnjährigen Z

Z ersticht F.

(1) Zu prüfen ist ein Verbrechen gemäß § 212 Totschlag

(a) UTB (+). Der UTB des § 212 ist gegeben.

(b) RF (-). Das Unrecht ist nicht durch Rechtfertigungsgründe aufgehoben.

(c) STB

Z ist zehn Jahre alt. Gemäß § 19 würde deshalb für Z nach deutschem Recht unwiderleg­lich vermutet, dass er noch schuld­unfähig sei. Wegen dieser ge­setzlich angeordneten unwiderleglichen Vermutung ist davon aus­zugehen, dass Z schuldlos gehandelt hat. Eine von Z begange­ne Straftat ist daher zu verneinen.


Wiederholende Anmerkung zu § 19:

Ein Täter muss anerkanntermaßen voll strafmündig sein, bevor "mit der Keule des Strafrechts" auf ihn losgegangen werden darf und eine möglicherweise schuldhaft begangene Straftat abgeurteilt werden könnte. Bei Ju­gendlichen - und bei jugendtypischen Verfehlungen Heranwachsen­der - wird statt der Keule des StGB das wesentlich geringere Drohpotential des JGG eingesetzt. In einem Strafrechtskommentar heißt es zu dieser Bestimmung83: "Bei Kindern wird vom Gesetz unwi­der­leglich vermutet, dass sie infolge ihrer Unreife nicht die Ein­sichts- und Steuerungsfähigkeit besitzen, die Voraussetzung straf­rechtlicher Schuld ist. Eine Prüfung dieser Fähigkeit ist also von vornherein ausgeschlossen, auch wenn das Kind im konkreten Fall die zur Einsicht und Steuerung erforderliche Reife vielleicht schon erreicht haben sollte." Weil das durchaus möglich ist und die­se Vermutung zu Recht bestehen könnte, liegt im Fall des § 19 keine Fiktion, sondern nur eine als unwiderleg­lich angeordnete Vermutung vor. Von z.B. einem frühreifen 13-Jährigen, der viel­leicht über den Bewusstseinsstand eines normal entwickelten 15-Jäh­ri­gen verfügt und der darum das Unrecht seiner Tat sehr wohl hätte einsehen können, wird wegen der Unwiderlegbarkeit der Vermutung trotz seiner für den Zeitpunkt der Tat zu bejahenden Frühreife kein eventuell eine Straf­barkeit ermöglichendes psy­cho­logisches Gutachten angefertigt. Bei einer Fiktion hingegen wer­den Tatsachen bewusst auf den Kopf gestellt, und es wird fiktiv etwas Wahrheits- oder so­gar Realitätswidriges angenommen. Bei einer widerleglichen Ver­mutung hingegen, um auch den dritten in diesen Zusammenhang ge­hörenden Begriff noch einmal ins Spiel zu bringen, geht man zu­nächst einmal - u.a. aus Gründen der Beweiserleichterung - von dem Ergebnis der meist gesetzlich geäußerten Vermutung aus. Sollte sich aber herausstellen, dass die jeweilige Vermutung falsch ist - die zunächst geltende Unschuldsvermutung zu Gunsten des Angeklag­ten wird durch Zeugenaussagen oder sogar ein Geständnis widerlegt -, dann urteilen die Richter nach der wahren Sach- und Rechtslage zu Ungunsten oder auch zu Gunsten des Angeklagten:


"Freispruch trotz vier Promille

Alkoholikerin für Trunkenheitsfahrt nicht verantwortlich

tk. Eine 26 Jahre alte Lageristin ist gestern vom Landgericht frei­ge­sprochen worden, obwohl sie im Juni des vergangenen Jah­res völlig betrunken mit ihrem Auto in Schlangenlinien gefah­ren war. Das Gericht hob einen Schuldspruch des Amtsgerichts auf, weil es in der neuen Beweisaufnahme zu der Überzeugung ge­langt war, dass die Angeklagte ihren Rausch nicht vorsätzlich oder fahrlässig her­beigeführt, sondern als Alkoholikerin be­vorstehende Entzugser­schei­­nun­gen mit drei großen Gläsern Schnaps zwanghaft abgewendet hatte.

Schon der Fall ist sehr ungewöhnlich. Die Angeklagte ist fast taub und erheblich sprachbehindert. Etwa seit 1988, so hat das Ge­richt festgestellt, trinkt sie krankhaft, teils we­gen der Behinde­rung, teils wegen anderer schwieriger Lebensum­stände. Als sie am frühen Morgen des 3. Juni 1991 von einem Busfahrer, der ihr ein­fach den Zündschlüssel abnahm, aus dem Verkehr gezogen wurde, hat­te sie, wie die Untersuchung zeigte, etwa vier Promille Alkohol im Blut. Dieser ungewöhnlich hohe Wert schloss ihre Schuldfähigkeit für das begangene Strafdelikt der Trunkenheitsfahrt aus. Doch in erster Instanz verurteilte das Amtsgericht - wie in solchen Fällen gängige Praxis - wegen Vollrausches.

Der einschlägige Paragraph 323 a steht im Strafgesetzbuch, um Tä­ter bestrafen zu können, die ihre Vergehen betrunken be­gan­gen haben, zum Zeitpunkt der Tat wegen ihres Rausches nicht mehr schuldfähig waren und deshalb theoretisch freige­sprochen werden müssten. Der so genannte Auffang-Straftatbestand soll auch verhin­dern, dass sich jemand betrinkt, um straffrei Gesetze verletzen zu können.

Im Fall der jungen Frau legte ein Gutachter vom Zentrum der Ge­richtsmedizin der Frankfurter Universität jedoch dar, dass die Angeklagte bereits zu dem Zeitpunkt, als sie nach dem Auf­stehen drei Gläser Branntwein kippte, nicht schuldfähig war. Es gehöre zur Symptomatik der Alkoholkrankheit, die Kontrolle über den Konsum verloren zu haben und drohende Entzugserscheinungen mit Hilfe von Alkohol zu bekämpfen. Die Angeklagte hatte am Abend vor der Autofahrt zum Arbeitsplatz zwischen einem und zwei Litern Schnaps zu sich genommen. Am Morgen, als sie zitternd und ver­schwitzt erwachte, weil der Al­koholspiegel im Lauf der Nacht ge­sunken war, füllte sie mit Branntwein nach. Der ungewöhnlich hohe Promillewert ergibt sich aus dem Rest­alkohol und dem Nachtrunk. Offensichtlich verfügt die Angeklagte über eine hohe individuelle Alkoholto­le­ranz, denn sie ist zwar nicht unauffällig, aber doch unfall­frei einige Kilometer von ihrer Wohnung in Richtung Arbeits­platz gefahren - mit einer Alkoholkonzentration, die andere Men­schen töten kann.

Die 11. Strafkammer sprach die Angeklagte wegen Schuldunfä­hig­keit sowohl beim Fahren als auch beim Betrinken frei und verhängte lediglich eine Führerscheinsperre von drei Monaten. Die Entschei­dung mag dem Gericht dadurch erleichtert worden sein, dass die Frau inzwischen eine Langzeittherapie hinter sich gebracht hat und nach ärztlicher Auskunft nachweislich keinen Alkohol mehr trinkt."
"Hausfrau verurteilt

dpa/ap Frankfurt - Zu fünf Jahren Haft wurde eine 35jährige Hausfrau aus Frankfurt verurteilt. Sie hatte ihre Mutter im Vollrausch (2,9 Promille) aus dem Fenster geworfen. Bei dem Sturz wurde die 59jährige tödlich verletzt. Zwei Monate zuvor stürzte sich der Ex-Liebhaber (32) der Frau aus dem Fenster, weil sie ihn (mit drei Promille im Blut) geschlagen hatte. Er überlebte schwer verletzt."


„Dreieinhalb Jahre Haft für Mutter

Berlin – Eine Krankenschwester (42) ist vom Berliner Landgericht wegen Tötung ihres Babys zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt worden. Sie hatte ihren 13 Monate alten Sohn im Vollrausch erwürgt. (dpa)“ HH A 06.06.02
Und der letzte Fall zur Frage der im Schuldtatbestand zu prüfenden Schuldfähigkeit, der eine dif­ferenzierte Betrachtung erforderlich macht und zeigt, dass immer auf den Zeitpunkt der Tatbegehung abgestellt werden muss:
„»Sperrt mich gut ein«

Der 14jährige Schüler Marco aus Leipzig hat zwei Jungen sexu­ell missbraucht und umgebracht. Er ist Deutschlands jüngster Mörder, verurteilt zu siebeneinhalb Jahren Haft - Schlusspunkt einer mißglückten Kindheit.

Marco wurde als zweites von drei Kindern geboren. Er ist sehr ag­gressiv. In der Schule wird er bei Lernanforderungen trotzig und gewalttätig. Aufgrund seines Verhaltens muss er nach einem Jahr Grund­schule in eine Sonderschule umgeschult werden. Die Eltern wol­len ihn nicht zu Hause behalten und geben den 9jäh­ri­gen in ein Kin­derheim. Seit seinem 10. Lebensjahr wird er an­geblich von älte­ren Jungen sexuell missbraucht. Drei- bis viermal die Woche seien sie über ihn hergefallen, mal zu meh­reren, manchmal einzeln. Schließlich sei er eine festere sexu­elle Beziehung zu einem der Jungen eingegangen. Nach dreiein­halb Jahren holen ihn seine Eltern gegen den Rat der Erzie­her nach Hause. Doch Marco geht auf seine Lehrer los, teilweise sogar mit einem Messer, verprügelt die Mit­schüler, streunt. Schließ­lich landet er wie­­der in einem Heim. Im­mer wieder läuft er davon, wird tagelang ge­sucht, ist 22mal zur Fahndung aus­ge­schrie­ben.

Der Sachverständige sieht einen klaren Zusammenhang zwischen dem, was Marco im Heim erlitten, und dem, was er später ande­ren angetan hat. Er habe Handlungsmuster wiederholt. Marco: ’Ich hätte nie an­de­re Kinder vergewaltigt, wenn mir das nicht selbst passiert wä­re.’

Mit 13 hatte Marco das erste Mal getötet - den 10jährigen Nach­­bars­­jungen. Es hatte mit Versteckspielen begonnen, dann bedrohte Marco den Kleineren mit einem Messer, missbrauchte ihn. Schließlich brach­te er ihn um. Noch Monate später stellte er sich immer wieder vor, wie er den Jungen würgte und erdros­selte - und befriedigte sich dabei selbst.

Im Februar dieses Jahres, knapp ein Jahr nach dem Tod des er­sten Jungen, sprach Marco einen anderen Nachbarsjungen auf dem Spiel­platz an. Er überredete ihn, mit zu einem anderen Platz zu kommen. In einem Schuppen zwang er den Jungen, sich auszu­ziehen und missbrauchte ihn. Dann würgte er sein Opfer, bis es ohnmächtig wurde. Er stopfte dem Kind einen Pullover in den Mund und hielt ihm die Nase zu, bis es nicht mehr atmete.

Marco zog die Jacke des Jungen an und ging heim. Am nächsten Tag schickte ihn die Mutter los, seine eigene Jacke zu suchen. Noch einmal ging der 14jährige zum Tatort. Wenig später wurde er fest­genommen. Marcos Mutter hatte die Polizei alarmiert, nachdem sie zwischenzeitlich in der Lokalzeitung eine Be­schrei­bung der Jacke des vermißten Nachbarsjungen gelesen hat­te.

Zur Verhandlung erstellte psychologische Gutachten bescheini­gen Marco schwere seelische Störungen, eine abnorme Persön­lich­keit, Sa­­dismus - und damit verminderte Schuldfähigkeit.

Der ’Spielplatzmörder’ wird wegen der zweiten Tat zu sieben Jahren und sechs Monaten wegen Mordes und sofortiger Einwei­sung in eine geschlossene psychiatrische Anstalt verurteilt. Marco: ’Sperrt mich gut ein, ich kann für mich die Hand nicht ins Feuer legen.’"
Der wegen der immer dringlicher werdenden Problematik des sexuellen Missbrauchs von Kindern ausführlicher dargestellte, allerdings untypische, einer wie immer einfühlsamen Gerichtsreportage des STERN entnommene und hier nacherzählte Fall zeigt, dass der kindliche Täter wegen der unwiderleglichen gesetzlichen Vermutung des § 19 für seinen ersten Mord nicht zur Rechenschaft gezogen werden konnte. Erst nach Erreichen der eingeschränkten Strafmündigkeit konnte gegen den nunmehr jugendlichen Täter ein Verfahren eröffnet werden, in dem trotz des geringen Alters des „Gerade-nicht-mehr-Kindes“ und der festgestellten eingeschränkten Schuldfähigkeit der gesetzliche Rahmen von - bislang - bis zu 10 Jahren fast gänzlich ausgeschöpft worden ist.

2.3.3 Prüfung des Schuldtatbestandes bei "kombinierten"/erfolgsqualifizierten Delikten

In diesem Lehrbuch, das hauptsächlich Tötungsdelikte behandelt, muss als Hauptbeispiel für ein solcherart kombiniertes/erfolgsqualifiziertes Delikt die Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 226 angesprochen werden. Das Delikt ist dadurch gekennzeichnet, dass das Opfer durch die Verwirklichung des Grunddeliktes einer vorsätzlich begangenen »einfachen« Körperverletzung, d.h. insbesondere ohne Waffeneinsatz, einer vorsätzlich begangenen Körperverletzung also, die jedoch (angeblich) nicht den Tod des Opfers bezweckt hatte - denn sonst wäre über ein zumindest versuchtes Tötungsdelikt zu urteilen -, durch diesen »einfachen« körperlichen Angriff (ohne insbesondere einen Waffeneinsatz, was bei einem ausgebildeten Boxer auch dessen bloße Faust sein kann!) gleichwohl zu Tode gekommen ist. Das Besondere gegenüber einer Qualifizierung des Grunddeliktes der Körperverletzung z.B. mittels bewussten Waffeneinsatzes besteht darin, dass die Tat zwar vorsätzlich begangen wurde, die Folge der Tat aber (angeblich) »nur« fahrlässig herbeigeführt worden sei. Die Feststellung des Todes des Opfers gehört als vom Täter verwirklichtes Tatbestandsmerkmal mit in den Unrechtstatbestand. Ob aber der Tod als Folge der Körperverletzung nur fahrlässig verursacht worden ist, ist nach teleologischer Systematik im Schuldtatbestand zu prüfen. Wir halten aber fest: Auch wenn die Folge der Rechtsgutsverletzung der Körperintegrität »nur« fahrlässig herbeigeführt worden ist, bleibt das Delikt gleichwohl ein vorsätzlich begangenes Delikt, denn das StGB definiert in § 11 II, dass solche kombinierten Delikte als vorsätzlich begangene Tat anzusehen seien:


"Vorsätzlich im Sinne dieses Gesetzes ist eine Tat auch dann, wenn sie einen gesetzlichen Tatbestand verwirklicht, der hinsichtlich der Handlung Vorsatz voraussetzt, hinsichtlich einer dadurch verursachten besonderen Folge jedoch Fahrlässigkeit ausreichen lässt."
Und gleich mit anzusprechen ist § 18 Schwere Strafe bei besonderen Tatfolgen, der bestimmt:
"Knüpft das Gesetz an eine besondere Folge der Tat eine schwerere Strafe, so trifft sie den Täter oder den Teilnehmer nur, wenn ihm hinsichtlich dieser Folge wenigstens Fahrlässigkeit zur Last fällt."
Neben den bisher behandelten Delikten gibt es also Straftatbestände, "bei denen ein Grunddelikt im Unrechtstatbestand durch einen schweren Erfolg qualifiziert wird. Hierbei werden Vorsätzlichkeit und Fahrlässigkeit als Schuldstufen derart kombiniert, daß sich die Vorsätzlichkeit (notwendig) auf den früheren, die Fahrlässigkeit auf den späteren, einen besonderen Taterfolg umfassenden Abschnitt des Tatverlaufs bezieht. 'Erfolgsqualifikation' besagt hierbei, daß – vom Grunddelikt aus gesehen – der besondere Erfolg zur schärferen Strafdrohung führt."84

Bei diesen sogenannten kombinierten oder erfolgsqualifizierten Delikten ist darum in deren Schuldtatbestand nach Anlage des Delikts Vorsätzlichkeit hinsichtlich des Täterhandelns bezüglich des Grunddeliktes und Fahrlässigkeit hinsichtlich des durch das Täterhandeln bewirkten schweren Erfolges, des Todes des Opfers, zu prüfen.

Der Fall, der das deutlich machen soll:
Eine Frau von 63 Kilo Gewicht fängt Streit mit ihrem Mann an, der sie schon öfters geschlagen hatte. Der setzt sich mit seinen 128 Kilo Gewicht auf seine Frau drauf. Er behauptet zwar, er sei lediglich unglücklich auf seine Frau gestürzt, doch das Gericht glaubte nicht an den vom Ehemann behaupteten Unglücksfall, denn laut Gutachter muss er mindestens zwei Minuten auf der 63- Kilogramm leichten Frau gesessen(?) haben, damit die von seinem Gewicht auf ihrem Körper 18 Rippenbrüche erleiden konnte. Die Frau starb vier Wochen nach der Ausein­andersetzung mit ihrem Mann an einer Blutvergiftung und an Entzündungen, die auf die Rippenbrüche zurückgingen. Das Krankenhaus übersah die meisten Brüche und behandelte die Frau nur wenige Tage, sodass das Krankenhaus aus dem Behandlungsfehler heraus eine leichte Mitschuld treffe. Doch ursächlich für den Tod durch die Quetschfolgen sei das Verhalten des Ehemannes gewesen.

Es sei vor allem die Pflicht des Angeklagten gewesen, seiner an den unerkannten Rippenbrüchen leidenden Frau zu helfen, betonte der Richter. Der Angeklagte habe gewusst, dass seine verletzte Frau sich geschämt und deswegen keine weitere Hilfe in Anspruch genommen habe. Er aber habe keinerlei Mitgefühl mit seiner Frau gezeigt. (WELT ONLINE 07.02.08)


Lösung:
Der schwergewichtige Ehemann M setzt sich mit seinen 128 Kilo so auf den Brustkorb seiner mit 63 Kilo jedenfalls im Vergleich zu ihm sehr zierlichen Frau F, dass der Ehefrau 18 Rippen gebrochen werden und sie vier Wochen nach dieser Auseinandersetzung an Entzündungen stirbt, die auf die Rippenbrüche zurückzuführen sind.

(1) Zu prüfen ist Totschlag gemäß § 212.

(a) UTB: M setzte sich breitarschig so auf F, dass der 18 Rippen gebrochen werden. An den Folgen der Misshandlung stirbt sie vier Wochen später.

Durch Gutachten ist erwiesen, dass kein Unglücksfall in der von M behaupteten Art eines Sturzes auf seine Frau F vorgelegen haben kann, denn um F diese 18 Rippenbrüche zuzufügen, muss M mindestens zwei Minuten auf ihr Platz genommen haben. Eine Handlung als gewolltes Tun lag vor, als sich M ganz bewusst auf F gesetzt (und vielleicht auf ihr noch rumgewippt) hatte. F ist durch die Folgen der ihr zugefügten Verletzung (vier Wochen später) zu Tode gekommen. Der Erfolg hinsichtlich des Todes der F ist dem Handeln des M mithin objektiv zuzurechnen.

Zwischenergebnis: der UTB des § 212 ist erfüllt.

(b) Unrechtsausschluss durch RF

Die jedenfalls im Verhältnis zu ihrem Mann leichtgewichtige F hatte mit dem schwergewichtigen M Streit angefangen, in dessen Verlauf M sich auf F setzte und so jegliche möglicherweise geplante körperliche Aktion der F unterband.

Zu prüfen ist ein Unrechtsausschluss gemäß § 32 Notwehr.

Damit das Handeln des M als gerechtfertigt angesehen werden könnte, hätte seine Handlung durch Notwehr geboten sein müssen.

Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff (in diesem Falle) von sich abzuwenden. Selbst wenn unterstellt würde, dass die F den M als im Vergleich zu ihrem Mann nur "halbe Portion" nicht nur verbal, sondern tatsächlich körperlich tätlich angegriffen hätte oder hätte angreifen wollen, so wäre es zur Abwendung dieser Gefahr für die körperliche Integrität des M nicht notwendig gewesen, dass sich der M zur Abwehr des – nur unterstellten – Angriffs mit seinem ganzen Gewicht auf F gesetzt hätte. Bei diesen so unterschiedlichen körperlichen Voraussetzungen ist nicht ersichtlich, dass M sich in einer Notlage befunden hätte. Aber selbst wenn das zunächst der Fall gewesen wäre, wäre die Grenze einer verhältnismäßigen Notwehrhandlung in dieser Situation durch das Verhalten des M überschritten. M hätte sich die F bei einem körperlichen Angriff anders von seinem doppelt so schweren Leib halten können. Diese Verteidigungshandlung des schwergewichtigen M gegenüber der ihm körperlich hoffnungslos unterlegenen F überschritt somit die Grenzen des zur Abwehr eines gedanklich unterstellten Angriffs erforderlichen Handelns.

Notwehr greift nicht als RF-Grund ein. Andere RF-Gründe sind nicht ersichtlich.

Zwischenergebnis: Das Unrecht der Tat ist nicht durch Notwehr ausgeschlossen.

(c) STB: Von der Schuldfähigkeit des M ist problemlos auszugehen.

Auf der Stufe der subjektiven Zurechnung ist Vorsätzlichkeit hinsichtlich einer Tötungsabsicht zu prüfen.

Um in dieser Situation durch ein Platznehmen auf dem Opfer eine vorsätzliche Tötung herbeizuführen, hätte M sich mit seinem breiten Hintern so auf das Gesicht der F setzen müssen, dass die nicht mehr hätte atmen können. Das hat M nicht getan. M hat die F gar nicht als satisfaktionsfähig angesehen. Er hat sie vermutlich nur demütigen wollen. Ihm ist es nicht um die Tötung seiner Frau gegangen, sondern um eine Bestrafung, die ihm Spaß machte. Dass seine spezielle Vorgehensweise der F möglicherweise Rippen brechen würde, was wiederum zu ihrem Tod führen könnte, ist ihm nicht in den Sinn gekommen. Deswegen hat M hinsichtlich der Tötung der F nicht einmal über unsicheres Tatbewusstsein und somit auch über kein Unrechtsbewusstsein verfügt.

Ergebnis: Die Tötung nicht ist vorsätzlich herbeigeführt worden. Eine Straftat gemäß § 212 entfällt somit.


(2) Da F an den Folgen der ihr bewusst zugefügten Misshandlung des M gestorben ist, ohne dass ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt vorliegt – auch ein wenigstens unsicheres Tatbewusstsein hinsichtlich einer Tötungshandlung war nicht ersichtlich, auf jeden Fall nicht nachzuweisen -, ist nunmehr eine Straftat gemäß § 226 KV mit Todesfolge zu prüfen.

(a) UTB: Der UTB setzt eine körperliche Misshandlung voraus. Die ist dadurch gegeben, dass sich der doppelt so schwere M mit seinen mehr als zweieinhalb Zentnern Gewicht so auf F setzte, dass der F 18 Rippen gebrochen wurden. Das Grunddelikt des § 223 ist somit gegeben.

(Um der F 18 Rippen zu brechen, wird M sich vermutlich nicht nur einfach auf F gesetzt, sondern mit seinem Gewicht auch noch auf F herumgewippt haben oder er hat sich auf sie bewusst herunter plumpsen lassen, denn mit auf dem Boden abgestützten Beinen ist dieses Verletzungsbild selbst bei dem Gewicht des M nicht unbedingt hervorzurufen, wenn er sich vorsichtig auf den unter ihm liegenden Körper gesetzt hätte.)

Zusätzlich zu dem Unrechtsmerkmal des Grunddeliktes des § 223 einer das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigenden üblen, unangemessenen Behandlung wird bei § 226 das Unrechtsmerkmal einer durch die körperliche Misshandlung hervorgerufenen Todesfolge gefordert. Das ist bei F so geschehen, denn an den Folgen der körperlichen Misshandlung ist F vier Wochen später gestorben. In dem Tod der F realisierte sich die von dem Handeln des M ausgehende Gefahr für das Leben der F. Die Todesursache der durch die Rippenbrüche hervorgerufenen Entzündung ist dem Handeln des M somit objektiv zuzurechnen.

Zwischenergebnis: Das Unrecht einer Tat gemäß § 226 ist gegeben.

(b) Unrechtsausschluss durch RF: Vgl. das Gesagte zur Prüfung des § 212

Zwischenergebnis: Das Unrecht einer KV mit Todesfolge ist gegeben.

(c) STB: Die Schuldfähigkeit des M war bei der Prüfung des Vorliegens des § 212 schon bejaht worden; ebenfalls die Vorsätzlichkeit seines Handelns durch das bewusste Setzen auf den viel zierlicheren Frauenkörper.

Die Annahme des Vorliegens einer Straftat gemäß § 226 setzt im Schuld-TB nicht nur Vorsätzlichkeit hinsichtlich der begangenen KV voraus, sondern auch FL hinsichtlich der Todesfolge. M muss fahrlässig eine Ursache für den Tod der F gesetzt haben. Hinsichtlich des Tötungserfolges kann nicht angenommen wer­den, dass M mit aktuellem Tat- und Unrechtsbewusstsein gehan­delt hat­te. Damit scheidet Vorsätzlichkeit aus. Aber er hätte sich den­ken und somit erkennen können, dass er seiner Frau mit seinem erheblichen Gewicht Rippen brechen könne, was zu deren Tod – z.B. durch das Aufspießen der Lunge durch eine gebrochene Rippe – führen kann. Die positive Seite der FL, die Potentialität der Erlangung des Tatbewusstseins hinsichtlich eines tödlichen Ausgangs seiner sein Opfer demütigenden Bestrafungsaktion war ihm möglich und ist somit zu bejahen. Damit sind Vorsätzlichkeit bezüglich der KV und Fahrlässigkeit bezüglich der Todesfolge als gegeben zu bejahen.

Zwischenergebnis: Dadurch, dass die KV der F durch den M vorsätzlich begangen wurde, ist der Schuldtatbestand des § 226 erfüllt.

(d) Ausschluss der Rechtsschuld: Entschuldigungsgründe sind nicht gegeben. Die Schuld ist nicht ausgeschlossen.

Ergebnis und Endergebnis: M hat sich einer KV mit Todesfolge gemäß § 226 strafbar gemacht.


(Er ist dafür zu fünf Jahren Haft verurteilt worden.)



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