Revolution für die Freiheit



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Santa Ursula


Das Auto hupte vor einer großen Toreinfahrt, wir rollten in einen weiten Hof. Ich wurde ausgeladen, durchsucht, in ein großes Buch eingetragen. Zwei Wachen führten mich in meine Behausung. Sie war schon belegt. Ein schöner, junger Mann, Ende Zwanzig, unverkennbar südlicher Typ, stand mir gegenüber und sprach mich zuerst spanisch an; doch als ich mich vorstellte, stammelte er einige deutsche Brocken. Mein Zellengenosse behauptete, Advokat zu sein, die Gründe seiner Verhaftung ahnte er nur. Angeblich hätte er sich abfällig über die «Frente Popular» geäußert, was er energisch bestritt. Nach unseren Erfahrungen klang seine Geschichte durchaus glaubhaft.

Unsere Zelle war die ehemalige Klosterküche. Mein aus Valencia stammender Advokat belehrte mich, daß das Geheimgefängnis der Kommunisten das frühere Nonnenkloster «Santa Ursula» sei. Nach seiner Schätzung - er saß seit zwei Wochen - beherbergte das Kloster etwa zweihundertfünfzig bis dreihundert Gefangene. Die Küche zu ebener Erde war sehr geräumig, in Mannshöhe befand sich ein vergittertes Fenster, durch das der Lärm der Stadt hereindrang. Das Kloster mußte in einem belebten Stadtteil liegen, deutlich hörte man die Fahrgeräusche und das Klingeln von Straßenbahnen, das Rufen der Straßenverkäufer, selbst Gespräche der Passanten. Außer einem Spülbecken enthielt die Küche nichts - keine Decke, kein Stroh, keinen Stuhl, keine Pritsche. Die Wasserleitung war verlötet, der Fußboden bestand aus schwarz-weißen Fliesen. Weder Glas noch Eßgeschirr war vorhanden; beim Liegen benutzten wir unsere Koffer als Kopfkissen. Das Essen war besser als in Barcelona. Mittags und abends gab es Reis oder Bohnen mit Tomatensoße, alle drei Tage einen Bissen Fleisch, manchmal Früchte und ein Viertel Wein. Zum Frühstück gab es nichts; auch hier konnte nur, wer Geld besaß, sich eine Tasse Kaffee mit Brötchen verschaffen. Der Spanier hatte sein Geld schon längst aufgebraucht, genau wie ich meins.

Zum Zeitvertreib gaben wir uns gegenseitig Sprachstunden oder spielten Schach. Der schwarz-weiße Steinboden war unser Schachbrett, aus dem weichen Brot kneteten wir primitive Figuren. Ins Spiel vertieft, wanderten wir stundenlang kreuz und quer durch die Küche. Eine quälende Plage waren die zahllosen Ameisen, die uns nachts überfielen und den Schlaf raubten. Unserem Küchenfenster gegenüber befand sich ein hoher Stadtturm, von dem wir nur die Mauer erblicken konnten. Vom Turm her hörten wir ununterbrochen Gesänge und wilde Rufe. Wenn man sich auf den Boden legte, vermochte man die Turmbrüstung und dort oben eine Menge sich hin und her bewegender Gestalten zu sehen. Mein Gefährte klärte mich auf, in dem Turm seien über hundert anarchistische Milizionäre eingesperrt, Teil einer Kolonne, die an der Front rebelliert hätte.

Mein ausgesprochenes Pech war, auch in Santa Ursula in einer Zelle zu sitzen, vor der der Wachraum lag. Gelegentlich bestraften uns die Wachen für Störungen mit Fußtritten. Morgens um sieben Uhr wurden wir zum Waschen in einen großen Raum geführt. Von Clara wußte ich nichts. War sie hier oder in einem anderen Gefängnis? Ich hatte bereits vernommen, daß in Santa Ursula eine Frauenabteilung bestehe.

Am vierten Morgen öffnete sich die Tür, ein Gefangener unter Aufsicht eines Wachsoldaten brachte mir eine große Tasse Milchkaffee mit Brot. Auf meine erstaunte Frage flüsterte er: «Von Ihrer Frau.» So wußte ich wenigstens, daß Clara auch hier war. Wir teilten das Frühstück, nachdem ich den Widerstand meines Kameraden gebrochen hatte. Als der Kaffeeträger am anderen Morgen wiederkam, fragte ich ihn sofort: «Wo ist meine Frau? Woher hat sie das Geld?» «Sie befindet sich im zweiten Stock in der Frauenabteilung. Das Geld für den Kaffee hat sie mir gepumpt, ich bin Tessiner. Bald werden Sie in die Nähe Ihrer Frau kommen.» Das waren tröstliche Nachrichten, sie erhellten das öde Dasein.

Während der ersten Tage, die ich mit dem Spanier zusammen in der Klosterküche verlebte, wurde keiner von uns zum Verhör geholt, ebensowenig ließ man uns an die frische Luft wie in Barcelona. Wir stellten tausend Vermutungen über unser Schicksal an, unterhielten uns über den Verlauf des Krieges. Mein Zellengenosse vermied es geschickt, seine politische Haltung erkennen zu lassen, doch spürte ich heraus, daß er gläubiger Katholik war. Rasch hatten wir uns aufeinander eingespielt, vertrugen uns gut, keiner störte den anderen. In der zehnten oder elften Nacht drangen vier bewaffnete Agenten in die Zelle und versuchten, den Spanier abzuholen. Er zitterte am ganzen Körper, begann zu schreien, wehrte sich verzweifelt. Mit Händen und Füßen klammerte er sich an mich, wir wurden bis an die Türe geschleppt, fielen zu Boden.

«Sie wollen mich erschießen, madre, madre...», schluchzte und jammerte der junge Mensch. Es gelang den Bewaffneten, ihn von mir zu trennen, ihn wegzuzerren, ich war allein.

Pedro Hirten


Zwei Tage später teilte mir der Kaffeeträger leise mit: «Heute wirst du in eine andere Zelle geführt.» Aufgeregt wartete ich bis zum Abend. Endlich holten sie mich, wir schritten durch lange Klostergänge an vielen Zellentüren vorbei und stiegen in den ersten Stock. Meine neue Zelle beherbergte bereits einen Insassen. Ein Mann von etwa fünfundfünfzig Jahren, graumeliertes Haar, mit breitem, gutmütigem Gesicht.

Wir starrten uns an.

«Du bist kein Spanier, was bist du für ein Landsmann?» fragte er auf spanisch. Ich machte mich bekannt.

«Oh, dann können wir uns ja auf deutsch unterhalten, ich bin Deutscher, aus Stuttgart, ich heiße Pedro Hirten. Noch zwei Tage, dann stecke ich genau hundert Tage in diesem elenden Loch; gut, daß du kommst, sonst wäre ich verrückt geworden.»

Rasch befreundeten wir uns und erzählten uns gegenseitig unsere Geschichte. Peter Hirten lebte seit fünfzehn Jahren in Spanien und wohnte in Madrid. Als qualifizierter Metallarbeiter hatte er ein gutes Auskommen gefunden. Seit zwölf Jahren war er mit der Schwester des spanischen Sozialisten Lopez - Sekretär des Ministerpräsidenten Largo Caballero - verheiratet, behielt aber seine deutsche Nationalität. Kurz vor Ausbruch des Bürgerkrieges avancierte Pedro zum Betriebsleiter einer Aluminiumfabrik. Er war mit seiner Situation zufrieden, um Politik hatte er sich nie gekümmert. In Deutschland war er in der ganzen Zeit nie mehr gewesen. Die Geschichte seiner Verhaftung ist schnell erzählt.

Schon in den ersten Wochen der Belagerung von Madrid wurde das Brot rationiert. Vor den Bäckereien bildeten sich lange Schlangen, da nicht immer genug Brot für alle da war. Pedros Frau war fußkrank und konnte das lange Anstehen nicht ertragen. Die deutsche Kirche in Madrid teilte jeden Sonntagmorgen an deutsche Staatsbürger eine Ration Brot aus. Pedro stellte sich an, aber schon am zweiten Sonntag wurde er mit anderen Schicksalsgenossen verhaftet.

«Diese Leute hier sind vollkommen meschugge», schnaubte er wütend. «Sie wollen von mir ein Geständnis, daß ich für Franco und Hitler arbeite, dabei habe ich Spanien seit fünfzehn Jahren nie verlassen und mich nicht mit Politik befaßt. Die machen mich rasend.»

Trotz all der guten Beziehungen seiner Frau hielt ihn die GPU fest. Die neue Zelle war nicht so groß wie die Klosterküche, dafür aber mit Holzpritschen ausgestattet. Ein feines Drahtgitter überspannte ein Fenster, das auf einen Hinterhof führte. Von unten stieg ein schrecklicher Gestank herauf, irgendwo mußte ein Müllhaufen liegen. Trotz des vergitterten Fensters litten wir unter zahllosen Mücken. Der Gestank und die Hitze, das alles zusammen machte das Atmen schwer. Am Fenster stehend, konnten wir ein kleines Stück Himmel erblicken, zur linken Hand war das Ende eines Balkons der oberen Etage sichtbar.

«Da oben liegt die Frauenabteilung, wenn die Stadt bombardiert wird, kannst du was erleben an Geheul und Panik. Wenn du besser schlafen willst, mußt du dir einen Strohsack organisieren. Bei manchen Wachen dürfen wir bisweilen auf den Gang hinaus, andere lassen uns nur die Türe öffnen, um auszulüften. Mit etwas Glück erwischen wir vielleicht einen Strohsack für dich», erläuterte mir Pedro väterlich. Wir hatten Glück, am Morgen war eine «gute» Wache da, und so konnten wir vor der Zellentür einige Schritte hin und her gehen und andere Gefangene der Nachbarzellen sehen. Pedro sprach mit dem Wächter, und nach fünf Minuten war ich glücklicher Besitzer eines Strohsackes.

In einer der ersten Nächte holten sie Pedro zum Verhör. Ganz unerwartet umarmte er mich, klopfte mir auf die Schulter und murmelte: «Leb wohl, viel Glück, falls wir uns nicht mehr wiedersehen.» Er kam am frühen Morgen zurück, müde, zerschlagen, berstend vor Wut.

«Weißt du, was diese blöden Schweine für einen Trick mit mir versuchten? Sitz ich da beim Verhör, kommt plötzlich ein Kerl ins Zimmer gestürmt, gafft mich an, ergreift meine Hand und schüttelt sie, schreit: «Na, alter Junge, kennst du mich nicht wieder? Wir sahen uns doch 1935 beim Bierfest in Stuttgart!»

Der blöde Hund. Ich starrte die Kerle an, tippte mir mit dem Finger an die Stirn und sagte: «Dem fehlt's da oben.» Mit Fußtritten und Ohrfeigen jagten sie mich weg. Die müssen früher aufstehen, wenn sie den alten Pedro reinlegen wollen.»

Einige Nächte hintereinander wurde der Hafen von Valencia bombardiert. Die Panik war unbeschreiblich, die Wachen stoben davon, wir hörten sie rennen, im Hof ließen sie ihre Büchsen knallen, die Frauen kreischten, alles übertönt vom Krachen der Bomben. Auf Anraten Pedros drückten wir uns in eine Ecke, schichteten unsere Strohsäcke über uns. In der Dunkelheit erzählte Pedro Witze und Episoden aus seinem Leben. Als deutscher Feldwebel hatte er den Ersten Weltkrieg an der russischen Front mitgemacht.

«Das war noch ein Leben. Ich habe bestimmt keinen Mord auf dem Gewissen. Wenn es hieß: «Vorwärts», stürmte Pedro voran, schlug sich hinter den nächsten dicken Baum und nahm einen Schluck aus seiner Pulle auf das Wohl des Kaisers.»

Beide genossen wir den Morgenkaffee. Pedro bekam von seiner Frau Geld geschickt; da er Nichtraucher war, verwendete er es ausschließlich für Kaffee.

Eines Morgens, wir durften vor der Zellentür auf und ab gehen, rauschte Clara wie ein Sturmwind heran. Sie umarmte mich, ihr Gesicht war von Mückenstichen angeschwollen.

«Du, wir Frauen gehen jeden Morgen in die Dusche, richte es so ein, daß du einige Minuten vor zehn im Gang bist, dann können wir uns sehen.»

Das klappte nicht jeden Morgen. Wir Männer waren neidisch, verlangten ebenfalls, in die Dusche geführt zu werden. «Manana», morgen ... doch nie kam es dazu. Clara löste uns das Rätsel. «Da könnt ihr noch lange warten. Für die Wachen ist das Duschen der Frauen der schönste Zeitvertreib. In die Holzwand haben sie sich Löcher gebohrt und begaffen uns abwechselnd. An den Männern haben sie kein Interesse.»

Die gelegentlichen schnellen Morgenbesuche von Clara auf dem Zellenkorridor hörten auf, wir konnten uns nicht mehr sehen. Seit vierzehn Tagen in Santa Ursula, war ich noch nie zum Verhör geholt worden. Dafür wurde mir plötzlich erlaubt, eine halbe Stunde im Hinterhof spazierenzugehen. Ich war nur wenig erstaunt, als ich dabei auf Michel Michaelis und einige seiner Freunde stieß. Trotz des Sprechverbots konnten wir uns verständigen. Ja, sie waren alle hier, die Gefangenen der Puerta del Angel und, wie er versicherte, eine ganze Anzahl anderer Gefangener, darunter viele Deutsche, die er nicht kannte.


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