Im Kampfe gegen verheerende Volksseuchen.
1. Die Choleraepidemien im Jahre 1854 und 1855.
Die Liebe ist stärker als der Tod. Die wahre Nächstenliebe, die aus der übernatürlichen Gottesliebe hervorgeht, scheut auch die Todesgefahr nicht, wenn es gilt, dem gefähr-deten Nebenmenschen beizustehen. Die pflichttreue Krankenschwester tritt furchtlos und opfermutig an das Bett auch solcher Kranken, die mit ansteckenden Übeln behaftet sind. Sie weiß, daß sie nur der Pflicht ihres selbsterwählten Berufes gehorcht, daß ihr Leben in Gottes Hand steht, dem sie es restlos geweiht hat. Sie eilt mit Freuden auch an das Lager jener, vor denen der gewöhnliche Mensch mit Angst und Schrecken zurückweicht, weil ihn der Ekel vertreibt oder Ansteckungsfurcht zurückschaudern läßt, etwa an das Bett eines Cholerakranken.
Die Cholera! Es gab eine Zeit, wo schon dies bloße Wort starken Schrecken verbreitete; damals, als die schreckliche Seuche ganze Gegenden verheerte und Städte und Dörfer entvölkerte, wo sie als unheimlicher Gast aus Asien einwanderte und den Westen Europas überrumpelte. Im Jahre 1830 drang sie bis Polen vor, dann immer weiter nach Westen. 1849 suchte sie zum erstenmal das Elsaß heim und forderte in der Stadt Straßburg 173 Opfer 186). Fünf Jahre später trat sie aber mit größerer Wucht auf, sowohl im unteren wie im oberen Elsaß und in den benachbarten Vogesengebieten. Am meisten wurden die armen Bevölkerungskreise heimgesucht. Der seit Jahren anhaltende schlechte Geschäftsgang in der Industrie hatte große Armut und Not in weitere Kreise getragen, und gerade hier, wo es an richtiger Ernährungsweise fehlte, fand die furchtbare Krankheit einen günstigen Boden.
Da kamen die Töchter der jungen Niederbronner Genossenschaft als rettende Engel, um die von allen verlassenen Cholerakranken in schnell eingerichteten Spitälern oder in ihren armseligen Behausungen zu verpflegen. Die staatlichen Behörden wußten nichts Besseres zu tun, als Niederbronn um Hilfe anzugehen. Wir haben schon früher die rührenden Worte mitgeteilt, welche Mutter M. Alphons zum Abschied an ihre Töchter richtete, die nach allen Richtungen hinauszogen, um die verseuchten Orte aufzusuchen.
Da war es zunächst Straßburg, wo die fürchterliche Krankheit ganz heftig auftrat. Bischof Räß, der unerschrocken von Krankenbett zu Krankenbett eilte 187), gab mit vielen Mitgliedern der Geistlichkeit ein leuchtendes Beispiel des Opfermutes, dem unsere Schwestern unerschrocken folgten 188). Schwester Mathilde, André, Eugenie erhielten später vom Präfekten des Departements öffentliche Belobigungen 189). Schnell gewöhnten sich die jungen Schwestern an die schrecklichen Szenen, welche diese Seuche mit sich brachte. Von Schlettstadt erzählte Schwester Bonaventura, daß sie vier Wochen lang in kein Bett kam und oft so müde war, daß sie über den Toten einschlief. Auch im nahegelegenen Kestenholz, in welchem das Übel unverhältnismäßig viele Leute wegraffte, eilten unsere Schwestern von Haus zu Haus. Ihrer unermüdlichen Pflege verdanken viele die Genesung. Von Gerstheim berichtete der Herr v. Bancalis den Obern, daß von den im Dorfe auftretenden Cholerafällen keiner tödlich verlief, dank der verständnisvollen, unermüdlichen Pflege der Schwestern.
Auch in Colmar wütete die furchtbare Krankheit vom 9. August bis 4. November in unheimlicher Weise: 339 Menschenkinder hat sie in dieser kurzen Zeit vernichtet. Die davon Befallenen spürten zuerst eine drückende Schwere im Kopf, dann wühlenden Schmerz im Unterleib; Durchfall und heftiges galliges Erbrechen stellten sich ein; entsetzliche Krämpfe in den Wadenmuskeln, auch in der Brusthöhle erschütterten den ganzen Körper, der meist nach und nach von einer eisigen Kälte befallen wurde. Oder die Cholera trat ganz plötzlich in einer mehr trockenen und nervösen Form auf, ohne die üblichen Begleiterscheinungen des Durchfalls und Brechens; ein fürchterlicher Krampf legte sich auf die Brust und verrenkte die Glieder in schrecklichen Zuckungen. Schwindel und Herzklopfen befiel die armen Opfer, die von furchtbarer Angst geplagt wurden 190). Der Puls wurde immer schwächer, die Kranken verfielen im Gesicht, die Augen sanken tief ein, der Körper bedeckte sich mit klebrigem Schweiß, die Stimme wurde heiser, so daß die Kranken nur noch lispeln konnten. Die Haut nahm eine blaugraue Färbung an, die Krämpfe wurden heftiger, furchtbarer Durst, Brennen im Mund und eine unerträgliche Hitze im Magen erhöhten die Schmerzen des Kranken, der bis zur Auflösung bei voller Besinnung blieb; eine hochgradige Gleichgültigkeit gesellte sich zu diesem Zustand. Wenn nicht eine kräftige Reaktion im Körper auftrat, erfolgte der Tod rasch 191).
Die Regierung ergriff alle damals üblichen Maßregeln; sie ließ an die arme Bevölkerung wegen der herrschenden Lebensmittelteuerung während der Dauer der Krankheit täglich eine kräftige Fleischsuppe austeilen 192). Für die Zeit der Epidemie wurde die Zahl der Niederbronner Schwestern, die seit 1853 in der Stadt eine Niederlassung hatten, von vier auf acht erhöht. Sie pflegten an zwei Orten die Cholerakranken, bei den Brüdern und im alten Unterlindenkloster. Hier waren ständig 40 Kranke untergebracht. Schwester Caritas, damals im jugendlichen Alter stehend, pflegte mit einer Magd diese Kranken allein. Zwei Schwestern einer andern Genossenschaft, welche mithelfen wollten, trieben die furchtbaren Szenen bald wieder von dannen 193). Sechs Wochen lang hat die tapfere Schwester den Ort des Grauens nicht verlassen. 27 Nächte kam sie in kein Bett. Helfend und tröstend wandelte sie von einem Krankenlager zum andern, wischte hier den klebrigen, übelriechenden Schweiß von einer eiskalten Stirne, hielt dort die in gräßlichem Krampfe zuckenden Glieder fest, half den im Todeskampf Röchelnden die letzten Gebete verrichten, reinigte das Lager des einen vom ekelerregenden Unflat und suchte bei einem andern, dessen Körper in Eiseskälte erschauerte, die fliehende Wärme zurückzurufen. Oft griff sie mit dem Arzte zu verzweifelten Mitteln, um dies zu erreichen; man bettete die Ärmsten in eine Kiste voll erhitzten Sandes, und sehr oft trat dann eine wohltätige Reaktion ein. Aber bei vielen, vielen war alles Bemühen vergebens, in wenigen Stunden wurden sie eine Beute des Todes. Es kam vor, daß Schwester Caritas mit der Magd während einer einzigen Nacht acht Leichen in den Keller trug. Eine grausige Szene ist ihr im Gedächtnis haften geblieben: sie hatte soeben einen Toten im Keller aufgebahrt, als dessen Arme und Beine sich noch einmal in wilden Zuckungen bewegten; zu Tode erschrocken, weckte sie den Arzt, der aber nur das eingetretene Ableben feststellen konnte. Das schreckliche Krankheitsgift hatte in dem abgestorbenen Organismus nachgewirkt 194).
In der Brüderanstalt war das Elend nicht minder groß. Schwester Juconde, die dort pflegte, erzählte oft, daß die Kranken so rasch nacheinander starben, daß sie die Leichen nicht schnell genug auf dem Rücken in die Totenkammer schleppen konnte. In der Ratssitzung vom 31. Oktober 1854 lobte der Bürgermeister von Colmar den "wahrhaft wunderbaren Opfermut" der Niederbronner Schwestern öffentlich und stiftete ihrer Niederlassung zum Zeichen des Dankes 500 Franken. Desgleichen bat der Präfekt des Oberrheins den Bischof Räß, der Generaloberin im Namen der Regierung für die heldenmütige Aufopferung der Colmarer Schwestern zu danken 195). Schwester Timothée aber war der Seuche zum Opfer gefallen, Schwester Adelinde, die bereits angesteckt war, genas wieder.
Anfang Oktober verlangte der Präfekt des Oberrheins durch Bischof Räß zwei weitere Schwestern für die von der Cholera heimgesuchte Gemeinde Beaucourt (Kanton Delle) 196). Der böse Gast wich aber bald aus diesem Dorfe. Die Schwestern konnten wieder abreisen, zum großen Bedauern des Pfarrers, der sich nicht lobend genug aussprechen konnte über den Segen, den sie während ihrer kurzen Anwesenheit verbreiteten. "Katholiken und Protestanten, Ungläubige und fromme Christen, alle mußten dem Eifer und dem Opfergeist der guten Schwestern Anerkennung zollen." 197) Der Bürgermeister Mény von Belfort erhielt auf sein dringendes Begehren ebenfalls zwei Schwestern, die sich in der Pflege der Cholerakranken rühmlich auszeichneten.
Auch im Departement der Vogesen (Vosges) rief man die Hilfe Niederbronns an gegen die auftretende Cholera. Der Präfekt von Epinal begehrte nicht weniger als 20 Schwestern, von denen 10 nach Mirecourt, 10 nach Neuf-Château sich begeben sollten (Epinal, 20. August). Mutter M. Alphons willfahrte bereitwilligst dem Wunsche, konnte aber nur acht Schwestern entbehren. Von Neuf-Château und Mirecourt aus verteilten sich die Schwestern auf die umliegenden Ortschaften. Die Unterpräfekten dieser beiden Kreise waren des Lobes voll für die allen Anstrengungen und Gefahren trotzenden Krankenpflegerinnen 198). Der Pfarrer Thouvenet von Valfroicourt (Kanton Vittel), wo zwei Schwestern den Cholerakranken beistanden, überhäuft ihr Wirken mit den höchsten Lobsprüchen 199).
Anfang August erbat auch die Regierungsbehörde des Moseldepartements Niederbronner Schwestern. In Mars-la-Tour und einigen andern Orten in der Umgebung von Metz war ebenfalls die Seuche aufgetreten, wenn auch nicht im größeren Umfange. Weil aber die Bevölkerung von einer Panik ergriffen war, hielt es die Behörde für angebracht, durch Entsendung von Schwestern beruhigend zu wirken. Zunächst wurden vier Schwestern nach Mars-la-Tour geschickt und zwei nach Waville (Kanton Gorze). Der Bürgermeister dieses letzten Ortes fühlte sich veranlaßt, dem Präfekten für die Wohltat dieser Entsendung zu danken und ihn zu bitten, diesen Dank auch der Kongregationsleitung zu übermitteln: "Ohne die schnelle Hilfe, welche die Schwestern Tag und Nacht den Kranken angedeihen lassen, wären schon viele gestorben. Sie erfüllen ihre Sendung mit aller Hingebung, welche nur der größten Liebe entspringt. Sie ersetzen zugleich den Arzt durch die Ratschläge, die sie den Kranken geben, und dank ihrer Fürsorge ist bis jetzt nur eine geringe Zahl der Seuche erlegen. Jedermann fürchtete sich vor ihr, und niemand wagte den Cholerakranken zu nahen, nur sie allein schauderten vor keinem Falle zurück. Mit einem Wort, die Schwestern sind der höchsten Achtung und des größten Lobes würdig." 200) Und als die Seuche, zu der sich noch ein ansteckendes, bösartiges Schweißfieber gesellt hatte, vorüber war, schrieb der Pfarrer von Waville an die ehrw. Mutter 201) folgende begeisternde Lobesworte, die der Geschichtschreiber der Genossenschaft der Nachwelt nicht vorenthalten darf: "Ich danke dem Vater der Barmherzigkeit, der mir zu Beginn meiner seelsorgerlichen Tätigkeit das erbauliche und trostreiche Schauspiel der Hingebung und Frömmigkeit der Schwestern Francisca und Agape gewährte. Ja, ehrw. Mutter, ich bin in der glücklichen Lage, Ihnen sagen zu können, daß Ihre zwei Kinder während des Aufenthalts in Waville sich als würdige Töchter des göttlichen Erlösers gezeigt haben. Ohne Rast und Ruhe haben die beiden Schwestern den zahlreichen Kranken meiner großen Pfarrei die eifrigste Fürsorge angedeihen lassen. Mit der zärtlichen Sorgfalt einer Mutter weilten sie am Bette der Betrübten, schreckten vor keinem Opfer zurück, verrichteten die niedrigsten Dienste und unterzogen sich mit wahrer Freude allem, wovor bei einer so schrecklichen Krankheit die Natur zurückschaudert. Wie wohl tat es, sie beim Liebeswerke zu beobachten, bei dem sie weder an Gesundheit noch an Nahrung und Ruhe dachten! Wie oft waren die Nächte Zeugen ihres Opfermutes! Ein bißchen Schlaf schien ihnen, deren Körper durch die Mühsale eines langen Tages ermattet war, schon zuviel. Was aber am meisten Freude gewährte, waren ihre tröstenden, heiligen Gespräche. Ihre Worte des Glaubens drangen in die Seelen ein und trösteten wunderbar die Sterbenden. Wenn ich wußte, daß eine Schwester bei Todkranken weilte, konnte ich ruhig schlafen. Stets waren die Schwestern an meiner Seite, wenn ich den Sterbenden die heiligen Sakramente reichte, ermunterten sie und halfen auch die Toten begraben. Bei aller Arbeit, die sie erschöpfte, schienen die Schwestern immer wohlauf zu sein." In gleich lobenden Ausdrücken ergeht sich der Pfarrer von Loisy bei Pont-à-Mousson, der ebenfalls zwei Schwestern zur Cholerapflege in seiner Gemeinde gehabt hatte; er spricht mit Rührung und Dank von ihrer "grenzenlosen Hingebung und wunderbaren Abtötung" 202). Unter den Schwestern, die von Pont-à-Mousson aus die umliegenden Ortschaften bedienten, zeichnete sich namentlich Schwester Gabriel aus.
Als öffentliche Anerkennung für diese Dienstleistungen im bösen Cholerajahre bekam die Genossenschaft von den Präfekten des Vogesen- und Moseldepartements im Namen des Kaisers eine Bronzemedaille zugestellt 203). Die Colmarer Schwestern erhielten zum Zeichen des Dankes vom fanzösischen Kultusministerium eine Gratifikation von 300 Franken 204). Der Präfekt des Niederrheins dankte dem Bischof von Straßburg im Namen der Regierung für die opfervollen und mutigen Dienste, welche der Klerus, die Barmherzigen Schwestern und die Niederbronner Genossenschaft in den schweren Tagen der Cholera der leidenden Menschheit geleistet haben 205). Der "Niederrheinische Kurier" aber, das offizielle Regierungsblatt von Straßburg, feierte in einem begeisterten Lobartikel auf die Tätigkeit des katholischen Klerus während der Cholerazeit auch in gebührender Weise die Verdienste der jungen Niederbronner Genossenschaft, die auf diese Weise einen geradezu glänzenden Beweis für ihre Existenzberechtigung gegeben habe 206).
Bischof Räß, dem die schnelle Entfaltung der Kongregation so sehr am Herzen lag, wußte die Aufopferung der Schwestern wohl zu schätzen. Um sich genauer zu unterrichten über das, was sie im Dienste der Liebe in den Choleramonaten geleistet hatten, begehrte er von der ehrw. Mutter die Berichte, welche die Schwestern etwa nach Hause geschickt hätten. Er erhielt darauf (1. Dezember 1854) von ihr folgendes Schreiben, welches einesteils ihre demütige Gesinnung in helles Licht stellt, andernteils aber ein anschauliches Bild liefert von der heldenmütigen Aufopferung der jungen Schwestern und dem vortrefflichen Geiste, von dem die Genossenschaft in ihrer Wiegenzeit beseelt war.
"Was die Berichte der Schwestern betrifft, so haben wir diese nicht aufbewahrt; sie haben sich meistens damit begnügt, uns den Zustand ihrer Gesundheit und ihren Aufenthaltsort mit wenigen Worten anzugeben, welche die Eile, die sie hatten, zugleich aber auch ihren Mut und ihre Entschlossenheit kundgaben. Erlauben mir Ew. Bischöflichen Gnaden, derselben hier zu bemerken, daß ich, die eitle Ehre und das Wohlgefallen an sich selbst wie das Feuer fürchtend, bei der Bildung und Leitung der Schwestern beständig dahin arbeite, daß dieselben recht viel an Gott und an die treue Erfüllung ihrer Berufspflichten denken, auf dasjenige aber, was sie gewirkt und geleistet haben, nur insofern achten, um das Fehlerhafte, das sich dabei einschlich, zu vermeiden und zu verbessern. Indessen kann ich nicht umhin, meine geistlichen Töchter auf die Gnaden, die ihnen von oben zufließen, aufmerksam zu machen, damit ihr Mut und ihre Entschlossenheit vermehrt und ihre Dankbarkeit gegen Gott angeregt werde, damit sie sich immer mehr an ihn anschließen und ihm allein in allem die Ehre geben. Ich kann also Ew. Bischöflichen Gnaden über die Dienstleistungen der Schwestern keinen andern Bericht zusenden als denjenigen, der mir mündlich von ihnen mitgeteilt wurde, und was ich mit eigenen Augen gesehen habe. Als die 18 Schwestern, die nach Lothringen gesandt wurden, nach und nach zurückkamen, war ihr Gewand - das einzige, welches eine jede mitgenommen hatte - zwar nicht unreinlich, doch so übelriechend, daß es gleich gewaschen werden mußte. Sie erzählten mir, daß in manchen Orten, wo 50-60, ja oft noch mehr Kranke hart daniederlagen, wo ganze Familien ausstarben und wo nur eine oder zwei Schwestern sich befanden, diese Tag und Nacht auf den Füßen gewesen, von einem Haus zum andern geeilt und oft 5-6 Tage nicht zu Bett gekommen seien. Am Lager der Kranken und Sterbenden aber seien sie manchmal sowohl im Gesicht als am Gewande vom Erbrechen der Kranken über und über mit Unflat bedeckt worden, ohne für sich mehr tun zu können, als Gesicht und Kostüm schnell mit einem Tuche abzuwischen und alsdann mit erneutem Eifer ihre Liebesdienste fortzusetzen. 'Empfandet ihr denn keinen Ekel, keinen Widerwillen?' fragte ich. 'Jawohl', antworteten sie, 'wir schauderten oft zurück, allein der Gedanke, es gilt hier die Rettung der Seelen, ermunterte uns bald wieder. Da rief einer: Helft, Schwester, helft, damit ich nicht zugrunde gehe; schon zehn Jahre sind verflossen, seitdem ich nicht mehr gebeichtet habe, und jetzt muß ich sterben! Dort schrie ein anderer: Ach, verlaßt mich nicht in der Gefahr ewigen Untergangs; schon seit drei Jahren habe ich die heiligen Sakramente nicht mehr empfangen und stehe jetzt an der Pforte der Ewigkeit! Manche wollten vom Beichten nichts reden hören und waren zuerst wie verstockt, gingen aber doch endlich in sich und wurden mit den heiligen Sakramenten versehen.'
"Kaum waren die sechs letzten Schwestern erschöpft und ermattet heimgekehrt, so erhielt ich das Begehren des Präfekten 207), ihm 20 unserer Schwestern zu senden. Dies war nicht möglich. Da aber diese sechs mich inständig baten, sie hinzuschicken, willfahrte ich ihrem Verlangen. Solche und ähnliche Vorgänge und Berichte haben mich mehrmals veranlaßt, Gott innigst zu danken, daß er den guten Kindern so wunderbar beigestanden, sie so mächtig gestärkt und ihre Mühe und Arbeit so reichlich gesegnet hat, und ihn zu bitten, dieselben nur vor eitler Ehre zu schützen, wie er sie vor Ansteckung und Furcht vor der Krankheit bewahrt hat."
Im folgenden Jahre 1855 wurde das Elsaß abermals von der schrecklichen Seuche heimgesucht. Zwar forderte sie nicht so viele Opfer wie im Vorjahre, wütete dafür aber um so stärker in Gegenden, die vorher verschont geblieben waren, vor allem in Niederbronn und seiner Umgebung. Da erwies sich abermals die Genossenschaft als ein wahrer Segen. Tag und Nacht pflegten die Schwestern die in fürchterlichen Krämpfen sich windeten Kranken zu Niederbronn und Reichshofen 208). Die Schwestern Vitalis (aus Rufach) und Praxedis (aus Niederschäffolsheim) ließen dabei ihr junges Leben. Für die vielen verwaisten Kinder gründete Mutter M. Alphons das Waisenhaus zu Neunhoffen 209). Auch in Hagenau und Schlettstadt gab es für die Schwestern reichlich Arbeit 210). Besonders stark war Mühlhausen im Oberelsaß betroffen. Unsere Schwestern, die seit kurzem (1853) hier ansässig waren, erregten durch ihre Selbstlosigkeit hohe Bewunderung. Zwei wurden vom Bürgermeister der Gemeinde Pfaffenheim, wo die Seuche mehr als 100 Opfer hinwegraffte, gerufen. Auch die Stadtverwaltung von Sulz (Oberelsaß) ließ zwei Schwestern zur Cholerapflege kommen 211).
Für besonders aufopfernde Pflege im Oberelsaß erhielten vom Ministerium zu Paris die Schwestern Libère und Thecla Belobigungen 212).
Im Jahre 1856 machte sich die Cholera immer noch bemerkbar. So in Neundorf bei Basel, wo die Schwestern Emanuel und Benedicte 213) die Kranken besorgten. Viele verwaiste Kinder fanden im Waisenhaus der Mühlhauser Niederlassung Aufnahme. 1857 begehrte die Gemeinde Sulzmatt zwei Schwestern für die Cholerakranken.
2. Die Choleraepidemien von 1866 und 1873.
Dem deutsch-österreichischen Kriege von 1866 folgte als unheimlicher Gast die Cholera durch die deutschen Gaue 214).
Der unterfränkische Kriegsschauplatz war besonders stark heimgesucht. Nicht weniger als 14 Schwestern wurden von Darmstadt aus nach Aschaffenburg, Neubrunn, Lohr und andere fränkische Orte gebracht, wo teils die Feldtruppen teils die Ortseinwohner von der Seuche zu leiden hatten. In dem Städtchen Rothenfels bei Würzburg pflegte Schwester Bonaventura mit zwei andern Schwestern cholerakranke Soldaten; dank ihren Vorsichtsmaßregeln griff die Seuche nicht um sich. Mit dem Segen Gottes, so schrieb der Ortspfarrer Barthelme ins Mutterhaus (8. Februar 1867), kamen wenige Erkrankungsfälle vor, und die Schwerkranken wurden durch die liebevolle, sorgfältige Pflege größtenteils wieder geheilt. Auch ins Hessische griff die Krankheit über. Nach Fehlheim, einer Filiale der Pfarrei Bensheim, wurden im September die Schwestern Landelina und Cyprian von Darmstadt aus gerufen. In dem kleinen Orte hatte der Schrecken die Menschen völlig gelähmt. Bei Ankunft der Schwestern lagen drei Tote schon einige Tage unbeerdigt in den Häusern, weil aus Furcht vor Ansteckung niemand sie zu beerdigen wagte. Zuerst mußten die Schwestern die Leichen in die Särge schaffen, ehe sie ihr Wirken beginnen konnten. 35 Personen waren von der Seuche befallen, und kein Arzt war am Orte ansässig. Abwechselnd kamen zwei Ärzte von Bensheim und gaben den Schwestern die nötigen Medikamente. Um die Schwestern selbst kümmerte sich keine Behörde. Ein mitleidiger Bürger stellte ihnen eine Kammer mit einem Strohsack und einem Stuhle zur Verfügung; der Lehrer Selbst sorgte für ihre Nahrung. Am 21. September mußte Schwester Cyprian durch Schwester Urban abgelöst werden, weil sie selbst angesteckt worden war; doch kam sie mit dem Leben davon.
Nach Heppenheim wurde die schreckliche Krankheit durch preußische Exekutionstruppen verschleppt. Damals weilten drei Schwestern im Orte. Sie bekamen Cholerakranke ins Armenhaus, welche Schwester Nympha pflegen mußte, während die beiden andern Schwestern Ursuline und Flaminia die übrigen Kranken im Schulhause pflegten. Schwester Nympha ist ein Opfer ihres Berufes geworden. Eines Morgens besuchte sie um fünf Uhr die heilige Messe, mußte aber während derselben infolge plötzlichen Unwohlseins die Kirche verlassen. Am Nachmittag war sie bereits eine Leiche. Seltsam ist der Umstand, daß im folgenden Jahre ihre eigene Schwester, Schwester Lintrudis, in Mühlhausen ebenfalls der Cholera zum Opfer fiel.
Wenn die Epidemie in dieser Stadt auch nicht so stark um sich griff wie im Jahre 1855, so verliefen dafür die meisten Fälle tödlich. Die Schwestern aus der Niederlassung in der Burggasse scheuten auch diesmal keine Gefahr und standen unermüdlich den Kranken und Sterbenden bei. Die junge Schwester Lintrudis, die erst vor vier Wochen ihre Profeß abgelegt hatte, kam eines Morgens früh von einer Nachtwache nach Hause, schon den Todeskeim in sich tragend. Ihre Füße trugen sie kaum mehr, sie war, als sie anlangte, bereits ganz blau, und noch am selben Abend war sie eine Leiche. Sie war das letzte Opfer, das die Seuche in der oberelsässischen Industriestadt forderte. Unter großer Teilnahme der Bevölkerung wurde sie zu Grabe getragen, und der damalige Stadtpfarrer Sester sprach in der ergreifenden Leichenrede den Gedanken aus, daß Gott vielleicht von der unschuldigen Schwester für die Stadt Mühlhausen das Opfer ihres jungen, frühvollendeten Lebens abforderte.
Im Jahre 1866 wurde auch Luxemburg teilweise heimgesucht. Mehrere Schwestern wurden begehrt. So war Schwester Richardis in der Gemeinde Monnerich sehr segensreich tätig. "Ihr Andenken", schrieb der Ortspfarrer (13. September 1866), "wird noch lange unter uns fortleben. Kaum war die gute Schwester am Krankenbette tätig, so hatte sie durch ihre Aufopferung und ihr Gebet mit den Kranken der Krankheit die Spitze abgebrochen." In Bettemburg pflegten die aus früherer Zeit mit dem bösen Gast vertrauten Schwestern Juconde und Emanuel. Sie haben - nach einem Schreiben des Dechanten Mayer (27. September 1866) - durch ihre Sorgfalt mehreren Personen das Leben gerettet. In demselben Jahre erhielten unsere Schwestern von dem Gemeinderate des lothringischen Ortes Saaralben eine öffentliche Dankesbezeigung für ihre Aufopferung während der hier herrschenden Choleraepidemie.
Im folgenden Jahre (1867) trat die Cholera an einigen Orten in der Pfalz auf. Unsere Schwestern pflegten in Maudach und Friesenheim. Das Präsidium der pfälzischen Regierung dankt am 4. Oktober der Oberin in Speyer für "das menschenfreundliche Wirken, die opferfreudige, furchtlose Ausdauer, welche von den Schwestern bei Verpflegung der Kranken geübt wurde“. Die Schwestern Afra, Fredine, Asella und Lucienne zu Speyer erhielten für hervorragende Leistungen während der Choleraepidemie in der Pfalz eine königliche Anerkennung (12. September 1867). Zum Zeichen des Dankes "für die unermüdliche, unerschrockene und aufopfernde Tätigkeit und die liebevolle Behandlung der Kranken" während der Choleratage stiftet der Gemeinderat von Maudach den Speyerer Schwestern 60 Gulden. Die Gemeinde Friesenheim war mit dem gleichen Dankesbeweis vorausgegangen 215). Auch das bischöfliche Dekanat des Landeskapitels Speyer sprach den mutigen Schwestern für ihr "opfermutiges und erfolgreiches Wirken" den wärmsten Dank aus.
Die Stadt Speyer selbst wurde aber in dem Cholerajahre 1873 durch die Seuche stark in Schrecken gesetzt 216). Hören wir über den Verlauf und die Verheerungen der Seuche und die Tätigkeit unserer Schwestern einen anschaulichen Bericht der Schwester Menodora, welche Zeugin der harten Tage war 217). "Zum Pflegen waren da Schwester Lucia, die Oberin, Schwester Fredine, Afra, Asella und ich; später bekamen wir noch vier Novizen aus dem Mutterhause zur Aushilfe. Die Cholera wütete in fünf tiefgelegenen Straßen der Stadt, wo Wasser in den Häusern stand, da der Rhein ausgebrochen war; sie fing im Juli 218) an und hörte im Oktober auf. Die ersten Tage pflegten Schwester Fredine und ich in der Stadt. Dann mußten wir beide ins Bürgerspital, denn was man nur noch in daselbe in einen Absonderungsbau bringen konnte, kam hinein. Wir hatten zwei Säle für die Genesenden, drei für die andern; es war schrecklich, wir hatten mitunter vier bis fünf Tote in einer Nacht, und es blieb uns manchmal nichts anderes übrig, als sie gleich in den Sarg zu legen. Es läutete keine Glocke, damit die Leute nicht noch mehr erschraken; die Toten wurden sofort ins Leichenhaus auf den Gottesacker gebracht. Ein Tag war besonders schrecklich, wo die ganze Zeit der Leichenwagen durch die Straßen fuhr. Unsere Oberin Schwester Lucia wurde von der Krankheit befallen, genas aber wieder. Schwester Hilarion, die eben von einem Kranken kam, wurde um Mitternacht plötzlich von der Seuche ergriffen, am Mittag war sie, noch keine 28 Jahre alt, bereits eine Leiche. Wir beiden Schwestern legten sie in den Sarg und siegelten ihn zu. Wir Schwestern im Spital mußten den Kranken, die im Anfang der Krankheit waren, heiße Sandbäder geben und ganz warme, aufregende Getränke, damit sie in Schweiß kamen; viele wurden dadurch gerettet. Bei der Cholera stellte sich heftiges Erbrechen, Durchfall und Blutstockung ein; wir mußten die Kranken auch reiben. Am 14. Oktober, als die Cholera aufhörte, wurde ich infolge der Anstrengung und eines Schreckens von der Krankheit befallen, spät abends durch den hochw. Herrn Geistlichen Rat Schwarz mit den heiligen Sterbesakramenten versehen. Nach ihm kam Herr Kaplan Molz, brachte mir noch das fünffache Skapulier, damit ich nicht ohne dasselbe sterbe. In der Nacht auf Theresiatag ging's besser. Als ich etwas erholt war, kamen Schwester Fredine 219 und ich wieder ins Schwesternhaus zurück." Die beiden tapferen Schwestern erhielten von Herrn Medizinalrat Heim zwei goldene Kreuze zum Lohne für ihr aufopferndes Wirken.
Die kgl. pfälzische Regierung geizte auch diesmal nicht mit ihrem Lobe. Sie übermittelte (20. Oktober 1873) "in dankbarer Anerkennung der aufopfernden Pflege, welche die barmherzigen Schwestern während der herrschenden Choleraepidemie den Kranken zuteil werden ließen", dem Speyerer Hause 150 Gulden mit dem Wunsche, "daß ein angemessener Teil dieser Summe den an der Krankenpflege beteiligten Schwestern zu ihrem persönlichen Besten überlassen werden möge". Die gleiche Summe stiftete (27. November 1873) der Stadtrat der Gemeinde Speyer.
Auch während der schweren Choleraepidemie, die zu gleicher Zeit in München so viele Opfer forderte 220), waren unsere dortigen Schwestern unermüdlich tätig. Dabei zeichneten sich besonders durch große Opferwilligkeit aus die Schwestern Caritine, Joel, Claudiana, Exuperia, Tibba und Benedicte. In deren Armen starb im Hause der Buttermelcherstraße Schwester Prosper, die sich die Krankheit bei der Pflegetätigkeit zugezogen hatte. Sie war das letzte der vielen Opfer, welche die böse Seuche in München forderte 221).
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